Small Talk mit Fabian Dzewas-Rehm von Verdi über die Kampagne »Zero Covid«

»Haben wir denn eine Alternative?«

Am Montag voriger Woche kündigten Gewerkschafter an, die seit Mitte Januar laufende Kampagne »Zero Covid« zu unterstützen. Diese fordert einen »umfassenden Shutdown« in allen nicht lebens­relevanten Bereichen, um die Zahl der Neuinfektionen auf null zu reduzieren. Fabian Dzewas-Rehm arbeitet als Fachsekretär für den Bereich Gesundheit bei der Gewerkschaft Verdi in Marburg (Hessen) und ist einer der Erstunterzeichner der Initiative »Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für einen solidarischen europäischen Shutdown«.
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Warum haben Sie den Aufruf unterschrieben?

In Kassel werden tagtäglich Panzer gebaut, in Bad Hersfeld fährt Amazon Rekordgewinne ein und die Kitas sind geöffnet, während in den Heimen und auf den Intensivstationen zur gleichen Zeit viele Menschen an Covid-19 sterben. Dieses scheinbare Paradox will ich nicht länger ertragen. Appelle an die Eigenverantwortung reichen da nicht aus, weil sich weder die Erzieherin noch der Lagerarbeiter der Lohnarbeit einfach entziehen können.

Wie wird der Aufruf bei Ihren Kolleginnen und Kollegen diskutiert?

Als Sekretär bin ich für zwei große Universitätskliniken zuständig. Die gewerkschaftlich Engagierten teilen die Perspektive von »Zero Covid«. Alle sehnen ein Ende der Pandemie herbei, nicht zuletzt weil die Arbeitsbelastung bereits vor der Pandemie enorm hoch war. Viele Kolleginnen und Kollegen plagen auch individuelle Probleme: die Angst vor einer Ansteckung während der Arbeit und der Übertragung des Virus auf Angehörige. Der Arbeitgeber bewilligt das Homeoffice nicht überall, wo dies möglich wäre. Es wird zu wenig getestet und zu wenig geimpft. In der Krankenhausreinigung vernachlässigen die Arbeitgeber die Arbeitsschutzmaßnahmen fahrlässig.

Hat sich die gewerkschaftliche Arbeit unter den Pandemie­bedingungen verändert?

Sie ist grundsätzlich schwieriger geworden; auch deshalb, weil wir die Kontakteinschränkungen richtig finden. Gewerkschaftsmitglieder sind immer wieder in Quarantäne oder in ihrem Alltag auf den Coronastationen stark eingebunden. Trotzdem erlebe ich viel gewerkschaftliche Aktivität: Zuletzt haben Mitglieder von Verdi in den Unikliniken Gießen und Marburg im Dezember mehrere Tage ­gestreikt. Die Bereitschaft, sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzusetzen, ist ungebrochen. Der Aufwand ist jedoch immens und von einer ständigen Sorge begleitet.

Was sind die Forderungen Ihrer Initiative?

Unsere Anliegen sind brandaktuell: Die Gesundheitsberufe sind strukturell zu schlecht bezahlt. Die Personalausstattung ist zu dünn, das System der Fallpauschalen absurd und die angekündigte Coronaprämie wurde vielerorts nicht ausbezahlt. Hier haben sich neue Aktivitäten entwickelt: Die Kolleginnen und Kollegen haben in ihren Teams kollektive Forderungen an die Arbeitgeber über­mittelt und diese in den sozialen Medien bekannt gemacht.

Welche Bedeutung hat die Kampagne »Zero Covid« für die ­gewerkschaftliche Arbeit?

Ich sehe sie als eine Ergänzung und auch als Klammer für unsere Arbeit. Arbeits- und Gesundheitsschutz sind unzureichend, die ­Interessenvertretungen können nicht alles durchsetzen, die Aufsichtsbehörden sind personell ausgedünnt. Hier brauchen wir ­politischen Druck, um die Kolleginnen und Kollegen in ihren Kämpfen zu unterstützen.

Kommen die Kampagne »Zero Covid« und Ihre Initiative nicht zu spät, weil nach fast einem Jahr Pandemie viele Menschen nichts mehr davon hören wollen?

Haben wir denn eine Alternative? Die Forderungen von »Zero ­Covid« eröffnen einen Raum für linke Intervention. Endlich gibt es eine politische Kampagne, die gesellschaftlich wahrgenommen und diskutiert wird.