Der America’s Cup ist ein millionenschweres Segelspektakel

Frackers vs. Handtaschen

Mit dem klassischen Segeln hat der 36. America’s Cup kaum mehr etwas gemein. Und auch die Finanziers des Spektakels haben eigene Gründe für ihren Einsatz.

Die Bilder aus dem neuseeländischen Auckland von der Ausscheidungs­regatta zum 36. America’s Cup sind spektakulär. Weniger wegen der Menschenmassen, die sich unbekümmert zum Public Screening und zum Feiern treffen, als gäbe es kein Coronavirus, sondern wegen der bizarren Segeljachten, die auf den Gewässern vor der neuseeländischen Großstadt um die Wette rasen und wirken, als seien sie einem Science-Fiction-Film entsprungen.

Mit Segeln im herkömmlichen Sinne hat das, was die vier Teams aus Neuseeland, Italien, Großbritannien und den USA vorführen, nur noch wenig zu tun. Die gut 20 Meter langen, federleichten Boote mit der Bezeichnung AC 75 heben ihre Rümpfe bereits bei schwachem Wind vollständig aus dem Wasser und gleiten dann nur noch auf ihren Tragflügeln, den sogenannten Foils. Weil dadurch der Wasserwiderstand erheblich verringert wird, erzielen die Rennjachten Geschwindigkeiten bis zu 100 Stundenkilometern. Zu Wasser ist das extrem schnell, Freizeitsegler sind ­selten mit mehr als zehn Stundenkilometern unterwegs.

In vielerlei Hinsicht dürfte es kaum eine reaktionärere Sportveranstaltung geben als den America’s Cup.

Die Flugboote rasen sogar bis zu viermal schneller, als der Wind weht. Welchen Vortrieb sie selbst aus einem lauen Lüftchen generieren, lässt Laien wie Experten staunen. Üblicherweise kommt es bei Segelwettfahrten darauf an, ein Quentchen schneller zu sein als die Konkurrenz oder diese durch taktische Finessen in Schach zu halten, unter Ausnutzung des komplizierten Regelwerks beim Segelsport. Doch beim diesjährigen America’s Cup geht es in erster Linie darum, während der knapp halbstündigen Wettfahrten 100 Prozent flytime zu erreichen. Wenn der Rumpf ins Wasser fällt, ist das Rennen mit großer Wahrscheinlichkeit für das betreffende Team gelaufen. Zu lange brauchen die elf Segler dann, um das Boot wieder zu beschleunigen und auf die Foils zu heben.

Das Prinzip der Tragflügelboote ist seit vielen Jahrzehnten bekannt, war bislang aber PS-starken Motorschiffen vorbehalten. Die Entwicklung im Bereich der Hydro- und der Aerodynamik bescherte dem Segelsport im vergangenen Jahrzehnt jedoch einen Umbruch. Inzwischen werden die Rümpfe der Boote, die zum America’s Cup antreten, systematisch auf den geringstmöglichen Windwiderstand getrimmt, weniger auf die Minimierung ihres Widerstands im Wasser. Ihre Tragflächen ähneln denen von Flugzeugen, zischen jedoch durchs Wasser und werden auf der Luvseite des Rumpfs mittels Hydraulik hochgeklappt, wenn sie dort nicht gebraucht werden, um Auftrieb zu erzielen.

Konservative Segler wenden sich mit Grausen von diesen »Krakenfoilern« ab, für sie hat das mit Segeln nichts mehr zu tun. Zu den Skeptikern zählt beispielsweise der schweizerische Cup-Gewinner der Jahre 2003 und 2007, Ernesto Bertarelli, der die Boote für eine »Verrücktheit« hält und dem Wettbewerb deshalb fernblieb. Doch anderen Beobachtern bleibt die Spucke weg, wenn die Jachten bei den Wettfahrten aufeinander zurasen. Die Begegnungen sind gefährlich, die Boote sind schwer zu kontrollieren und können kentern, was bereits mehrfach geschah. Ein US-amerikanisches Team beschädigte Mitte Januar sein Boot so stark, dass es trotz eines verzweifelten Reparaturversuches in der Ausscheidungsregatta scheiterte.

In technologischer Hinsicht zeigt sich beim America’s Cup seit jeher die Avantgarde des Segelsports. Auch die mediale Aufbereitung ist wegweisend. Einen derart komplexen Sport wie Segeln so telegen im Live­stream zu präsentieren, dass sich selbst Nichtsegler seiner Faszination kaum entziehen können, ist eine Leistung. Doch in anderer Hinsicht dürfte es kaum eine reaktionärere Sportveranstaltung geben als den America’s Cup. Es beginnt damit, dass er eher einem Duell ähnelt als einem modernen Teamwettbewerb. Der Gewinner des Cups, der Verteidiger, kann diktieren, in welchem Format und auf welchen Bootstypen die nächste Ausgabe ausgetragen wird. Die Herausforderer müssen sich dem fügen. Bei einer Vorregatta ermitteln sie ihren Primus, der sich dann mit dem Verteidiger einen Showdown liefert.

