Wie der »Green New Deal« zu einer Systemtransformation führen kann

Heraus aus den Verhältnissen

Damit der »Green New Deal« zu einem Bruch mit kapitalistischen Zwängen führt, braucht es die richtige Strategie.

Der »Green New Deal« ist ein linkes Dilemma. Kurz- bis mittelfristig ist er das realistischste linke Mobilisierungsprojekt, aber langfristig kann er den Widerspruch zwischen Kapitalverwertung und ökologischer Nachhaltigkeit nicht auflösen. Die Analysen von Jörn Schulz und Peter Bierl widersprechen sich weniger, als dass sie die Notwendigkeit eines strategischen Umgangs mit dem Konzept »Green New Deal« verdeutlichen. Wegen der von Schulz beschriebenen Schwäche der Linken scheinen alle sozial-ökologischen Bewegungsak­tivitäten unweigerlich darauf hinauszulaufen, dem Kapitalismus bloß bei seinen Versuchen zu assistieren, sich vor sich selbst zu retten. Wenn grünes Wachstum, das die Kapitalverwertung dauerhaft und umfassend von ihrer stofflichen Grundlage und damit vom Naturverbrauch entkoppelt, jedoch ebenfalls keine glaubwürdige langfristige Perspektive ist, wie Bierl in Übereinstimmung mit der Degrowth-Bewegung zu Recht betont, können Bewegungen unmöglich dabei stehenbleiben, dieses zu fordern.

Die Eigentumsordnung lässt sich so wenig über den Weg des parlamen­tarischen Normalbetriebs umkrem­peln, wie sie sich über ein orga­ni­sches Wachstum alternativer Freiräume verdrängen lässt.

Ließe sich also die von Schulz erhoffte »Radikalisierung des ›Green New Deal‹« bewerkstelligen, ohne dabei, wie Bierl warnt, der Illusion einer Rettung durch die »aufgeklärte Öko-Bourgeoisie« zu verfallen? Die Frage ist eine strategische: Wie wäre ein Weg vom »Green New Deal« als ökokeynesi­anischem Investitionsprogramm hin zu einer postkapitalistischen Transformation vorstellbar?

Der »Green New Deal« ist ein umkämpfter Begriff. Während die vagen Umrisse der Idee allmählich allgemein immer mehr Zustimmung erhalten, gibt es zwischen den damit verknüpften konkreten Ansätzen große Unterschiede. Die Spanne reicht von der neoliberalen Aneignung des Begriffs im »European Green Deal« der EU-Kommission über ökokeynesianische Konjunkturprogramme, die »grünes« Wachstum versprechen, das vielen zugute kommen soll, bis hin zu den linkssozialdemokratischen bis sozialistischen Konzepten der Democratic Socialists of America in den USA oder der Bewegung Demokratie in Europa 2025 (DiEM25). Letztere deuten eine post­kapitalistische Wendung an, bieten ­aber kaum Anhaltspunkte dafür, wie der Bruch mit dem kapitalistischen Wachstumszwang konkret aussehen könnte. Der pragmatische Fokus auf den nächsten fünf bis zehn Jahren ist politisch nachvollziehbar, aber aus Degrowth-Perspektive unbefriedigend.

Wie lässt sich also der Absprung vom bloßen Reformprogramm zur echten Transformation finden? Die dreigleisige Transformationsstrategie des marxistischen Soziologen Erik Olin Wright kann helfen, Antworten näherzukommen. Wright zufolge müssen drei Ansätze in ein produktives Verhältnis zueinander gesetzt werden: Symbiose, Freiraum und Bruch. Das lässt sich auf den »Green New Deal« übertragen.

Symbiose bezeichnet die Klassenkompromisse, die gängige »Green New Deal«-Konzepte anstreben. Trotz des Widerstands einiger Kapitalfraktionen kann zum Beispiel die sogenannte Energiewende ökologische Fortschritte bringen und zugleich Konjunkturef­fekte bewirken, die breiten Gesellschaftsschichten zugute kommen und kurzfristig neue Verwertungsmöglichkeiten schaffen. Gleiches gilt für die ökologische Wohnraumsanierung und den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs: Sie sind arbeitsintensiv, ökologisch vorteilhaft und sorgen für volle Auftragsbücher.

Kapitalistische Kriseneffekte als Folge sozial-ökologischer Regulierung können so zunächst abgefedert werden, indem versucht wird, durch den nachhaltigen Aus- und Umbau der Infrastruktur die begrenzten Spielräume für grünes Wachstum zu nutzen. So kann dem berechtigten Einwand, dass Postwachstumspolitik in kapitalistischem Kontext bloß mutwillig Wirtschaftskrisen herbeiführen würde, kurzfristig begegnet werden. Dabei bieten sich erste Anlässe, Eigentumsformen und Nutzungsrechte dieser Infrastrukturen im Sinne einer längerfristigen, tiefergehenden Transformation neu zu verhandeln. Bei der Finanzierung dieser Vorhaben zeichnen sich natürlich harte Verteilungskämpfe ab. Diese zeitweilige Symbiose sozial-ökologischer Reformen mit Kapitalinteressen ist kein harmonischer Prozess.

