Trotz härterer Repression weiten sich Proteste in Myanmar aus

Die Generäle lassen schießen

Myanmars Militärmachthaber gehen mit tödlicher Gewalt gegen Protestierende vor. Die Widerstandsbewegung gegen den Putsch weitet sich dennoch aus.

Zunächst agierte das Militärregime relativ zurückhaltend. Bis Ende voriger Woche hatten sich jene, die in Myanmar gegen die Machtergreifung des Militärs am 1. Februar protestierten, und Ordnungskräfte zumeist nur lauernd gegenübergestanden – teilweise Auge in Auge mit minimalem Abstand. Übergriffe gab es eher vereinzelt; bekannt wurde ein Vorfall in der Hauptstadt Naypyidaw, bei dem Polizisten der 20jäh­rigen Mya Thwet Thwet Khine in den Kopf schossen. Die junge Frau lag ta­gelang im Krankenhaus, nach Feststellung des Hirntods wurden am Freitag vergangener Woche die Lebenserhaltungssysteme abgestellt.

Dies hatten die neuen Machthaber hinauszuzögern versucht. Sie wussten, dass das erste amtlich bestätigte Todesopfer nicht nur für zusätzliche negative Schlagzeilen sorgen, sondern auch in der internationalen Debatte die Forderung nach Sanktionen stärken würde. Doch binnen zweier Tage wuchs die Opferzahl auf drei: Am Sonnabend wurden zwei Menschen wurden erschossen, als die Ordnungskräfte in Mandalay, der zweitgrößten Stadt des Landes, mit scharfer Munition gegen eine Gruppe von etwa 1 000 Protestierenden vorging. Mag der Tod Mya Thwet Thwet Khines bei äußerst wohlwollender Betrachtung noch als nicht gewollter Unglücksfall eingestuft werden, waren die Ereignisse in Mandalay ein gezielter Gewalteinsatz mit bewusster Inkaufnahme auch tödlicher Folgen. Neben den beiden Toten gab es mehrere Dutzend Verletzte, verschiedene Quellen sprechen von 30 bis knapp 50.

Der Aufruf zum Generalstreik zu Wochenbeginn wurde nicht nur in Yangon, sondern auch landesweit in großem Ausmaß befolgt. Viele Läden blieben geschlossen, auch die größte Supermarktkette.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte auf Twitter am Folgetag alle Beteiligten zur Zurückhaltung. »Ich verurteile die Anwendung tödlicher Gewalt in Myanmar«, lautete der erste Satz des Tweets. Als »inakzeptabel« bezeichnete er, mit welchen Mitteln das von Min Aung Hlaing, dem Oberbefehlshaber der Armee, geführte Regime gegen friedlich demonstrierende Menschen vorgehe. Nicht ausgeschlossen scheint nach dieser Eskalation, dass zumindest im Westen konkreter als bisher über Sanktionen beraten wird. Wie diese im Detail aussehen könnten, ohne dass in erster Linie die Bevölkerung getroffen wird, bleibt aber unklar. Bisher haben einige Länder, zuletzt Großbritannien und Kanada, lediglich die Konten einiger hoher Generäle eingefroren und Einreiseverbote gegen diese verhängt.

Drei Wochen nach dem Putsch sind die Fronten verhärtet. Seit über zwei Wochen gibt es Tag für Tag Proteste mit insgesamt Zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die die mühsam erkämpften demokratischen Errungenschaften zu verteidigen versuchen. Hafenarbeiter sind im Ausstand, auch die Arbeitsniederlegungen von Klinikpersonal – bei Aufrechterhaltung eines Notbetriebs, nicht zuletzt im Bedarfsfall zur Aufnahme bei Demonstrationen Verwundeter – setzen sich fort. Mehrere Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte sind inzwischen untergetaucht, da die Junta sie mit Haftbefehl sucht.

Mandalay ist neben der größten Stadt des Landes, der Wirtschaftsmetropole Yangon, ein Zentrum der Widerstandsbewegung. Gerade dort kam es schon in der vergangenen Woche mehrfach zu Übergriffen, unter den insgesamt rund 100 Verletzten in Mandalay war auch eine schwangere Frau. Landesweit soll es mehr als 500 Festnahmen gegeben haben.

Die Putschisten machen die Demonstrierenden für die Eskalation verantwortlich. Diese stachelten »vor allem emotionale Teenager und Jugendliche zu einem Konfrontationskurs an, bei dem sie ihr Leben lassen werden«, so der staatliche Fernsehsender MRTV. Das muss als Drohung verstanden werden, allerdings zeigen Einschüchterungsversuche und die Gewaltanwendung nicht die von der Junta erhoffte Wirkung. Eher im Gegenteil: Die Protestierenden treten entschlossen und diszipliniert auf.

