Training für yezidische Waisenkinder im Nordirak – die Boxkolumne

Sandsäcke her!

Eine Hilfsorganisation trainiert im Nordirak yezidische Waisenkinder.
Von Bienen und Schmetterlingen – die Boxkolumne Von

Fünf Heranwachsende stehen in einer Reihe. Ihre Blicke sind auf einen Punkt gerichtet, die Fäuste erhoben und die Füße in der Grundstellung. Es ist ein Bild, das in jedem Box-Gym hätte aufgenommen werden können. Dieses jedoch stammt aus dem Norden des Irak. Es zeigt yezidische Kinder und Jugendliche, die im Freien ihre ersten Erfahrungen mit dem Faustkampf machen. Sie alle sind Waisen, haben also mindestens ein Elternteil verloren.

Das Foto wurde im Harman Orphanage vor beinahe zwei Jahren aufgenommen. Das Waisenheim ist nur einen halben Kilometer vom offiziellen Flüchtlingslager des UNHCR in Khanke, in der Nähe von Dohuk, entfernt. Seit mehr als drei Jahren gibt die in Oldenburg ansässige religiös unabhängige Nichtregierungsorganisation Our Bridge dort hauptsächlich Kindern und Jugendlichen Nahrung, medizinische Versorgung und Unterkunft. Sie verteilt darüber hinaus dringend benötigte Hilfsmittel, wie Heizkörper im Winter, an die im Flüchtlingslager lebenden Familien.

Seit etwa zwei Jahren ist das Harman-Waisenhaus auch eine Bildungseinrichtung, die verschiedene Möglichkeiten der sport­lichen Betätigung anbietet. Dazu gehören Boxen und Selbstverteidigung. Für das Training wurde eigens ein trotz seiner Jugend erfahrener Boxer yezidischer Abstammung aus Deutschland eingeflogen: Heiuar Bako vom VFB Oldenburg, der 2012 norddeutscher Meister in der Leistungsklasse Kadetten, also bei den Zwölf- bis 14jährigen, geworden war, übernahm ehrenamtlich die ersten Einheiten. Seither haben gut 100 Schülerinnen und Schüler das Programm durchlaufen. Wegen der Gefährdung durch Sars-CoV-2 können seit einiger Zeit keine Trainer mehr zum Waisenhaus reisen. Die Boxutensilien werden aber weiterhin genutzt. Für die kurzweilige Stärkung des Selbstwertgefühls reichen ein Sandsack und ein Paar Handschuhe völlig aus. Eine Verbesserung der Trainingssituation wäre es, wenn ein oder zwei Paare Boxhandschuhe nicht von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern geteilt werden müssten. Neben solchen heiß ersehnten Spenden wünscht sich die Hilfsorganisation noch einige Kopfschützer und Standboxsäcke.

Wer den dezenten Wink noch nicht ganz verstanden haben sollte, dem sei hier in aller Deutlichkeit gesagt: Sportsfreunde, gebt eure Sandsäcke her! Kampfsportlerinnen und -sportler, die Lust haben, an Ort und Stelle yezidische Kinder und Jugendliche zu trainieren und diesen ihr Wissen zu vermitteln, können sich ebenfalls an Our Bridge wenden. Sobald die Reisewarnung aufgehoben wird, sollen wieder Trainer in den Nordirak geschickt werden.

In einem Anschlussprojekt ist geplant, talentierte Jugendliche auch als Fitnesstrainer auszubilden. Wer also kein guter Boxer ist, aber sich anderweitig selbst verteidigen kann oder einfach nur auf Fitness trainiert, kann sich also ebenfalls nicht so leicht herausreden. Den Kindern und Jugendlichen ist es nämlich völlig gleichgültig, ob sie einen linken Jab, einen Mae-Geri oder ordentliche Klimmzüge erlernen. Hauptsache, sie haben Spaß dabei.