Vor den Präsidentschaftswahlen werden in Nicaragua Oppositionspolitiker verhaftet

Ortega geht auf Nummer sicher

Im November stehen in Nicaragua die Präsidentschaftswahlen an. Doch noch ist unklar, wer gegen den immer autokratischer regierenden Amtsinhaber Daniel Ortega antreten kann – bereits der zweite Oppositionspolitiker wurde verhaftet.

Seine Ankunft am internationalen Flughafen von Managua hatte sich Arturo Cruz wohl anders vorgestellt. Am Samstag empfingen Sicherheitskräfte den nicaraguanischen Präsidentschaftskandidaten. Sie nahmen den ehemaligen Diplomaten wegen »Delikten gegen die Rechte der Bevölkerung und gegen die nicaraguanische Gesellschaft« fest. Die schwammigen Vorwürfe sind von einschlägigen Gesetzen gedeckt, die das Parlament in den vergangenen Mo­naten verabschiedet hat. Cruz ist nach Cristiana Chamorro schon der zweite Kandidat der nicaraguanischen Oppo­sition, der kürzlich unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet wurde.

Ortegas FSLN verabschiedete eine Reihe von Gesetzen, um der Opposition und den kritischen Medien den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Der Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, hatte einst mit der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) gegen die rechte Somoza-Diktatur gekämpft und ist bis heute Vorsitzender der gleichnamigen Partei. Von 1985 bis 1990 war er Staatspräsident des Landes, 2006 wurde er erneut gewählt. Im November will er seine vierte Amtszeit in Folge antreten.

Bei den jetzt ergriffenen Repressionsmaßnahmen haben er und seine Frau, