Prozessauftakt gegen die mutmaßliche Terrororganisation »Gruppe S.«

Hochsicherheit gegen Umsturzpläne

In Stuttgart hat ein Prozess gegen elf Männer begonnen, die mutmaßlich mit Anschlägen auf Moscheen einen Bürgerkrieg auslösen wollten. Recherchegruppen kritisieren, dass nicht alle Beteiligten angeklagt sind und die rechtsextremen Netzwerke, in die die Gruppenmitglieder eingebunden waren, ignoriert werden.

Die Angeklagten der nach ihrem Anführer Werner S. benannten mutmaßlich rechtsterroristischen »Gruppe S.« sind im Saal am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim durch eine Panzerglasscheibe vom Medien- und Zuschauerbereich getrennt. Am 13. pril hat der Prozess unter hohen Sicherheitsstandards begonnen. Acht Angeklagten wird die Gründung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, dreien die Mitgliedschaft und einem die Unterstützung. Hinzu kommen bei sieben Personen Verstöße gegen das Waffenrecht wegen Waffenbesitz. Einer der zwölf Angeklagten, Ulf R., starb im Juli vergangenen Jahres in Untersuchungshaft, die Ermittlungsbehörden gehen von Suizid aus.

Die Anklageschrift wirft den mutmaßlichen Mitgliedern der »Gruppe S.« eine »rechtsextremis­tische und bisweilen offen national­sozialistische Gesinnung« vor.

Die Anklageschrift wirft ihnen eine »rechtsextremistische und bisweilen offen nationalsozialistische Gesinnung« vor. Konkret sollen sie geplant haben, alleine oder in Kleingruppen Moscheen anzugreifen und so viele Muslime wie möglich zu ermorden oder zu verletzten. Erwogen wurden der Anklage zufolge auch Anschläge auf prominente Grünen-Politiker wie Anton Hofreiter oder Robert Habeck. Die Gruppe habe auf ihre Anschläge ebenso gewalttätige Reaktionen erwartet, die einen Bürgerkrieg hätten auslösen sollen. Dieses Tag-X-Szena-
­rio hätte Deutschland wieder zu einer ethnisch homogenen Nation, einer na­tionalsozialistischen Gesellschaft machen sollen.

Die Vorstellung eines ethnisch und ­religiös motivierten Bürgerkriegs ist ein unter Rechtsextremen verbreiteter Wunschtraum, der im Milieu weißer Supermatisten vor allem in den USA als »Racial Holy War« gegen Juden und andere »niedere Rassen« diskutiert
­wird. Damit wandelte die »Gruppe S.« auf den Spuren von Anders Breivik oder Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen ermordet hatte.

Zu diesem Ziel haben sich der Anklageschrift zufolge die Männer unterschiedlichen Alters, von Jahrgang 1959 bis 1989, zusammengefunden, zunächst über diverse Online-Gruppen. 2019 gab es ein Treffen in Baden-Württemberg, weitere seien geplant gewesen. Die Männer seien zum Teil bereits vorher als Extremisten politisch auffällig gewesen, vor allem in sogenannten Bürgerwehren wie »Wodans Erben«, »Freikorps Heimatschutz Di­vision 2016 – das Original«, »Bruderschaft Deutschland« oder »Viking Security Germania«. In Chatgruppen und durch die Teilnahme an Demonstrationen hätten sich die Beschuldigten weiter radikalisiert. Ihre Feindbilder seien Muslime, Juden und politisch Andersdenkende, die man zu jagen habe.

Bei Werner S. habe sich seit 2014 die Überzeugung verfestigt, dass etwas gegen die »drohende Überfremdung« Deutschlands getan werden müsste. Spätestens ab Mitte 2019 sei er dann im Internet auf die Suche nach gewaltbereiten Gleichgesinnten gegangen, mit der Absicht, ihm als geeignet erscheinende Personen näher kennenzulernen und in seine Anschlagspläne einzubinden. Hierfür habe er auch Kontakt zu Führungsper­sonen extrem rechter Gruppierungen gesucht, um mehr Mobilisierung zu erreichen.

