Künstlicher Komplize
Wenn es um Künstliche Intelligenz (KI) geht, kursieren jede Menge Schreckensvisionen. Die unvermeidliche dystopische Erzählung geht ungefähr so: KI wird dem Menschen schon bald intellektuell überlegen sein. Mittels Neurotechnologie werden Menschmaschinen erschaffen, die um ein Vielfaches funktions-, leistungs- und lernfähiger sein werden als der herkömmliche leibliche Mensch. Unsere eigenen Kreationen werden uns übertrumpfen.
Murray Shanahan, Professor für kognitive Robotik in London, schrieb kürzlich in seinem lesenswerten Buch »Die technologische Singularität« über den Stand in der KI: »Wenn das hergestellte Ding die Intelligenz selbst ist, also genau jene Entität, die diese Herstellung durchführt, dann kann sie sich anschicken, Verbesserungen an sich selbst vorzunehmen.« Somit sähe man langsam den »Kipppunkt« näherkommen, »an dem menschliche Technologie den normalen Menschen in technologischer Hinsicht obsolet werden lässt«.
Musikalisch macht das Album mindestens so viel Spaß, wie es einen intellektuell fordert: Meist sind frickelige Tracks zu hören, man kann Anleihen bei IDM und Footwork erkennen.
Was all das mit dem neuen Album von Mouse on Mars zu tun hat? Nun, eine ganze Menge. Jan St. Werner und Andi Toma, die dieses Duo bilden, haben mit »AAI« (steht für »Anarchic Artificial Intelligence«) ein Werk vorgelegt, das konzeptuell genau hier ansetzt. Um den verbreiteten Ängsten entgegenzuwirken, müsse man im Denken über KI von vorn anfangen, sagt Jan St. Werner im Interview mit der Jungle World: »Wir müssen uns fragen: Was ist Intelligenz eigentlich? Was ist das Wesen von Künstlicher Intelligenz? Welche KI wollen wir, was soll sie leisten, wie selbständig kann sie sein? Und wie kann der Mensch sich zu ihr verhalten?«
Auf »AAI«, das bereits Ende Februar erschienen ist, versuchen Mouse on Mars, Antworten zu formulieren. Dazu haben sie gemeinsam mit der Berliner Agentur für Technologieentwicklung »Birds on Mars« selbst eine KI entwickelt. Diese spricht die Lyrics auf dem Album ein, sie wurde zuvor mit Texten und der Stimme des Bostoner Kulturwissenschaftlers Louis Chude-Sokei gefüttert. Dieser beschäftigt sich wiederum in seinen Texten mit Künstlicher Intelligenz und hat für das Album den begleitenden Essay »Anarchic Artificial Intelligence« geschrieben. Das also ist eine erste Pointe des Albums: Man hört eine KI, die sich wissenschaftlich mit KI auseinandersetzt.
Im beiliegenden Essay erklärt Chude-Sokei, dass die Furcht vor Maschinen in der Geschichte oft groß gewesen sei – mit KI verhalte es sich nicht anders. Dabei hätten es Maschinen dem Menschen doch schon immer ermöglicht, »neue Dinge zu machen und zu erstellen, neue Dinge zu denken und ersinnen. Durch sie kamen neue Wünsche auf, manche davon so stark, dass nur Maschinen sie erfüllen konnten.« Chude-Sokei plädiert für einen Techno-Optimismus, der politische Implikationen hat. Er will die Schaffung von Werkzeugen verstanden wissen als etwas, bei dem der Mensch der bewusst Handelnde, der Entscheidungsträger bleibt. Zudem erinnert er daran, dass der Mensch in der Geschichte nicht nur Werkzeuge aus totem Material kreiert hat, sondern auch solche aus Fleisch und Blut: Sklaven. Legitimiert wurde das in der Neuzeit durch eine Fiktion namens race. Künstliche Intelligenz wirkt dagegen wie die humane Alternative.
Was man über Intelligenz und Künstliche Intelligenz zu wissen glaubt, müsse man hinter sich lassen, so Jan St. Werner. »Unser Begriff von Intelligenz ist viel zu eng und einschränkend. Wir verstehen Intelligenz als etwas sehr Lineares, im Grunde einer Computerlogik ähnlich: Man hat eine Ausgangssequenz, und als ›intelligent‹ gilt es, wenn sie sich ausgehend von den vorhergehenden Informationen stringent weiterentwickelt.« Die Idee von Mouse on Mars sei es dagegen, KI eben nicht lösungsorientiert und linear zu verstehen, sondern »anarchischer«. »Wir haben uns gedacht: Wenn man die KI von dieser Optimierungsstrategie befreien könnte, dann könnte sie doch auch ganz anders sein: Sie könnte empathisch und kommunikativ sein und sich mit anderen KI vernetzen, oder sie könnte an einem bestimmten Punkt ansetzen, dann aber die Spur wechseln und an unerwarteten Stellen wieder erscheinen.«
Die KI tritt auf dem Album lediglich in Form von Stimmen auf – die Musik auf »AAI« haben hingegen Musiker erstellt: mit unterschiedlichen Synthesizern und mit der von Oliver Greschke entwickelten App Elastic Drums, die über die bandeigene Plattform Mominstruments im Apple-Store zu beziehen ist. Wie schon auf vielen Alben zuvor haben Mouse on Mars auch wieder mit dem Perkussionisten Dodo NKishi zusammengearbeitet.
