01.04.2021
Matthew »Slim« Moon, Gründer des Musiklabels Kill Rock Stars, im Gespräch

»Wir haben uns immer als Punklabel verstanden«

Das US-amerikanische Label Kill Rock Stars wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Matthew »Slim« Moon, der Chef und Gründer des Labels, erzählt im Interview von der Musikszene am Unternehmenssitz Olympia, Washington, und vom neu erwachten Interesse an der Geschichte der Rockmusik.

Im Februar 1991 hast du das Punk­label Kill Rock Stars (KRS) gegründet, das in seiner Frühphase von dir und der Künstlerin Tinuviel Sampson betrieben wurde, die ein paar Jahre später an die Ostküste ging, um ihrerseits das Label Villa Villakula zu gründen. Du hast mit Wordcore-Singles angefangen, bald darauf hast du auch Musik verlegt. Ihr wart sehr orientiert an der Szene vor Ort, habt euch auf Bands aus Olympia konzentriert und die Riot-Grrrl-Bewegung aktiv unterstützt. Über die Jahre wurde aus dem kleinen, lokalen Punk­label dann eines der führenden Indielabels der USA.
KRS war tatsächlich sehr lokal orientiert. Alle Bands, mit denen ich zusammen Alben machen wollte, kamen aus Olympia – auch wenn Bikini Kill und Bratmobile 1992 zeitweise nach Washington, D.C., gezogen waren, als wir dann mit der Zusammenarbeit tatsächlich begannen. Ich kannte viele der Bandmitglieder schon seit Jahren, lange bevor diese Gruppen gegründet worden waren. Zwar waren sie kurz woanders, als wir anfingen, aber noch immer Teil unserer Szene. Die Band, die dann wirklich unseren Plan änderte, waren Huggy Bear aus England – die hatten uns einen wahren Liebesbrief geschickt und darum gebeten, ihre Platten in den USA zu verlegen. Ich hatte da ohnehin schon Pläne, das Label wachsen zu lassen, und wir haben dann einfach unser Programm abgewandelt. Künstlerinnen mit einer anderen Vorgeschichte – Mary Lou Lord, Phranc und Juliana Luecking – beteiligten sich, Bands zogen nach Olympia, und irgendwann veröffentlichten wir einfach Musik von Bands von überall und entwickelten uns weiter.

Euer Selbstverständnis ebenso?
Wir haben uns immer als Punklabel verstanden, auch wenn wir ein paar Hardcore- und Punkbands im traditionelleren Sinne bei uns hatten, bevor dann auch Indiebands ihre Alben bei uns veröffentlichten. Später haben wir dann unsere erfolgreicheren Platten von Matador, Domino, City Slang und anderen europäischen Labels lizenzieren lassen, damit sie dort auch wirklich in die Läden kamen. Viele Punklabels, die gleichzeitig oder kurz nach uns starteten, hielten nicht lange durch. Ein paar tolle Labels aus jener Zeit existieren aber nach wie vor, und einige sind unabhängig geblieben. Manche sind Teil eines größeren Netzwerks und finanziell selbständig, so wie Sub Pop, andere – so wie wir – sind zur Gänze unabhängig und haben mit Major-Labels nichts zu tun.

