Wohin die Reise geht
Nach mehr als einem Jahr globaler Pandemie packt viele eine offenbar unwiderstehliche Reiselust. Pünktlich zur Osterwoche, die in Spanien als Heilige Woche (Semana Santa) bezeichnet wird, steuern wieder vollbesetzte Chartermaschinen die Ferieninsel Mallorca an. Das ist kurzfristig nützlich für die marode Tourismuswirtschaft, birgt aber erhebliche Risiken. Den Plänen der Regierung zufolge sollen 70 Prozent der Bevölkerung bis Ende Juni, zum Beginn der Sommersaison, gegen Covid-19 geimpft worden sein, bislang aber haben nur etwa 15 Prozent eine Impfdosis erhalten.
Zwar waren in Spanien strengere Regeln für die Osterwoche vorgesehen, aber wie auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel revidierte die spanische Regierung ihre Pläne. Es liegt nun bei den Regionen, ob sie nächtliche Ausgangssperren ausweiten, nichtlebensnotwendige Geschäfte, Tapas-Bars und Restaurants abends schließen und die Mobilität einschränken. Zumindest hat Andalusien wie im Vorjahr die Karwochenprozessionen abgesagt, bei denen sich Menschenmassen in den Stadtzentren gedrängt hätten.
So dürfen die meisten Spanierinnen und Spanier ihre Heimatregion, teils ihre Heimatprovinz, bei hohen Ansteckungsraten in ihrer Wohngemeinde, nicht ohne triftigen Grund verlassen. Aber es kommen Urlauber und Urlauberinnen aus Staaten, die zurzeit höhere Infektionsraten melden als etwa die Region Balearen, zu der Mallorca gehört. Dorthin reisen überwiegend Deutsche und Briten; Appelle der Regierungen, aus Eigenverantwortung auf solche Reisen zu verzichten, werden vielfach ignoriert. Das Paradoxon, dass zwar Urlauber kommen, aber Spanier nicht in ihrem Land verreisen können, sorgt für Unmut und Unverständnis. »Wir halten uns strikt an die Vorgaben der EU«, so die Rechtfertigung der Außenministerin Arancha González Laya.
Virologen und Epidemiologen warnen bereits davor, was die Reisenden für die dort bereits beginnende vierte Welle der Pandemie bedeuten könnten. Inzwischen dominiert auch in Spanien die infektiösere und tödlichere britische Virusvariante.
Die Talsohle am Ende der dritten Welle wurde Anfang bis Mitte März erreicht, als die in Spanien meist angegebene 14-Tage-Inzidenz pro 100 00 Einwohner auf den Balearen unter 20 gesunken war; damit schien Reisefreiheit möglich. Mittlerweile ist der Wert wieder auf über 50 gestiegen, das gilt als mittleres Risiko. Spanienweit lag die 14-Tage-Inzidenz Ende vergangener Woche über 130. Urlaubsrückkehrer werden einen negativen Test brauchen, der nicht älter als 48 Stunden ist, ebenso jeder, der nach Spanien einreist. Auf Mallorca wachen nun auch Drohnen und Helikopter darüber, dass die Abstandsregeln und Ausgangssperren eingehalten werden. Derzeit soll der Bar- und Restaurantbetrieb, bei dem Innenbereiche für Gäste ohnehin gesperrt sind, um 17 Uhr schließen, früher als in anderen Regionen.
Während Sonne, Strand, Meer und wohl nicht zuletzt die berüchtigten Partyzonen Ballermann und Magaluf Deutsche und Briten anlocken, zieht es junge Franzosen eher nach Madrid, wo sie – anders als in Paris, Lyon oder Marseille – bis 23 Uhr Bier und Wein in Bars und Kneipen kippen können. Der Andrang freut die Inhaber und auch die Präsidentin der Autonomieregion Madrid, Isabel Díaz Ayuso vom rechtskonservativen Partido Popular (PP), der hofft, seine Mehrheit bei den Wahlen am 4. Mai ausbauen zu können. »Die Franzosen besuchen die Museen der Stadt«, behauptete sie, was spöttische Memes auf Twitter nach sich zog. Nur eine verschwindend kleine Minderheit besucht die Sammlungen des Prado, des Museo Reina Sofía oder der Baroness Thyssen-Bornemisza. Das Gros gibt sich ausgiebigem Alkoholkonsum hin und vergisst dabei oft auch die generell geltende Maskenpflicht.
Bis zum 9. April dürfen sich im Freien bis zu sechs Personen, in Wohnungen bis zu vier Personen aus maximal zwei Lebensgemeinschaften treffen. Die Mindeststrafe bei Vergehen beträgt 600 Euro. Als Grenzwert für die Schließung der Gastronomie gilt eine 14-Tage-Inzidenz von 150, doch Andalusien weigert sich, die Vorgabe der Regierung zu befolgen. Navarra hingegen schloss bereits prophylaktisch jegliche Innenbereiche von Restaurants und Bars.
Der Rückgang beim Tourismus ist ein ökonomisches Problem für Spanien, die Branche hat einen Anteil von mehr als zwölf Prozent an Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung.
Der Rückgang beim Tourismus – auch dem Binnentourismus – ist ein ökonomisches Problem, die Branche hat einen Anteil von mehr als zwölf Prozent an Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung. Gastronomie und Hotellerie protestierten wiederholt gegen die Regierung, weil Hilfszahlungen zu gering ausfielen oder ganz ausblieben. Nun hat die linke Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und Unidas Podemos Konjunkturhilfen in Höhe von elf Milliarden Euro beschlossen, knapp sieben Milliarden davon gehen über die Autonomieregionen an den Tourismus- und Gastronomiesektor.
Die Hilfen seien willkommen, kämen aber spät und seien viel zu gering, kritisieren Branchenverbände. Mehr als 875 00 Beschäftigte im Tourismus haben bereits ihre Arbeit verloren oder sind in Kurzarbeit. Der Dachverband Exceltur, der hinsichtlich der Osterwoche weitgehend resigniert hat, beweist etwas Weitblick. »Es geht jetzt darum, nicht auch noch den Sommer zu verlieren«, betont dessen Vizepräsident José Luis Zoreda. Eine vierte Welle wäre bis zur Hauptsaison im Sommer kaum bewältigt.
Am Flughafen Málaga war es am Freitag vergangener Woche ruhig. Es landeten nur wenige Flüge aus Deutschland und unter den Passagieren waren kaum Urlauber, sondern vor allem Deutsche und Spanier, die Familienmitglieder besuchen. Aus Marokko kamen mehr Flüge an, wegen des nahenden islamischen Fastenmonats Ramadan, der am 13. April beginnt.
Wohin aber zieht es die Spanier, die verreisen? In der Dominikanischen Republik freue man sich über zahlreiche Reservierungen aus Spanien, primär Madrid, betont die Hotelgruppe Meliá. Aber auch in Mexiko landen ausgebuchte Flüge aus Madrid mit Urlaubern und Urlauberinnen. Im Mai erwartet auch Kuba einen neuerlichen Zustrom an Urlaubern aus Spanien und anderen europäischen Ländern.