Auch in Yangon zeigt sich der Widerstand in verschiedenen Formen. Während die einen bei Massendemonstrationen durch die Innenstadt rund um die altehrwürdige Sule-Pagode ziehen, zeigen andere am Fenster oder vom Balkon ihren Zuspruch. Manche lassen ihre Autos nur im Schritttempo rollen oder bleiben auf offener Straße stehen – und verhindern so, dass Polizei und Armee mit ihren Mannschaftsfahrzeugen zügig durchkommen.

In Myitkyina, der Regionalhauptstadt des Kachin-Staats im Norden des Landes, kamen am Freitag voriger ­Woche 14 Festgenommene wieder frei, nachdem eine lokale »Friedensgruppe« vermittelt hatte. Allerdings mussten die Freigelassenen einem Bericht des Nachrichtenportals The Irrawaddy zufolge eine Erklärung unterzeichnen, dass sie sich an weiteren Aktionen nicht beteiligen werden. Selbst in Myitkyina, sonst ein verschlafen wirkendes Provinzstädtchen, dauern die Proteste an. Polizisten und Soldaten errichteten im zentralen Stadtgebiet rund um die Universität und einen Park Barrikaden und gingen mit Schlagstöcken auf eine Gruppe Lehrer los.

Eine besondere Rolle in dem eskalierenden Konflikt kommt China zu. Die Studierendenräte von 18 Universitäten Myanmars haben den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping aufgerufen, die Putschisten nicht zu unterstützen, sondern sich für die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse einzusetzen. Seit über einer Woche wird in Yangon täglich vor der diplomatischen Vertretung des großen Nachbarstaats demonstriert. Viele Gegner und Gegnerinnen der Putschisten äußern offen ihre Überzeugung, die neuen Machthaber erhielten direkte Unterstützung aus China.

Diesem Vorwurf trat Chen Hai, der chinesische Botschafter in Myanmar, entgegen. Die jüngsten Entwicklungen seien »nicht das, was China zu sehen wünscht«, sagte er – und wies jede Unterstellung zurück, man habe vorab ­etwas von dem Putsch gewusst. Bisher drängt sich der Eindruck auf, die chinesische Führung warte erst einmal ab. Eine klare Verurteilung des Putschs war ebenso wenig zu vernehmen wie eine eindeutige Solidaritätsadresse in Richtung der Generäle. Jedoch war Chinas Außenminister Wang Yi in Naypyidaw mit Min Aung Hlaing zusammengetroffen, nur 20 Tage, bevor dieser die demokratisch gewählte Regierung unter Staatsrätin (das Amt entspricht dem einer Regierungschefin) Aung San Suu Kyi und Präsident Win Myint entmachtete,.

Die Einschätzung des australischen Nachrichtenportals News.com.au, dass es sich um eine für China »extrem unbequeme Situation« handelt, ist weitgehend zutreffend. Fast ein halbes Jahrhundert lang hatte das Land, auch auf dem Höhepunkt der Selbstisolation Myanmars und westlicher Sanktionen, treu zu den dortigen Militärregimes gestanden. Kleinere Irritationen kamen in der »Übergangszeit« 2011 bis 2015 auf, insbesondere als Präsident Thein Sein, ein ehemaliger General, das Prestigeprojekt Myitsone-Staudamm suspendierte. Das im Kachin-Staat geplante Bauwerk ist in Myanmar sehr um­stritten, es werden ökologische Schäden befürchtet, wenn der Oberlauf des Flusses Irrawaddy angestaut würde. Dieser ist die Lebensader des Landes. Unter Suu Kyi waren China und Myanmar wieder enger zusammengerückt – die chinesische Regierung hätte wohl auch in ihrer erwarteten zweiten Amtszeit nach dem erneuten Wahlsieg ihrer Partei NLD im November bestens mit ihr kooperiert.

Noch ist unklar, wie sich die Lage weiter entwickelt. Der Aufruf zum Generalstreik zu Wochenbeginn wurde nicht nur in Yangon, sondern auch landesweit in großem Ausmaß befolgt. Viele Läden blieben geschlossen, auch die größte Supermarktkette. Das Regime reagierte mit einer Ausweitung der Festnahmen. Die Protestbewegung gibt sich entschlossen, nicht noch einmal lange Jahre einer Militärdiktatur hinzunehmen – zu frisch sind die Erinner­ungen an die bleierne Zeit bis 2010. Neben den weiter dominierenden Bildern Suu Kyis, deren Freilassung unvermindert gefordert wird, waren auf den jüngsten Demonstrationen auch Fotos von Mya Thwet Thwet Khine zu sehen, die als erste die Verteidigung der Demokratie mit dem Leben bezahlte. Bhamo Sayadaw, der ranghöchste buddhistischen Kleriker, rief am Freitag voriger Woche beide Seiten zu Verhandlungen auf, um einen Ausweg aus der Konfrontation zu finden.