Musikalisch macht das Album mindestens so viel Spaß, wie es einen intellektuell fordert: Meist sind frickelige Tracks zu hören, man kann Anleihen bei IDM und Footwork erkennen. An afrikanische Sounds und Rhythmen zu denken, wie man sie etwa vom ugandischen Label Nyege Nyege kennt, liegt da nicht fern. »Es gibt oft sehr eigenartige Taktmaße und Zusammenbrüche in der Rhythmik. Oder aber es laufen Spuren polyrhythmisch über- oder gegeneinander. Solche Effekte ziehen sich durch das gesamte Album«, so St. Werner.
Zu den vielen klickernden und klackernden Klängen, zu den repetitiven Sounds hört man – zum Beispiel beim Song »Speech and Ambulation« – die KI mit der Stimme von Chude-Sokei neue Ideen entwickeln: »Among the machines we know different. Desire is the precondition of knowledge (…) consciousness is optimization (…) but that was our stereotype of machine intelligence. We have very little understanding of how knowledge and consciousness actually worked.«
Einen dramaturgischen Höhepunkt erreicht das Album, wenn eine zweite KI-Stimme dazustößt. Die Programmiererin Yağmur Uçkunkaya von Birds on Mars hat eine zweite KI auf ihre eigene Stimme trainiert, in »Artificial Authentic« trifft KI Nummer zwei auf KI Nummer eins. »What are you?« fragt Nummer zwei. »Artificial Authentic«, antwortet Nummer eins. Dazu ertönen housige, dancefloortaugliche Klänge – ein großer Popmoment des Albums.
Auf der theoretischen Ebene geht es Mouse on Mars auch darum, wie der Mensch sein Werkzeug künftig definiert wissen will. Dazu St. Werner: »Wir wollten einen weiteren Aspekt dazudenken: Die Werkzeuge können selbst Werkzeuge entwickeln, um ihre Identitäten zu gestalten. Sie können zu etwas anderem, etwas Neuem werden. Das muss aber deshalb noch lange nicht ein Werkzeug sein, das sich gegen den Menschen richtet und ihm mit dem Hammer den Schädel einschlägt – so wäre das dystopische Klischee. Aber die KI kann ja auch zum Komplizen oder Inspirator werden.«
Den Optimismus ziehen Mouse on Mars nicht zuletzt aus ihrem eigenen Handeln. Gemeinsam mit den Namensvettern von Birds on Mars ist es ihnen gelungen, »ohne die Hilfe von Google oder anderen Tech-Firmen«, wie St. Werner betont, eine KI zu kreieren. Diese KI sei alles andere als unzugänglich, im Gegenteil, man könne sie hacken und durchbrechen.
Damit kommt man am Ende dieses futuristischen Experiments namens »AAI« zur Machtfrage zurück. Wer beherrscht wen? Auch da zeigt sich St. erner optimistisch: Der Einzelne könne im Rahmen einer »politisch motivierten Start-up-Kultur«, die es zu entwickeln gelte, viel erreichen. Aus all dem, was Mouse on Mars mit »AAI« gemacht haben, leitet er ab: »Der Schritt von der Idee zur Umsetzung ist kürzer als der von der Ohnmacht zur Selbstermächtigung.«
Die Utopie, die Mouse on Mars entwickelt haben, darf man entsprechend als eine Art Manifest einer Grassroots-Tech-Bewegung verstehen. Denn, so St. Werner, der global dominante KI-Entwurf spiegle eine Silicon-Valley-Utopie wieder, in der nur wenige repräsentiert seien: »Privilegierte weiße Männer optimieren sich in einen kalifornischen Himmel, und alles sieht so aus wie in einem Katy-Perry-Video. Immerhin taucht auch Snoop Dogg auf, aber das ist nur ein Randaspekt dort. Diesem Narrativ wollten wir etwas entgegensetzen.«
»AAI« kommt einem vor wie eine technologische Off-road-Rallye: Manchmal muss sich der Hörer mühevoll durch schweres Gelände arbeiten, am Ende aber ist jede der 20 Etappen ein großes, verspieltes und verspultes Abenteuer.
Mouse on Mars: AAI (Thrill Jockey Records)