Berliner Justizsenator richtet eine Expertenkommission zu »antimuslimischen Rassismus« ein

Religion, nicht Rasse

Das Land Berlin hat Ende Februar eine Expertenkommission zu »antimuslimischen Rassismus« gegründet. Deren Arbeitsbegriff ist jedoch umstritten.

Neue Experten braucht das Land – zumindest das Land Berlin: Es hat als erstes Bundesland Ende Februar eine Expertenkommission zum sogenannten antimuslimischen Rassismus eingerichtet. Der Beirat wurde Mitte Februar vom Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), ins Leben gerufen. Dieser sagte gegenüber der Presse, dass es unerträglich sei, wenn in Berlin Frauen das Kopftuch heruntergerissen würde oder sogar kleine Kinder angegriffen würden. »Antimuslimischer Rassismus ist ein Problem, das wir genauer in den Blick nehmen müssen. Wir haben uns nach dem rassistischen Anschlag in Hanau mit der Frage beschäftigt, ob wir wirklich schon genug gegen antimuslimischen Rassismus tun.«

Warum Behrendt den Anschlag als dezidiert »antimuslimisch« interpretiert, blieb sein Geheimnis. Immerhin befanden sich unter den neun Menschen, die Tobias Rathjen in und vor den Shisha-Bars ermordete, nach einem Bericht des Hanauer Anzeigers drei Nichtmuslime. Rathjen hatte zwar ­Muslime in seinem manifestartigen Pamphlet ausdrücklich als Feinde erwähnt, dennoch kann seine Tat nicht allein als antimuslimisch gedeutet werden, da er darüber hinaus rechts­extreme, verschwörungstheoretische und – mit Blick auf die Ermordung seiner Mutter – frauenfeindliche Ansichten geäußert hatte. Nicht zuletzt hatte er mit den Shisha-Bars nichtreligiöse Anschlagsziele ausgewählt.

Die Moderation des neuen Gremiums soll die bisherige Leiterin der Landesantidiskriminierungsstelle, Eren Ünsal, übernehmen. Des Weiteren wurden die Vorstandsvorsitzende des Vereins Inssan, Lydia Nofal (SPD), der Berliner Landesvorsitzende des Zentralrats der Muslime, Mohamad Hajjaj, Yasemin Shooman vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, Zülfukar Çetin von der Evangelischen Hochschule Berlin, Ozan Zakariya Keskinkılıç von der Alice-Salomon-Hochschule und Sanem Kleff von »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« in die Kommission berufen. Die Kommission soll binnen eines Jahres zunächst eine gemeinsame Definition des Begriffs »antimuslimischer Rassismus« erarbeiten, eine Bestandsaufnahme des Problems »in Politik und Verwaltung« anfertigen und schließlich Empfehlungen herausgeben.

Die Idee einer solchen Institution hatte der Zusammenschluss »Claim – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit« vor zwei Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt. Die knapp 40 in dem Bündnis versammelten Vereine und Gruppen wie Inssan, die Muslimische Jugend Deutschlands, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Juma und Fair International forderten im Sommer 2019 in einem offenen Brief die Bundesregierung dazu auf, eine unabhängige Expertinnenkommission »Antimuslimischer Rassismus« einzurichten. Diese sollte nach einer »Bestandsaufnahme zu Erscheinungsformen und Folgen von antimuslimischem Rassismus in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen« letztlich »handlungsbasierte Strategien« entwickeln.

Unterstützt wurde das Anliegen damals von etwa 30 Expertinnen und Experten wie der Sozialpädagogin Iman Attia, dem Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer, der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz (»Die Linke«), dem Berliner Staatssekretär für Integration Daniel Tietze (»Die Linke«) und der Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration, Katarina Niewiedzial. Zusätzlich forderten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner die Einsetzung eines »Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus«.

Die Verwendung des Begriffs »antimuslimischer Rassismus« wird allerdings seit längerem kritisiert. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg veröffentlichte bereits im Juni 2020 zusammen mit dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft SPD queer Neukölln und mehreren Einzelpersonen, darunter die Rechtsanwältin und Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ateş, und der Kulturwissenschaftlerin Naïla Chikhi, eine Stellungnahme zu der geplanten »Registerstelle für antimuslimischen Rassismus«, in der gefordert wurde, den Begriff »Muslimenfeindlichkeit« vorzuziehen. Der Islam werde schließlich als Religion und nicht als »Rasse« angegriffen. Darüber hinaus werde das spezifische Gefahrenpotential des Rassismus relativiert, wenn alle möglichen Formen von Diskriminierung als »rassistisch« gälten. »Wenn Kulturen und Religion mit ‚Rasse‘ gleichgesetzt werden, gerät jedoch auch menschenrechtlich und demokratisch motivierte Kritik an der Ideologisierung von Kultur und Religion in Gefahr, als ›rassistisch‹ abgekanzelt zu werden«, schreiben die Autoren. Der an Innensenator Andreas Geisel (SPD) gerichtete Appell blieb offenbar ohne Erfolg.