Der America’s Cup wird bereits seit 1851 ausgetragen, in der Regel im Abstand von vier Jahren. Er ist damit nicht nur die älteste Segelregatta, der Wanderpokal ist die älteste kon­tinuierlich vergebene Sporttrophäe der Welt. Von Anfang an zog der Kampf um die »Silberkanne« die Superreichen an, zunächst aus den USA und aus Großbritannien, später auch aus Australien, Italien, Schweden und der Schweiz. Der britische Teeproduzent Sir Thomas Lipton versuchte zwischen 1899 und 1930 gleich fünfmal, den Cup zu ergattern. Obwohl er ihn nie gewann, gelten seine Kampagnen als Geburtsstunde des modernen Sportmarketing, denn Lipton konnte die Bekanntheit seiner Teebeutel enorm steigern.

Dass der America’s Cup stets ein Vergnügen für Milliardäre geblieben ist, liegt an den enormen Kosten. Eine konkurrenzfähige Kampagne verlangt einen Aufwand von mindestens 120 Millionen Euro, den nur äußerst finanzstarke Mäzene betreiben können. Der Sieg wird in erheb­lichem Maß an Land errungen, in einem Technologiewettbewerb, dessen Aufwand mit der Formel 1 im sogenannten Motorsport vergleichbar ist. Zwar mischen dabei auch Hightech-Konzerne wie Airbus oder Mercedes Benz mit, weil sie sich Prestigegewinne in einer als umweltfreundlich geltenden Sportart versprechen. Geld bringt das jedoch nicht ein. Nahezu jedes Segelteam ist vollkommen abhängig von einem segelverrückten Krösus.

Doch wie schon Lipton geht es auch den derzeitigen Mäzenen nicht allein ums persönliche Prestige. Das beste Beispiel dafür ist der Geldgeber des britischen Ineos Team UK, Jim Ratcliffe, einer der reichsten Männer Großbritanniens. Er hält etwa 60 Prozent der Anteile des Konzerns Ineos, dem fünftgrößten ­Chemieunternehmen der Welt. Es wurde in jüngerer Zeit harsch von Umweltschützern kritisiert, weil er Erdgas verwendet, das mittels Fracking gewonnen wird. Die dabei entstehenden Umweltschäden sind immens, unter anderem wegen des Einsatzes von giftigen Chemikalien, die das Gas aus den sandigen Böden unter dem Atlantik herauslösen. In den vergangenen Jahren wurde Ineos zudem mehrfach zum »schlimmsten Luftverschmutzer Schottlands« gekürt, weil die Produktionsstätten des Unternehmens Umweltauflagen missachteten. Es ist also kein Wunder, dass Ratcliffe bevorzugt in eine als »grün« geltende Sportart investiert. Auf der Website »Sailing Anarchy«, einem Tummelplatz von hartgesottenen Segelfans, werden die britischen Teammitglieder als »Frackers« geschmäht.

Kaum besser ergeht es dem italienischen Team Luna Rossa, dem die spöttische Bezeichnung »Handbags« zuteil wird. Teamchef und Hauptgeldgeber ist der Vorstandsvorsitzende von Prada, Patrizio Bertelli, dessen Nobelmarke nicht nur für teure Handtaschen weltbekannt ist. Das US-amerikanische Team American Magic wiederum, das für den mondänen New York Yacht Club antrat, hat maßgeblich der Milliardär Roger Penske finanziert. Der hat zwar mit dem Segelsport nichts am Hut, sammelt aber Sporttrophäen.

Eine Ausnahmestellung nimmt das neuseeländische Team ein. Es wird als einziges nicht direkt von einem einzelnen Mäzen gesponsert, sondern von der Fluglinie Emirates und der neuseeländischen Regierung. In Neuseeland hat Segeln in etwa einen Stellenwert wie Fußball in Deutschland. Obwohl das Land nur rund fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hat, ist es im Segelsport eine Weltmacht. Neuseeländische Segelprofis genießen weltweit einen exzellenten Ruf. Wenn es um den America’s Cup geht, schlagen auch in Neuseeland nationalistische Affekte durch. Diesmal war davon vor allem Dean Barker betroffen. Der äußerst erfahrene Neuseeländer hatte beim US-Team als Skipper angeheuert und wurde dafür als »Verräter« angefeindet.

Das neuseeländische Team genießt weltweit große Unterstützung bei den Segelfans, weil es als Außenseiter gilt. Slogans wie »David gegen Goliath« oder »People vs. Billionaires« sind auch im Segelsport überaus beliebt. Wen schert da schon, dass der Hauptsponsor Emirates der mächtigen Herrscherfamilie des Emirats Dubai gehört? Imageverbesserung hat auch sie dringend nötig: Familienoberhaupt Mohammed bin Rashid al-Maktum wurde im März 2020 vom High Court in London wegen der Entführung zweier seiner Töchter verurteilt, die vor ihm zu fliehen versucht hatten; das Gericht sprach ihn darüber hinaus schuldig, eine seiner Töchter gefoltert zu haben.

Am Sonntag schickte das italienische Team die britischen »Frackers« mit 7:1 bei der Ausscheidungsregatta nach Hause. Am 6. März soll das große Finale gegen die Neuseeländer beginnen. Spannung verspricht nicht allein die Ausgeglichenheit der beiden Mannschaften, sondern auch die Pandemielage. In den vergangenen Tagen traten trotz schärfster Quarantänemaßnahmen wieder einzelne Infektionen auf. Und gegen die Hygieneauflagen der linksliberalen neuseeländischen Regierung haben nicht einmal Milliardäre eine Handhabe.