Interner Bericht der Bundesregierung warnt vor Gefährdung der Impflogistik

Bedrohte Impfzentren

Ein interner Bericht der Bundesregierung warnt vor einer steigenden Terrorgefahr für die Impflogistik.

Politiker, Virologen, Pressevertreter – etliche von ihnen werden seit Beginn der Covid-19-Pandemie von Gegnern der Coronamaßnahmen bedroht. Seit der Zulassung des ersten Impfstoffs im Dezember könnte auch die Impfinfrastruktur zum Ziel der Gegner werden.

In einem internen Lagebericht der Bundesregierung mit der Kennzeichnung »Nur für den Dienstgebrauch«, über den die Nachrichten-Website Business Insider Anfang Februar berichtete, warnen die zuständigen Behörden vor einer »abstrakten Gefährdung«. Dazu zählen sie Angriffe auf Firmensitze von Impfstoffherstellern, Impfzentren, Impfstofftransporte und Lagerstätten. Insbesondere terroristische Anschläge auf Impfzentren, die wegen der großen Menschenansammlungen für »jihadistische Tätergruppierungen und Einzelpersonen« attraktiv sein könnten, seien denkbar. Dem Bericht zufolge würde die Zerstörung einer großen Menge von Impfstoff aus Sicht von Islamisten einen »Rückschlag ›des Westens‹« im Kampf gegen die Pandemie bedeuten. Impfstofftransporte werden derzeit vom Grenzübertritt bis zu den Verteilerzentren von der Bundespolizei eskortiert.

Ein »deutlich erhöhtes Eskalationspotential« bis hin zu »erheblichen Ausschreitungen« sehen die Autoren des Berichts im Umfeld der von der Bewegung »Querdenken« dominierten Proteste gegen die Coronamaßnahmen. Dort bildeten Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker sowie Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter eine »inhomogene Misch­szene«. Bereits Mitte November warnte Niedersachsens Verfassungsschutz­präsident Bernhard Witthaut in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vor Anschlägen aus diesem Milieu. Die Proteste richteten sich nicht mehr gegen einzelne Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie, sondern gegen eine vermeintliche »Coronadiktatur«. Dabei würden auch »offen Umsturzphantasien gegen die deutsche Regierung propagiert«.

Außerdem stuft der Bericht die Gefahr für Cyberangriffe auf »systemrelevante Einrichtungen« wie das Robert-Koch-Institut in Berlin und die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) in Amsterdam (Niederlande) als hoch ein. Bei einem Angriff auf die EMA im Dezember hatten Hacker Daten der für die Impfstoffproduktion wichtigen Unternehmen Pfizer und Biontech gestohlen und im Internet veröffentlicht.

In der Bundeshauptstadt registrierte die Polizei auf Nachfrage der Jungle World bisher drei Branddelikte, die Gegnern der staatlichen Maßnahmen zugerechnet werden. Mitte April bekannte sich die mutmaßlich linke »Vulkangruppe shut down the power« auf der Internetplattform »Indymedia« zu einem Brandanschlag auf einen Schacht mit Strom- und Telekommunikationskabeln im Ortsteil Charlottenburg. Die Tat richtete sich gegen das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut (Fraunhofer HHI), das die Corona-Warn-App mitentwickelt hat. Mit dem Anschlag wollte die Gruppe »jeder weiteren Aufweichung der Grundrechte« und dem »Ausbau der Überwachungsmaßnahmen« entgegenwirken.

In der Nacht zum 25. Oktober warfen Unbekannte Brandsätze gegen die Fassade eines Gebäudes des Robert-Koch-Instituts im Berliner Ortsteil Tempelhof. Nach Angaben der Polizei soll eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen sein, ein Sicherheitsmitarbeiter konnte das Feuer löschen. Die Täter wurden bisher nicht ermittelt. Am darauffolgenden Morgen entzündeten ­Unbekannte im Ortsteil Mitte einen selbstgebastelten Sprengsatz aus Sprühdosen vor einer Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft. Zu dieser gehören knapp 100 Forschungseinrichtungen aus unterschiedlichen Wissenschaftszweigen, von denen einige Wirkstoffe und Therapien gegen Covid-19 erforschen. Einem Bericht des RBB zufolge liege dem Landeskriminalamt ein Bekennerschreiben vor, in dem ein Ende der Coronamaßnahmen gefordert werde.

Ebenfalls aus Protest gegen die Pandemiemaßnahmen beschrifteten Anfang Januar Unbekannte ein Banner, das sie mit Holzlatten über der Bahnstrecke zwischen Waigolshausen und Gemünden am Main (Bayern) spannten. Der Zugführer eines ICE leitete eine Vollbremsung ein, durchfuhr jedoch das Banner mit dem Schriftzug »Dieses Mal Fake«; es wurde niemand verletzt. Entlang der Bahnstrecke fanden Polizisten weitere solcher Banner. Nach Wohnungsdurchsuchungen an drei Orten und der Beschlagnahmung von Mobiltelefonen und Datenträgern verdächtigt die Polizei ein Ehepaar aus dem Landkreis Bad Kissingen und dessen privates Umfeld.

»Die Szene der Coronaleugner hat sich sehr dynamisch entwickelt und die Durchsetzung mit Teilen der extremen Rechten hat schnell zugenommen«, bestätigt die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (»Die Linke«) im Gespräch mit der Jungle World. Die Sozialwissenschaftlerin fordert deshalb vor allem bei sogenannten Reichsbürgern die »konsequente Entziehug von waffenrechtlichen Erlaubnissen«. »Mit ihren Thesen, über die kein demokratischer Dialog möglich ist, polarisieren und spalten sie die Gesellschaft – und das gerade in einer Krisenzeit, in der Solidarität und Zusammenhalt besonders wichtig sind«, sagt die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) der Jungle World. Sie fordert von den Behörden, »die Gefahr ernst zu nehmen, Radikalisierungen genau zu beobachten und ein fundiertes Lagebild darüber zu erstellen«. Darüber hinaus sei die Bundesregierung in der Pflicht, »die Bevölkerung besser über die rechte Unterwanderung der Coronaproteste, ihre Hintergründe, Akteure, Geldflüsse und Vernetzungen zu informieren«.