Das Wehen auslösende Medikament Cytotec gibt es in Deutschland nicht mehr

Importstopp mit Folgen

Das Bundesinstitut für Arzneimittel hat dafür gesorgt, dass das Medikament Cytotec nicht mehr nach Deutsch­land importiert wird. Das Wehen auslösende Mittel wird unter anderem für Schwangerschafts­abbrüche benötigt.

Seit Anfang April wird das Medikament Cytotec nicht mehr nach Deutschland importiert. Darauf einigte sich das Bun­desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit den drei Importfirmen. Im vergangenen Jahr ­hatten Berichte von Betroffenen über schwere Nebenwirkungen bei der Geburtseinleitung alarmistische Medienmeldungen ausgelöst. Unkontrollierbare Gebärmutterkontraktionen, sogenannte Wehenstürme, und durch Sauerstoffmangel geschädigte Babys wurden mit der Einnahme von Cytotec in Verbindung gebracht. Das BfArM hat nach eigenen Angaben wegen des »Risikos schwerwiegender gesundheitlicher Schädigungen für schwangere Frauen und ungeborene Kinder durch unsachgemäße Anwendung« im März auf die Firmen eingewirkt, auf ihre Importzulassungen zu verzichten. So habe »ein möglicherweise langwieriges Widerrufsverfahren verhindert werden« können, sagte der Pressesprecher des BfArM, Maik Pommer, der Jungle World. Der Hersteller Searle, der seit Anfang des Jahrtausends zu Pfizer gehört, hatte Cytotec in Deutschland bereits 2006 vom Markt genommen.

Deutschland ist in Hinblick auf den Anteil medikamentöser Abbrüche, die als weniger invasiv und damit schonender gelten, international abgeschlagen.

Der 2019 gegründete Verein Doctors for Choice kritisierte die Importbeschränkung, die das Medikament in Deutschland nahezu unzugänglich macht. Gemeinsam mit 15 Organisationen aus dem Frauengesundheitsbereich hat er in einem offenen Brief Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) scharf kritisiert. Die Unterzeichner fordern, den Zugang zu Cytotec wieder in ausreichendem Maß zu gewährleisten, da sonst die medizinische Betreuung von Frauen insbesondere in »tabuisierten Notsituationen« erschwert würde. Das Medikament wird als Wehenmittel, bei der Behandlung von Fehlgeburten, vor der Einlage einer Spirale, aber eben auch beim Schwangerschaftsabbruch verwendet. In einem Positionspapier zu der Kritik an dem Medikament schreiben die Doctors for Choice: »Es ist absurd, ein Medikament, das in einer ­speziellen Situation Komplikationen verursacht hat, auch für ganz andere Situationen oder Patient*innengruppen zu sperren.«

Cytotec enthält Misoprostol, einen synthetisch hergestellten Abkömmling des natürlich vorkommenden Gewebehormons Prostaglandin E1, und bewirkt unter anderem die Öffnung des Muttermunds und Kontraktionen der Gebärmutter. Das Medikament wird in Deutschland in der Gynäkologie und Geburtshilfe vor allem im sogenannten off-label use verwendet, das heißt, es wird verschrieben, um Wirkungen zu erzielen, die außerhalb des Wirkbereichs liegen, für den die Zulassung erteilt wurde.

Bei einem medikamentösen Abbruch wird die Schwangerschaft zunächst durch die Abtreibungspille Mifegyne beendet, danach sorgt die Einnahme von Cytotec ein bis zwei Tage später für die Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes. Vor einem chirurgischen Schwangerschaftsabbruch wird ebenfalls Cytotec gegeben, um den Muttermund zu erweichen und Verletzungen zu vermeiden. Jährlich finden in Deutschland insgesamt etwa 100 00 Schwangerschaftsabbrüche statt – es ist damit einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe. Die Bundesrepublik ist in Hinblick auf den Anteil medikamentöser Abbrüche, die als weniger invasiv und damit schonender gelten, international abgeschlagen: Während in Ländern wie Schweden, den Niederlanden oder Großbritannien über 70 oder gar 80 Prozent aller Abbrüche medikamentös stattfinden, waren es hierzulande im vergangenen Jahr nicht einmal 30 Prozent.

Die Gynäkologin Christiane Tennhardt, die bei Doctors for Choice tätig ist, sagt der Jungle World: »Durch den Importstopp für Cytotec entsteht eine Lücke in der medizinischen Versorgung bei zahlreichen gynäkologischen Eingriffen. Cytotec war das Mittel der Wahl, denn es ist am besten erforscht.« Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hatte bereits im Februar vergangenen Jahres in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass über 80 medizinische Studien die Sicherheit und Effektivität des Wirkstoffs belegen.

Derzeit sind zwei weitere Misoprostol-Präparate auf dem deutschen Markt verfügbar. Das eine, Misoone, ist seit 2018 auch für Schwangerschaftsabbrüche zugelassen, das heißt, hier ist kein off-label use nötig. Allerdings gilt die Zulassung nur bis zur fünften Schwangerschaftswoche, in diesem Zeitraum finden aber nur knapp neun Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche statt. Ein weiteres Problem ist der erhöhte bürokratische Aufwand für die Ärzte und Ärztinnen, da »die Verwendung jeder einzelnen Tablette dokumentiert« werden müsse, so Tennhardt. Außerdem ist Misoone fünfmal so teuer wie Cytotec.

Daneben gibt es noch das Arthrosemittel Arthrotec, das Misoprostol sowie das Schmerzmittel Diclofenac enthält. Es könnte zwar im gynäkologischen Bereich off-label angewendet werden, allerdings gibt man damit unter Umständen überflüssige Schmerzmittel. Außerdem gibt es kaum Studien über solche Einsätze.

Da Misoprostol ein wichtiger Arzneistoff für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, skandalisieren auch Abtreibungsgegner dessen Bereitstellung. Die Fraktion der AfD stell­te im vergangenen Jahr zwei Kleine Anfragen im Bundestag zu den Nebenwirkungen von Misoprostol in der Geburtseinleitung. Darin weist sie explizit darauf hin, dass Misoprostol auch für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch verwendet wird und so »die Abtreibung zu Hause begünstigt«. Durch den Importstopp wird der ohnehin restriktiv geregelte Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter erschwert. Der offene Brief von Doctors for Choice kritisiert, dass dadurch »weniger Praxen den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten« würden.