Immobilienpreise und Mieten steigen weiter

Die Wohnungsfrage stresst

Bezahlbare Wohnungen werden rar, Immobilienpreise und Mieten steigen. Selbst Stadtflucht ist kaum noch eine Option.

Wer die beschauliche Gemeinde Wandlitz nördlich von Berlin besucht, erwartet zumeist Ruhe und Erholung. Abends werden zeitig die Bürgersteige hoch­geklappt, auf der Website der Gemeindeverwaltung wird wegen der Schweinepest darum gebeten, verendete Wildschweine zu melden. Wenig deutet ­darauf hin, dass es sich bei dem Ort, rund 45 Minuten von der Berliner ­Innenstadt entfernt, um einen begehrten Immobilienstandort handeln könnte. Und doch steigen die Mieten hier rapide, um 14 Prozent allein 2020, in den vergangenen acht Jahren sogar um 72 Prozent.

Im gesamten Berliner Umland steigen die Immobilienpreise und die Mieten. In anderen deutschen Großstädten wie Hamburg, München oder Frankfurt ist die Lage ähnlich. Dort klettern im Umland die Mietpreise ebenfalls im zweistelligen Prozentbereich, wie eine Auswertung von Immobiliendaten zeigt, die Zeit Online Ende Februar veröffentlicht hat. Auch einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge sind die Mieten in gut angebundenen Städten des ­Berliner Umlands wie Potsdam deutlich an­gestiegen.

Für Menschen mit geringem Einkommen wird es immer schwieriger, in Berlin und anderen Großstädten eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Weil in den Innenstädten kaum mehr bezahlbarer Wohnraum zu finden ist, fliehen immer mehr Menschen in die Peripherie – doch dort werden sie inzwischen mit ähnlichen Problemen konfrontiert. In Berlin hat diese Entwicklung dazu beigetragen, dass die Einwohnerzahl erstmals seit 15 Jahren wieder zurückgegangen ist. Brandenburg hat dagegen im vergangenen Jahr unterm Strich rund 7 000 neue Bürger hinzubekommen.

In Berlin gibt es wegen des im Februar 2020 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung, umgangssprachlich »Mietendeckel« genannt, immerhin auch eine positive Tendenz. Vor einem Jahr hat die rot-rot-grüne Koalition in einem bundesweit einzigartigen Versuch die Mieten rückwirkend zum Juni 2019 für fünf Jahre eingefroren. Im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen Großstädten fallen in der Hauptstadt seitdem die Angebotsmieten. Der Dachverband Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIA) weist in seinem Herbstgutachten aus, das in Berlin 2020 durchschnittlich 5,7 Prozent weniger Miete verlangt wurde als noch im Jahr zuvor.

Unklar ist allerdings, in welchem Maße der Mietendeckel zu dieser ­Entwicklung beigetragen hat, denn in Berlin haben sich die Mieten im Vergleich zum restlichen Bundesgebiet in der Vergangenheit besonders stark verändert. Vor 2008 war die Stadt für Mieter um rund 15 Prozent preiswerter als der Bundesdurchschnitt, zehn Jahre später war sie bereits um 27 Prozent teurer, 2020 nur noch 13 Prozent. Der Mietendeckel hat den Rückgang der Mieten vermutlich verstärkt, aber nicht alleine verursacht.

In welchem Maße Mieterinnen und Mieter von dem Gesetz faktisch profitieren, ist eine andere Frage. Der Berliner Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel (»Die Linke«), berichtete beim Jahresausblick im Februar von einer »erstaunlichen Kreativität«, die Eigentümer entwickelten, um das Gesetz zu umgehen. So wurden Mieter offenbar dazu verpflichtet, einen zweiten Vertrag über die Möblierung der Wohnung zu unterzeichnen, um die eingebüßte Miete zu kompensieren. In anderen Fällen wurde der Mietvertrag mit Nebenverträgen verbunden, zum Beispiel zur Nutzung von Parkplätzen oder Kellerräumen.

Bekannt geworden sind auch sogenannte Schattenmieten: Im Vertrag wird zwar eine zulässige Miete, gleichzeitig aber ein zweiter Mietpreis fest­gelegt, der für den Fall gilt, dass der Mietendeckel als verfassungswidrig verworfen wird. Sollte es dazu kommen, würde die Miete dann nicht nur sofort, sondern sogar rückwirkend steigen – ­erhebliche Nachzahlungen könnten fällig werden. Andere Mieter klagen ­darüber, dass Eigentümer den mit Lastschrift oder Einzugsermächtigung zu viel gezahlten Mietanteil auf einem Treuhandkonto eingefroren hätten.

Zwar können Bußgelder verhängt werden, wenn die Begrenzung der Mieten nachweislich nicht eingehalten wird. Die dafür zuständige Behörde ist allerdings seit längerem unterbesetzt, auch weil wegen der Covid-19-Pandemie viel Personal ins Gesundheitsamt abgezogen wurden.

