Antifa von der Steuer absetzen
Nach eineinhalb Jahren ist die Unsicherheit für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) erst einmal vorbei. Die 1947 gegründete Organisation ist die älteste antifaschistische Gruppe in Deutschland. Nachdem das Berliner Finanzamt für Körperschaften I ihr Ende 2019 die Gemeinnützigkeit aberkannt und Steuernachzahlungen für die Jahre 2016 und 2017 in fünfstelliger Höhe gefordert hatte, sah sie sich in ihrer Existenz gefährdet.
Der Grund für die Aberkennung: Im bayerischen Verfassungsschutzbericht war die VVN-BdA wiederholt als »linksextremistisch beeinflusste« Organisation erwähnt worden. Die Abgabenordnung, die die Gemeinnützigkeit regelt, legt fest, dass bei einer Vereinigung, die im Verfassungsschutzbericht eines Bundeslandes oder des Bundes als »extremistisch« eingestuft wird, »widerlegbar« davon auszugehen ist, dass sie die Voraussetzungen für Gemeinnützigkeit nicht erfüllt. Der bayerische Inlandsgeheimdienst hält die VVN-BdA für einen Verein, der »nach wie vor einen kommunistisch orientierten Antifaschismus verfolgt« und »alle nichtmarxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potentiell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt«. Die VVN-BdA widerspricht dieser Behauptung.
Mittlerweile wird auch »die Förderung der Unterhaltung von Gedenkstätten für nichtbestattungspflichtige Kinder und Föten« als gemeinnütziger Zweck aufgelistet.
Der bayerische Landesverband der antifaschistischen Organisation hatte schon 2010 gegen seine Nennung im Bericht des Landesverfassungsschutzes geklagt, allerdings mit ernüchterndem Ergebnis: Das Verwaltungsgericht München wies die Klage 2014 ab. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte die Entscheidung 2018 mit der Begründung, es lägen ausreichend Anhaltspunkte dafür vor, dass der Landesverband »gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen« verfolge. Die VVN-BdA blieb also im Bericht der bayerischen Schnüffler, das Bundesland versagte dem Landesverband deshalb über Jahre die Gemeinnützigkeit.
Doch nun ist alles anders. Im Bericht für 2019 taucht die VVN-BdA nicht mehr auf – warum das so ist, bleibt ein Geheimnis des Geheimdiensts. Deshalb stufte das Berliner Finanzamt den Verein »nach eingehender Prüfung« wieder als gemeinnützig ein. Die VVN-BdA wertet die Entscheidung »als Signal, dass die Vernunft siegen wird«. Unklar ist noch, ob der Status der Gemeinnützigkeit auch rückwirkend für die Jahre 2016 bis 2018 gelten wird. In diesem Zeitraum wurde der Verein noch im bayerischen Verfassungsschutzbericht genannt. Die VVN-BdA zeigt sich zuversichtlich, dass auch für diese Jahre die Gemeinnützigkeit anerkannt wird.
Stefan Diefenbach-Trommer, der Alleinvorstand der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, eines Zusammenschlusses von mehr als 180 Vereinen und Stiftungen, bewertete die Entscheidung zugunsten der VVN-BdA in einer Stellungnahme positiv, machte allerdings auf einige Probleme aufmerksam, die weiterhin bestünden. Gemeinnützige Organisationen müssten sich zwar »im Rahmen der Rechtsordnung und der Menschenrechte« betätigen. »Es darf nicht sein, dass die Gemeinnützigkeit eines Vereins von politischen Bewertungen abhängig ist«, kritisierte er jedoch: In Paragraph 51 der Abgabenordnung werde die Beweislast umgekehrt. In dessen Absatz 3 steht: »Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des Paragraphen 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.«
Anders als etwa bei Vereinsverboten müsse demnach »nicht die Exekutive beweisen, dass ein Verein verfassungswidrig handelt, sondern die Organisation muss ihre Verfassungstreue beweisen«, so Diefenbach-Trommer. Das sei eine »Umkehrung des Rechtsstaatsprinzips«. Eine Organisation könne zudem nicht wissen, welche »Beweise« sie widerlegen müsse, da der Verfassungsschutz nur eine Bewertung, nicht aber eine Beweisführung veröffentliche. Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« fordert deshalb, den Paragraphen aus der Abgabenordnung zu streichen, da die Frage der Gemeinnützigkeit sonst »vom politischen Willen eines Innenministers oder einer Innenministerin« abhänge.
