Berlin tanzt den Räumungstango
»Unsere Räume wurden uns genommen – doch die ›Meuterei‹ bleibt«, so lautet der trotzige Schlusssatz einer Erklärung der »Meuterei«, einer linken Kiezkneipe in Berlin-Kreuzberg, die am 25. ärz geräumt wurde. Dort hatte ein Kollektiv mehr als ein Jahrzehnt lang ein Lokal betrieben, in der dank günstiger Getränke Gäste auch mit wenig Geld ihren Abend verbringen konnten. Zudem war die »Meuterei« ein Versammlungsort für Gruppen der außerparlamentarischen Linken wie das antimilitaristische Bündnis »No War«.
Nachdem die Zossener Briefkastenfirma Zelos Properties GmbH das Haus in der Reichenberger Straße im Jahr 2011 gekauft hatte, bemühte sich das Kneipenkollektiv um Bündnisse, um sich gegen Umwandlungspläne zu wehren. So besuchte es im Sommer 2019 gemeinsam mit anderen betroffenen Mietern und Gewerbetreibenden den Briefkasten der Firma in Zossen (Jungle World 28/2019).
Am Abend des 25. ärz gab es eine nach solchen Räumungen übliche Protestdemonstration, die mit einigen Sachschäden und über 60 Festnahmen endete. Solche Ereignisse waren in den vergangenen Jahren in Berlin häufig zu beobachten. Der Kiezladen »Friedel 54« und die Kneipe »Syndikat«, das queerfeministische Wohnprojekt »Liebig 34« – sie alle versuchten jahrelang, ihre Räumlichkeiten zu erhalten. Die Betreiber der »Friedel 54« reisten vor fünf Jahren sogar mit einem Bus nach Wien, um dem damaligen Eigentümern Citec ein direktes Kaufangebot zu unterbreiten. Doch die Firma verkaufte das Gebäude an einen anderen Investor, der sich vertraglich verpflichtete, die Räumung des Stadtteilladens durchzusetzen.
Die Investoren seien mittlerweile kaum noch greifbar, versteckten sich hinter Briefkastenfirmen und gäben nichts auf ihren Ruf in der Stadt, heißt es in einem Text, in dem sich Autoren aus dem anarchistisch-insurrektionalistischen Milieu mit dem Scheitern der linken Strategie befassen, öffentlich über die Geschäftspraktiken der Firmen aufzuklären und diese mit einem drohenden Imageschaden zu Zugeständnissen zu bewegen. »Wenn davon auszugehen ist, dass sich keine nennenswerte Stimmung in der Stadtgesellschaft bemerkbar macht, die den Verantwortlichen einen Stopp von Räumungen – nicht nur von Projekten, sondern auch von normalen Mietwohnungen – abverlangt, könnte nur noch ein solidarischer Kiez Polizeieinsätze erschweren«, schreiben sie weiter.
Diese Strategie verfolgen etliche Stadtteilinitiativen bereits. So gibt es seit über zehn Jahren das Bündnis »Hände weg vom Wedding«, das auch eine Zeitung herausbringt und einen Kiezladen betreibt, um die Kontakte im Stadtteil zu festigen. Auch die Kiezkommunen, die es derzeit in vier Stadtteilen gibt, propagieren die Losung: Heraus aus der linken Blase – hinein in die Nachbarschaft.
In den kommenden Wochen droht eine erneute Zuspitzung im Konflikt um das Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 im Berliner Ortsteil Friedrichshain. Mit dem Argument, der Brandschutz in dem Gebäude müsse geprüft werden, verlangt die Firma Lafond Investment Ltd., die sich als Eigentümer der Immobilie sieht, Einlass in sämtliche Räume des Hauses. Sie hat dafür Polizeischutz angefordert. In der Vergangenheit konnte sich die Briefkastenfirma gerichtlich wiederholt nicht als Eigentümer ausweisen. Im vergangenen Jahr sagte ein Sprecher des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD): »Dem Innensenator liegen keine Papiere vor, aus denen hervorgeht, wer wirklich hinter der Lafond Investment Ltd. als Eigentümer steht.«
Mitte März schien es eine Lösung zu geben. Auf Anweisung des Kreuzberger Baustadtrats Florian Schmidt (Die Grünen) inspizierte eine Vertreterin des Bezirks ohne Polizeibegleitung Räume des Hauses und listete Brandschutzmängel auf. Das Verwaltungsgericht Berlin bereitete Schmidt allerdings kurz darauf eine herbe Niederlage. Es ordnete an, der Bezirk müsse eine Brandschutzprüfung durch den Eigentümer und dessen Gutachter dulden. Das Bezirksamt sei trotz stichhaltiger Hinweise auf Brandschutzmängel jahrelang untätig geblieben, obwohl es verpflichtet gewesen wäre einzuschreiten. Schmidts Anliegen, einen Großeinsatz der Polizei abzuwenden, sei wegen der Wichtigkeit des Brandschutzes unerheblich.
Der Kampf um linke Räumlichkeiten verschärft auch die Konflikte in der Regierungskoalition. So versuchte die Linkspartei vergeblich, die Räumung der »Meuterei« mit dem Verweis auf die sich wieder verschlechternde Pandemielage auszusetzen. Anders als im vergangenen Jahr, als im Frühjahr Zwangsräumungen verschoben worden waren, war die Mehrheit im Senat nicht bereit, einen Aufschub mitzutragen. So könnten in nächster Zeit weitere Räumungen anstehen.