Nena aus Kassel
»Zweite Chance« steht in unscheinbaren Lettern auf dem Briefkasten. Die Villa in Berlin-Dahlem gehört nicht zu den wirklich beeindruckenden. Doch diese Dezenz ist durchaus Kalkül. In der Therapieeinrichtung wird alternden Prominenten geholfen, die schon länger den Anschluss verpasst haben und sich nun mit modernsten digitalen Mitteln ein neues Image verschaffen wollen.
Tilde Rautzenberg, die Leiterin von »Zweite Chance«, begrüßt uns in der eichengetäfelten Lobby. »Von einer Kundin haben Sie sicherlich in letzter Zeit gehört – nennen wir sie einfach mal ›Nina, die Sängerin‹. Bei uns wird Anonymität großgeschrieben, genau wie im Duden.« Nina lebe schon seit Jahrzehnten von Tantiemen, die im wesentlichen auf ihre Hits aus den Achtzigern zurückgehen. In letzter Zeit informiere sie sich nur mehr aus Gratiszeitungen und von der Rückseite ihrer Haferflockenpackung. »Frau Nina war relativ leicht zu helfen: Instagram-Kanal einrichten, Youtube-Abo der wichtigsten alternativen Medien, eigener Telegram-Account.« Innerhalb von wenigen Wochen sei es Nina gelungen, sich komplett neu zu erfinden: »Aus dem ausgebrannten Schlagersternchen wurde wieder eine echte Persönlichkeit. Eine Person, die 10 00 Querdenklern Rückhalt gibt – und Zuversicht.« Und der Name sei wochenlang in den Schlagzeilen, fast wie früher.
Das Wirken von »Zweite Chance« ist in letzter Zeit überall zu beobachten, auch wenn der Name der Agentur dabei nicht fällt. »Das kann auch ruhig so bleiben«, schmunzelt Rautzenberg. Da ist der Vegan-Koch, der plötzlich anfängt, über Satanismus zu recherchieren, oder die Schriftstellerin, die inmitten der Pandemie die Notwendigkeit des Sterbens erklärt. »Es ist ein bisschen so wie umschulen«, sagt Rautzenberg, »aber die meisten unserer Klientinnen und Klienten müssen gar nicht so viel Neues lernen. Peinlich waren sie vorher schon, wir geben ihrer Peinlichkeit nur einen neuen Schub.«
Die »Zweite Chance« kündigt noch viele überraschende Comebacks für dieses Jahr an. »Ich will nicht zu viel versprechen«, sagt Rautzenberg, »aber wenn eine gewisse Kanzlerin in Pension ist, wird der Youtube-Markt eventuell komplett neu aufgemischt!«