Die VVN-BdA ist nicht die einzige Organisation, die in jüngerer Vergangenheit Probleme mit dem Status der Gemeinnützigkeit hatte. Im Februar erwischte es die Petitionsplattform change.org. Das Finanzamt Berlin erkannte zwar die Grundsätze des Trägervereins als gemeinnützig an, entzog ihm aber die Erlaubnis, Spendenquittungen auszustellen. Der Grund: Die Plattform ermögliche es, Petitionen an Unternehmen kostenlos zu veröffentlichen. »Einer Förderung des demokratischen Staatswesens« dienten Petitionen jedoch nur, wenn sie sich an staatliche Stellen richteten. Dies sei nicht von der Abgabenordnung gedeckt, Petitionen an Unternehmen dürften deshalb nur gegen Gebühren veröffentlicht werden. Change.org legte Widerspruch gegen die Entscheidung ein.
Der globalisierungskritischen Organisation Attac erkannte das Finanzamt Frankfurt am Main bereits 2014 die Gemeinnützigkeit ab und begründete diesen Schritt mit »allgemeinpolitischen Zielen« des Vereins, wohingegen Gemeinnützigkeit sich auf eingegrenzte Ziele beziehe. Inzwischen hat der Verein Verfassungsbeschwerde eingereicht, er sieht sich »gegenüber zahlreichen anderen Akteuren diskriminiert«. Die Lobbyaufwendungen von Unternehmen seien steuerlich begünstigt, genau wie Beiträge an Wirtschaftsverbände, Spenden an Attac »für ein faires Steuersystem oder für eine gerechte Welthandelsordnung« hingegen nicht. Auf hohe Spenden muss der Trägerverein sogar Schenkungssteuer zahlen.
Die Debatte über die entzogene Gemeinnützigkeit von VVN-BdA und Attac, die Solidaritätsbekundungen auch aus der Sozialdemokratie erhielten, veranlasste Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), eine umfassende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts anzukündigen. Diese sollte bis zum Ende des vergangenen Jahres verabschiedet werden. Geschehen ist das allerdings nicht. Dafür gab es zahlreiche kleinere Änderungen des Gemeinnützigkeitsrechts, die im Zuge von Änderungen im Jahressteuergesetz im Dezember beschlossen wurden. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Ausweitung der Liste gemeinnütziger Zwecke. So werden mittlerweile auch der Klimaschutz, der Einsatz für freie Kommunikation in digitalen Datennetzen, die »Förderung der Hilfe für Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden«, Ortsverschönerungen und die »Pflege von Friedhöfen und die Förderung der Unterhaltung von Gedenkstätten für nichtbestattungspflichtige Kinder und Föten« aufgelistet. Kritiker bemängeln, dass weiterhin zahlreiche Zwecke fehlten, etwa die Förderung von Menschenrechten.
Auch ein anderes Problem bleibt bestehen, weil es die CDU so wollte. Die Abgabenordnung stellt noch immer nicht fest, dass gemeinnützige Vereine ihre Ziele durch allgemeinpolitische Tätigkeiten verfolgen dürfen. Entscheidungen wie die gegen Attac sind also weiter möglich. Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« kritisiert deshalb, dass mit den Änderungen nur »kleine Schritte« erfolgt seien. Von CDU und CSU fordert der Verein zu definieren, wie viel Politik denn sein dürfe, und dies dann auch in die Reform der Gemeinnützigkeit einfließen zu lassen. Das würde auch Finanzbeamte im ganzen Land freuen, denen es an einer klaren Leitlinie fehle.