Laborbericht: auf der Suche nach den letzten gemeinsamen Vorfahren aller irdischen Lebewesen

My Name Is Luca

Kolumne Von

Bei »Luca« denken die meisten vermutlich an eine Durchseuchungssoftware – pardon: App zur Kontaktnachverfolgung mit Sicherheitslücken von den Ausmaßen eines Braunkohle­tagebaus –, die als Patentlösung angepriesen wird, um Öffnungen für Veranstaltungen und Einzelhandel durchzusetzen. Ältere Jahrgänge haben vielleicht auch noch einen Song von Suzanne Vega zum Thema Kindesmisshandlung im Ohr, auch wenn es da um Luka aus dem Stockwerk drüber geht.

Wenn man sich für die Geschichte des Lebens auf der Erde interessiert, drängt sich aber eine weitere Assoziation auf: In diesem Zusammenhang steht das Akronym Luca für last universal common ancestor, also den letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen auf der Erde, von der Mikrobe bis zum Mammutbaum.

Dass es eine Urpopulation von einfachen Organismen gegeben haben muss, aus der heraus sich dann alles Übrige entwickelte, lässt sich daraus schließen, dass alle heutigen Lebewesen aus den gleichen Grundbestandteilen aufgebaut sind: DNA als Erbsubstanz, Proteine, die vor allem als zelluläre Maschinerie fungieren, und eine Lipidhülle, die das Ganze zusammenhält. Auch der genetische Code ähnelt sich in vielen Punkten so sehr, dass er mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht mehrfach unabhängig voneinander entstanden sein kann.

Es gehört zu den Wundern der Wissenschaft, dass man ganz ohne Zeitmaschine Näheres über Luca herausfinden beziehungsweise zumindest begründete Vermutungen anstellen kann. So lässt sich mit Hilfe einer auf der Mutationsrate des Erbguts basierenden »molekularen Uhr« zurückrechnen, dass der Urvorfahr vor mindestens 3,5 Milliarden oder vielleicht sogar 4,5 Milliarden Jahren gelebt hat. Anhand von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Genom heu­tiger Prokaryoten, also urtümlichen Einzellern ohne Zellkern, hat ein Forschungsteam der Universität Düsseldorf sogar extrapoliert, welchen Lebensstil er vermutlich gepflegt hat.

Der Studie aus dem Jahr 2016 zufolge lebte Luca von Kohlendioxid und Wasserstoff, die er zu organischen Verbindungen wie Methan oder Essigsäure umwandelte; Sonnenlicht wie bei der später entstandenen Photosynthese war dazu nicht erforderlich. ­Außerdem wird vermutet, dass Luca thermophil war, also möglicherweise an heißen Quellen am Meeresgrund lebte, die ja auch als Ursprungsort des Lebens auf der Erde diskutiert werden.

Das ist allerdings umstritten, und die Frage, wie aus abiotischen chemischen Reaktionen selbstreplizierende Systeme und schließlich schon recht komple­xe Organismen wie Luca entstanden, bleibt weiter das große Rätsel der Erdgeschichte. Vielleicht sollten wir späten Nachfahren statt Schrott-Apps also doch lieber eine Zeitmaschine hinterlassen, um selbst nachschauen zu können.