Im Juni soll das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob das Land Berlin überhaupt befugt war, ein solches Gesetz zu erlassen. Wird das Gesetz für unwirksam erklärt, dürfen Vermieter Geld nachfordern, falls eine bereits vereinbarte Miete durch das Gesetz gesenkt wurde. Wer nicht bezahlen kann, riskiert es, die Wohnung zu verlieren: Ein Verzug von mehr als zwei Monatsmieten gilt als Kündigungsgrund.

Das trifft auch auf jene zu, die im vergangenen Jahr die Sonderregelung zum Kündigungsschutz in Anspruch nahmen. Wer wegen der Pandemie weniger oder kein Einkommen hatte und deswegen seine Miete nicht mehr bezahlen konnte, durfte von April bis Juni nicht gekündigt werden. Anschließend bleiben zwei Jahre Zeit, um die Rückstände nachzuzahlen. Wem dies nicht gelingt, dem droht ebenfalls die Kündigung.

In Zahlungsverzug kommen vor allem prekär Beschäftige, die seit letztem Jahr dauerhaft mit deutlich niedrigen Einkünften auskommen müssen. Das DIW hatte im November eine Studie vorgestellt, der zufolge allein im ersten Halbjahr 2020 über 850 000 Minijobs verloren gingen. Ebenso können Empfänger von Kurzarbeitergeld, die unter Umständen nur 60 Prozent ihres normalen Nettolohns erhalten, in Gefahr geraten, ihre Wohnung zu verlieren.

Menschen mit geringeren Einkommen müssen überproportional oft auch überproportional hohe Einkommensverluste hinnehmen. »Wenn man 1 500 Euro verdient hat und davon circa die Hälfte wegfällt, ist das wirklich ein Problem«, sagt Bettina Kohlrausch im Gespräch mit dem NDR Die Soziologin untersucht bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die Auswirkungen der Coronakrise auf die Einkommensverhältnisse. »Was man jetzt schon sagen kann, ist, dass die oberen Einkommen am wenigsten betroffen sind.« Die größten Einkommensverluste haben demnach Selbständige und jene, die im Niedriglohnsektor arbeitslos werden.

Für Menschen mit geringem Einkommen wird es daher immer schwieriger, in Berlin und anderen Großstädten eine bezahlbare Wohnung zu finden. Bereits vor der Pandemie waren Sozialwohnungen Mangelware. Im Jahr 2019 wurden zwar bundesweit mehr als 25 000 Sozialwohnungen gebaut. Allerdings sind im selben Jahr 65 000 ältere Wohnungen aus der Sozialbindung herausgefallen, denn nach etwa 20 Jahren können solche Wohnungen zu regulären Mieten am Markt angeboten werden. Insgesamt sinkt die Zahl der günstig vermieteten Wohnungen kontinuierlich, von über zwei Millionen im Jahr 2006 auf gerade mal 1,2 Millionen im Jahr 2018. Eine im Auftrag der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt erstellte Studie des Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung vom August vorigen Jahres ergab, dass in Deutschland rund 6,3 Millionen Haushalte unter die Einkommensgrenze für Sozialwohnungen fallen. Dem steht ein Bestand von lediglich 1,14 Millionen Sozialwohnungen gegenüber.

Daran wird auch das von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor zwei Jahren vorgestellte Wohnungsbauprogramm so schnell nichts ändern. Rund 1,5 Millionen Wohnungen sollten demnach in dieser Legislaturperiode gebaut werden. Dieses Ziel sei »nicht außer Reichweite«, sagte Angela Merkel (CDU) Ende Februar bei der Vorstellung einer Zwischenbilanz auf dem Wohngipfel der Bundesregierung. Sozialwohnungen sind jedoch nicht einmal neun Prozent aller neu gebauten Objekte.

Aber auch Menschen mit einem durchschnittlichen oder guten Einkommen stehen in Großstädten vor Pro­blemen. Insbesondere in Berlin hat sich die Lage seit der Einführung des Mietendeckels weiter zugespitzt. Wer heutzutage umziehen muss, sich familiär vergrößert oder neu nach Berlin kommt, findet nur noch mit großen Anstrengungen eine Wohnung. Nach Angaben der Wohnungsplattform Immoscout24 vom August des vergangenen Jahres sei das Angebot innerhalb eines Jahres um fast ein Viertel zurückgegangen, bei Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden, seien es sogar fast 50 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der Immobilienangebote um bis zu 37 Prozent an. Der ZIA berichtete in seinem Herbstgutachten 2020, die Zahl der öffentlich ­angebotenen Wohnungen in Berlin habe sich innerhalb eines Jahres halbiert. Viele Eigentümer scheinen also ihre Wohnungen lieber zu verkaufen als zu vermieten.

Da bleibt oft nur der Umzug ins Berliner Umland. Weil die Immobilienpreise in Wandlitz und anderen Gemeinden aber ebenfalls rapide steigen, werden mittlerweile sogar ländliche Gegenden attraktiv, die weder über eine gute Verkehrsanbindung noch über leistungsfähige Internetanbindung verfügen. Wer dennoch lieber in Stadt bleiben möchte oder muss, braucht nette Freunde mit einem Gästezimmer oder zumindest einer Couch.