Freiraumstrategien versuchen, alternative Wirtschaftsstrukturen und soziale Räume im Hier und Jetzt zu etablieren, in denen eine postkapitalistische, ökologische Gesellschaft in demokratischer Selbstverwaltung bereits erfahrbar wird – von genossenschaftlichen Wohnprojekten über solidarische Landwirtschaftsbetriebe bis hin zu selbstverwalteten Polikliniken. Dazu ist es nötig, nicht zuletzt auf kommunaler Ebene staatliche Förderung zum Aufbau solcher Alternativen zu erkämpfen, zum Beispiel in Form von Investitionsmitteln.

Eine solche Normalisierung nichtkapitalistischer Lebensweise leistet einen Beitrag dazu, die Kräfteverhältnisse zu verschieben: Gesellschaftliche Hegemonie entsteht auch durch Alltagserfahrung. Wenn das Leben der Menschen stärker in nichtmarktförmige Wirtschaftsstrukturen eingebunden wäre, könnte das die Schicksalsgemeinschaft zwischen Kapital und von ihm abhängiger Bevölkerung schrittweise auflösen.

Bruchstrategien schließlich betreiben die Konfrontation zwischen sozialen Bewegungen und den herrschenden Verhältnissen. Selbst nach der Blütezeit des traditionellen revolutionären Sozialismus ist das kein überholtes Konzept: Auch ein Transformationsprozess, der sich nicht über ein alle Heilsversprechen einlösendes revolutionäres Ereignis definiert, wird nicht ohne bruchartige Momente auskommen. Die Eigentumsordnung lässt sich so wenig über den Weg des parlamentarischen Normalbetriebs umkrempeln, wie sie sich über ein organisches Wachstum alternativer Freiräume verdrängen lässt. Denn der Bruch mit dem Wachstumszwang – und damit der Sprung in den Postkapitalismus – realisiert sich erst durch Eigentumskämpfe, in denen private Kapitalverwertung in immer kleinere (Rand-)Bereiche der Ökonomie zurückgedrängt wird. »Bruch« ist hier doppelsinnig: Er steckt schon in jeder von sozialen Bewegungen bewusst eingegangenen Konfrontation mit kapitalistischen Grundprinzipien. Für eine erfolgreiche Transformation müssen sich Brüche aber natürlich in entscheidenden Ereignissen materialisieren.

Reformen sind dabei nicht zwangsläufig Ausdruck einer »bloß« symbiotischen Strategie. Sie können Bruchpotential haben: Die großflächige Enteignung von Wohnungskonzernen zugunsten einer demokratischen Verwaltung öffentlichen Wohnraums, wie sie etwa die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« fordert, würde zwar über die Institutionen des bürgerlichen Rechtsstaats erfolgen. Doch sie wäre aus einer politischen Bewegung entstanden, die eine tiefgehende Konfrontation in Kauf nimmt, welche in Richtung einer postkapitalistischen Vergesellschaftungsweise in diesem wichtigen Sektor weist.

Dafür muss Gegenmacht organisiert werden, die zwar versucht, Parteien und Parlamentsentscheidungen zu beeinflussen sowie die soziale Basis für Freiraumprojekte zu erweitern, aber im Wesentlichen über das Parlament hinaus orientiert ist. Letztlich kann ein »Green New Deal« nur dann zum Sprungbrett in den Postkapitalismus werden, wenn starke Bewegungen auch bereit sind zu springen. Auch wenn das derzeit noch utopisch klingen mag, ist die Bereitschaft zum Bruch von Anfang an wichtig für das Zusammenspiel der drei Dimensionen: Erst durch die systematische Organisation von Gegenmacht, die auch utopische Ansprüche geltend macht, können kurzfristige symbiotische und Freiraumstrategien überhaupt wirksam werden. Andernfalls drohen sie als reformpolitisches Klein-Klein respektive harmlose Nischenexperimente zu enden.

Doch wer wäre die soziale Basis dieser Gegenmacht? Wer könnte auch materiell von diesen Umbrüchen profitieren? Linke wie ökologische Bewegungen orientieren sich gerne auf den vermeintlich klassischen männlichen Arbeiter in den auf fossilen Energieträgern basierenden Industrien, der dank seiner relativ privilegierten Stellung im deutschen Exportkapitalismus das geringste Interesse an dieser Transformation hat. Es gibt aussichtsreichere Trägerschichten: Prekär Beschäftigte, für die das Wohlstandsversprechen der alten Industriegesellschaft nicht mehr gilt, oder (Post)-Migrantinnen und -Migranten, für die es nie galt, Beschäftigte in sozialen und Pflegeberufen, im Bildungsbereich, in den Niedriglohnberufen des digitalisierten Kapitalismus sowie neben der Lohnarbeit in Haushalten Arbeitende; all diese Gruppen könnten von einem neuen Wohlstandsversprechen wie einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung bei angemessenem Lohnausgleich profitieren. Hinzu kommt die junge »Generation Klima« mit ihrem relativ klassenübergreifenden materiellen Interesse an einer sozial-ökologischen Transformation.

Ob sie sich nun selbst affirmativ auf den »Green New Deal« beziehen mag oder nicht – die Linke kann es sich nicht leisten, auf diesem Konfliktfeld nicht mitzumischen. Dabei ist Platz für das gesamte linke Repertoire von Reformstrategien über Freiraumprojekte bis zur Organisation von Gegenmacht und Bewegungen. Auf das Ineinandergreifen kommt es an: So könnte ein radikalisierter »Green New Deal« zum Transformation im Sinne einer »doppelten Transformation« (Dieter Klein) beitragen, die zunächst bloß den Kapitalismus zu begrünen scheinen mag, aber tatsächlich über das Bestehende hinausweist.