»Unlit Trail« von Fletcher Tucker

Nichtregressive Naturromantik

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Fletcher Tucker aus Big Sur, Kalifornien, bezeichnet seinen Sound selbst als Drone-Folk. Allerdings dröhnen seine subtilen Klangflächen aus Orgel, Akustikgitarre, Klavier, Klangschalen und field recordings von Naturgeräuschen gar nicht so sehr. Vielmehr erinnern sie in ihrer Intimität an die ätherische Musik von Grouper (Liz Harris) oder Cynthia Dall. Mal singt oder flüstert Tucker, mal kommen seine Songs ohne Worte aus. Die Stücke auf »Unlit Trail«
klingen sogar ein wenig feierlicher, leichter und heller als die auf dem düster-introvertierten Vorgängeralbum »Cold Spring« von 2017, auch wenn er mit seiner Naturspiritualität auf einem offensichtlich unbeleuchteten Weg wandelt.

Bisher brachte Tucker seine Alben über sein eigenes Label Gnome Life Records heraus, das sich auch darüber hinaus Musikerinnen und Musikern
mit einem Hang zur Naturmystik verschrieben hat. So hat er etwa einige vergriffene Aufnahmen von Robbie Basho (1940 – 1986), einem Vorreiter
des American primitivism, wiederveröffentlicht.

Anders als die Stilbezeichnung suggeriert, handelt es sich hierbei um eine rohe, aber virtuose, oft instrumentale Folk-Variante mit ausgeprägtem fingerpicking auf Stahlseiten. Die Protagonisten des Genres orientierten sich gleichzeitig an minimalistischer Neuer Musik westlichen Zuschnitts und an östlicher, vor allem indischer oder japanischer Musik und Religiosität. Zudem, und das ist sowohl in Bezug auf Fletcher Tucker als auch auf die Bluesfolk Avantgardisten wie Robbie Basho wichtig zu erwähnen, orientiert sich ihre Naturromantik eher am US-amerikanischen Transzendentalismus von Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau, die nicht zuletzt die Sensitivität der englischen Romantik zu wahren trachteten. Dies unterscheidet die genannten Musiker deutlich von regressiven Strömungen des vor allem – ausgerechnet – britischen Neofolk, die mit neuheidnischer Symbolik kokettierten und daher nicht ganz überraschend von rechts vereinnahmt werden. In Big Sur an der Pazifikküste ist das Naturverständnis dagegen ein durch und durch menschenfreundliches.

Fletcher Tucker: Unlit Trail (Adagio 830)