Euer Programm und eure Reichweite haben sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wenn man zurückschaut, sieht man, dass das Album, das euch den entscheidenden Schub gegeben hat, Sleater-Kinneys 1997 veröffentlichtes drittes Album »Dig Me Out« war.
Ja. Davor spielten Corin Tucker bei Heavens to Betsy und Carrie Brownstein bei Excuse 17, die jeweils ein ­Album auf KRS veröffentlicht hatten. Die beiden hatten mich angesprochen, weil sie ein Nebenprojekt hatten, und mich gefragt, ob ich nicht ihr erstes Album veröffentlichen wollen würde. Das lehnte ich ab, weil mich damals schlichtweg zu viele Leute darum baten, ihre Neben­projekte herauszubringen, was mich frustrierte, weil ich mich auf Hauptbands konzentrieren wollte. Sleater-Kinney veröffentlichten ihre beiden ersten Alben deshalb auf Chainsaw, dem Label von Donna Dresch. Als dann klar war, dass Sleater-Kinney wirklich Tuckers und Brownsteins Schwerpunkt geworden war, brachten wir »Dig Me Out« raus, ihre dritte LP, die wirklich hervorragend ankam. Das im selben Jahr veröffentlichte Album von Elliott Smith (»Either/Or«, Anm. . ed.) war ebenfalls ein Durchbruch. Die Szene in Olympia war überaus kreativ, und wir als ­lokale Labels wie K Records und KRS schufen eine Situation, in der Bands wie Unwound, Bikini Kill oder Sleater-Kinney wussten, dass sie jederzeit aufnehmen konnten – wir gaben ihnen das nötige Gerüst.

War das denn stabil?
Bekommt eine Szene viel Aufmerksamkeit, verändert sie sich unweigerlich. Eifersucht und Konflikte nehmen zu, und neue Leute ziehen in die Stadt – manche brennen darauf, ihre Helden zu treffen, andere hoffen, von einem Label unter Vertrag genommen zu werden, das vor Ort die Dinge bewegt. Vor der Explosion von Grunge gab es sehr originelle Bands in Seattle, dort waren Drogen aber ein immenses Problem, das die Kreativität untergrub. Als Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden zu Weltruhm gelangten, ruinierte das die Musikszene in Seattle für Jahre. Als hingegen Olympia internationale Aufmerksamkeit erlangte, vermochte es die dortige Szene, nicht zu groß zu werden, so dass die Stadt für eine lange Zeit ein kreativer Ort blieb, an dem viele ausgezeichnete Alben entstanden. Ich finde, dass aus Olympia noch bessere Alben kamen als aus Seattle oder Portland.

Irgendwann hast du KRS verlassen. Was war passiert?
Das Label hatte viel veröffentlicht. Wir hätten es wie Dischord handhaben können – wenige, sorgsam ausgewählte Alben pro Jahr –, hatten uns aber dazu entschieden, viel herauszubringen, zwischen 1998 und 2003 gewiss zu viel. Sleater-Kinney waren bei uns, die in den neunziger Jahren die Lieblinge der Musikkritiker waren, direkt nach Radiohead. Mir war irgendwann langweilig geworden, weswegen ich all diese Firmen ins Leben rief. Abgesehen vom KRS-­Sublabel 5RC, das ich noch betrieb, machte ich einen Plattenladen auf, gründete eine Booking-Agentur, eine Marketing-Agentur, organisierte ein paar Festivals und managte Bands, die nicht bei KRS unter Vertrag waren. Das tat ich eine Weile, bis ich mich dazu entschied, aufs College zu gehen und einen Abschluss für das Priesteramt zu erwerben, weil ich vorhatte, Pastor zu werden. Ich habe das auch beendet, mich dann aber gegen diesen Weg entschieden.

Warum?
Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich KRS verließ, zeigten sich bei mir seltsame Krankheitssymptome, die immer schlimmer wurden. Dass ich die Karriere wechselte und versuchte, Pastor zu werden, war ein Versuch, neben der Musik noch eine bedeutsame ­Sache im Leben zu verfolgen, bevor ich sterben würde. Dann wurde bei mir Borreliose diagnostiziert, und ich kam in Behandlung. 2013 kam die Wende, seither geht es mir langsam besser. Den Abschluss als Pastor habe ich gemacht, mich aber nicht zum Priester weihen lassen. Während dieser Jahre betrieb meine Frau Portia Sabin das Label. Sie hat dann eine neue Stelle in Tennessee gefunden, und wir machten genau das, was wir taten, als ich ihr vorgeschlagen hatte, das Label zu übernehmen: Sie bat mich, wieder bei KRS einzusteigen. Das tat ich dann 2018 auch.

