Small Talk mit der Initiative 12. August über einen Prozess wegen Sachbeschädigung

»Stasi-Unterlagen zeigen nicht immer die Wahrheit«

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Am ersten Verhandlungstag ein Verfahren wegen Sachbeschädigung gegen drei Künstlerinnen und Künstler eingestellt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, eine Erinnerungswand für zwei 1979 in der DDR mutmaßlich ermordete kubanische Vertragsarbeiter – Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret – gestaltet zu haben. Die Ini­tiative 12. August, die seit einigen Jahren die Einrichtung eines offiziellen Gedenkorts fordert, hatte vor dem Gerichtsgebäude eine Kund­gebung organisiert, auf der sich rund 70 Teilnehmende mit den Angeklagten solidarisch zeigten. Die Jungle World hat mit Clara und Andi von der Initiative gesprochen.

 

Sie haben die Verhandlung verfolgt. Was haben Sie dort erlebt?
Im Gerichtssaal hat ein Anwalt der Angeklagten eine einordnende Stellungnahme zu dem Wandbild verlesen – in der Anklageschrift wurde der Inhalt des Graffitos nur vage als »Buchstaben und Bilder« benannt. Außerdem hat er sehr lange über die Todesfälle von 1979 gesprochen und Parallelen zu den Attentaten von Hanau gezogen. Sowohl der Staatsanwalt als auch der Richter haben wohl gemerkt, dass es unverhältnismäßig ist, angesichts der mutmaßlichen Morde an Guerra und Paret einen Prozess wegen eines Graffitos zu führen. Ironischerweise war die Malerei ja der Anlass dafür, dass zum ersten Mal überhaupt vor Gericht über die beiden Vertragsarbeiter gesprochen wurde.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte sich vor kurzem mit ­einem weiteren mutmaßlich rassistisch motivierten Mordfall beschäftigt: Der mosambikanische Gastarbeiter Manuel Diogo wurde im Juni 1986 im Bezirk Halle tot neben einem Gleisbett aufgefunden. Die DDR-Behörden sprachen von einem Unfall, andere mutmaßten, dass er von Nazis verprügelt und aus einem fahrenden Zug geworfen worden sei. Die Staatsanwaltschaft kam nun zu dem Schluss, dass es keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen gebe. Was sagen Sie dazu?
Zunächst muss man sagen, dass es kein Ermittlungsverfahren gab, sondern es lediglich geprüft wurde, ob die Voraussetzungen für ein Ermittlungsverfahren vorliegen, nachdem die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (»Die Linke«) mit einer Kleinen Anfrage im Landtag auf den Fall aufmerksam gemacht hatte. Wenn die Staatsanwaltschaften in Potsdam und Halle heute keine Anhaltspunkte dafür sehen, Ermittlungen einzuleiten, heißt das nicht zwangsläufig, dass es keine Verbrechen gab. Oft zeigt der nachlässige Umgang mit Verbrechen an Vertragsarbeitenden eher den besonders entwerteten Status, den sie hatten. Deshalb betonen wir immer, dass die Stimmen von ehemaligen Vertragsarbeitenden und in die DDR migrierten Personen die zentrale Quelle sein müssen. In Gesprächen mit diesen bekommen wir immer wieder mit, dass es vermutlich viel mehr ungeklärte Todesfälle in der DDR gab, die nirgendwo erfasst wurden. Die Dunkelziffer von Verbrechen ist also womöglich viel höher. Sich bei der Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Migrationsgeschichte auf die Staatsanwaltschaften zu verlassen, scheint nicht zu funktionieren.

Worin besteht die Arbeit Ihrer Initiative?
Unser Schwerpunkt sind die Recherche und Thematisierung von Rassismus in der DDR sowie die Aufarbeitung von Verbrechen, ­sowohl in Merseburg als auch überregional. Dafür leisten wir viel Vernetzungsarbeit mit anderen Gedenkinitiativen. Zudem wollen wir die Perspektiven von ehemaligen Vertragsarbeitenden und Studierenden, die rassistische Gewalt in der DDR erlebt haben, in den Mittelpunkt stellen. Dass die Stadt endlich einen offiziellen Gedenk­ort für Guerra und Paret schafft, ist weiterhin unser Ziel.