Bei einem Treffen im Februar 2020 in Minden habe der mutmaßliche Gruppen-Gründer Werner S. der Anklageschrift zufolge gesagt, er wolle »einen Sturm der Gerechtigkeit herbeizuführen« und die geplanten Anschläge als »letzten Versuch, mit einem Haufen Leuten etwas zu reißen« bezeichnet. Der in den rechtsextremen Chatgruppen als »Teutonico« bekannte Werner S. ist ein unter andrem wegen etwa wegen Betrug und Erpressung vorbestrafter Rechtsextremist. Die Mitglieder der Gruppe seien von ihm und Tony E., den S. als seine »rechte Hand bezeichnete« auf ihre Bereitschaft hin, zu töten und getötet zu werden, überprüft worden, so die Anklage.

Da die Beteiligten noch nicht über ausreichend Waffen verfügten, sollten 50 00 Euro gesammelt werden, um unter anderem in der Tschechischen Republik Pistolen zu erwerben. Der ­einzige nur als Unterstützer Angeklagte, der 61jährige Thorsten W., aus Hamm habe 500 Euro beisteuern wollen. W. war bis zu seiner Verhaftung Regierungsamtsinspektor bei der Polizei. Bei der Durchsuchung seines Hauses fanden die Ermittler NS-Devotionalien und Fotos, auf denen W. in Wehrmachtsuniform zu sehen ist.

Die Ermittlungsbehörden verhafteten die mutmaßlichen Mitglieder ­der »Gruppe S.«und durchsuchten ihre Häuser und Wohnungen am 14. Februar 2020. Bei den Razzien sind der Oberstaatsanwältin Judith Bellay zufolge funktionsfähige Waffen, deren Besitz strafbar ist, gefunden worden, wie mehrere Pistolen und Langwaffen, außerdem Munition, Schwerter, Messer und ein selbstgebauter Speer. Zwei der Waffenbesitzer, Frank H. und Thomas N., war generell verboten, Waffen zu haben.

Der Informant Paul-Ludwig U., dessen Auskünfte die Ermittlungen überhaupt erst ins Rollen brachten, sitzt im Gerichtssaal von den übrigen Angeklagten getrennt neben seinen Anwälten. Er wird der Hauptbelastungszeuge sein und gilt den übrigen Angeklagten als »Verräter«. Werner S. soll nach Informationen des SWR versucht haben, aus der Untersuchungshaft heraus einen Mord gegen U. in Auftrag zu geben.

Einzelne Anwälte versuchten am zweiten Prozesstag in Stellungnahmen, den Hauptbelastungszeugen Paul-Ludwig U. als unglaubwürdig darzustellen. Er hat eine kriminelle Vergangenheit und saß bereits mehr als 20 Jahre im Gefängnis, unter anderem wegen Geiselnahme. Am nächsten Prozesstag, den 20. April, soll der suspendierte Beamte Thorsten W. in Stammheim aussagen. Angesetzt sind zunächst 30 ­Verhandlungstage bis Mitte 2022. Einige Anwälte sind als Selbstdarsteller mit dem Hang zu langen Monologen bekannt, auch bekannte rechte Szene­advokaten sind darunter.

Unklar ist, wie gut politisch vernetzt die Angeklagten waren und wie sehr ihr privates Umfeld ihre Ansichten tolerierte oder gar teilte. Einige der Angeklagten gaben an, verheiratet oder verlobt zu sein, zu Prozessbeginn waren vor dem Gericht oder im Gebäude allerdings keine Angehörigen auszumachen.

Ebenso stellt sich die Frage, ob und wer auf der Anklagebank fehlt. So nennt die antifaschistische Rechercheplattform Exif die Namen von drei weiteren Männern aus Norddeutschland, die in die Planung involviert gewesen seien. In einem Chat der Gruppe waren zeitweise 35 Personen beteiligt.