Und jetzt, wo du in Tennessee lebst, betreibst du das Label aus einer weit entfernten Ecke des Landes?
Ja. Ich arbeite zu Hause, wie auch der Vice President und das Social-Media-Team – die einzige Person, die wirklich ins Büro muss, ist diejenige, die sich um den Versand kümmert.

Da die Covid-19-Pandemie alle Kulturbereiche schwer getroffen hat: Welchen unmittelbaren Herausforderungen musstet ihr euch 2020 stellen?
Im März, April und Mai 2020 veränderte sich alles grundlegend, alle waren verwirrt – es gab eine Menge Unsicherheit, wie man die Dinge nun handhaben sollte und wie lange das alles dauern würde. Im März und im April brachen die Verkäufe ein, weil die Plattenläden zumachen mussten und die großen Vertriebe zurückhaltend waren, was Einkäufe anbelangte. Unsere Veröffentlichungen wurden wir auf dem Weg nicht los, und unsere Bands mussten ihre Tourneen abbrechen oder absagen. Seit Mai 2020 ist es aber in Ordnung, zumal die Kundschaft der Plattenläden ­wieder Bestellungen aufgab. Unsere Bands hat das alles wirklich weitaus härter getroffen als uns als Label. Justin Ringle, der Sänger von Horse Feathers, lebt seit mehr als einem Jahrzehnt vom Touren, was er jetzt nicht mehr kann; deswegen ist er nun Bauarbeiter und hat geholfen, ein Einkaufszentrum zu errichten. Viele Musikerinnen und Musiker müssen ­gegenwärtig etwas ganz anderes machen. Und viele andere Menschen ohnehin.

Habt ihr schon Pläne für die Zeit nach der Pandemie?
Ich habe ein paar Bands unter Vertrag genommen, die sich selbst im Internet präsentieren können, ohne auf Tour gehen zu müssen, was auch ein Effekt der Pandemie ist. Bei uns sind nun Bands von überall, ob Texas, Kanada oder Israel – Mi’ens, Tamar Aphek, Tele Novella, Teke Teke –, die irgendwann auf Tour gehen werden, im Moment aber nicht darauf angewiesen sind.

Punk ist ein Genre, in dem es sehr schwer hat, wer über 30 Jahre alt ist. Was denkst du über euer 30jähriges Jubiläum in musikhistorischer Hinsicht?
Mir fällt auf, dass jüngere Leute wirklich auf respektvolle Weise interessiert sind. In den neunziger Jahren, als ich etwa 25 Jahre alt war, hatte ich zwar Lieblingsbands aus den sechziger und den siebziger Jahren, scherte mich aber nicht um Rock ’n’ Roll-Geschichten aus jener Ära – ich sagte damals immer: »Ach, wir machen heute doch so viel Interes­santeres!« Deshalb nahm ich an, dass junge Menschen sich nicht für unsere Geschichte oder für diejenige der Bands auf unserem Label interes­sieren würden. Das ist aber nicht der Fall. Viele junge Leute interessieren sich dafür und für die neunziger Jahre, genauso für die Jahrzehnte davor und die Geschichte von Rock ’n’ oll als solche.

Meinst du, dass KRS eines Tages 50 Jahre alt wird?
Falls das Label 50 Jahre alt werden sollte, wäre ich 73. Es gibt viele 73jährige, die das machen können – schließlich ist der Präsident des Landes, in dem ich lebe, über 70, und sein Vorgänger war das auch. Ich habe einen Sohn, der jetzt zehn Jahre alt ist, und manchmal kommt das Thema auf, ob das was für ihn sein könnte, wenn er älter ist. Falls er sich beteiligen möchte, wird es wahrscheinlicher, dass wir so lange weitermachen. Ich wäre sehr froh, wenn er das tun würde – aber nur, wenn er es wirklich möchte.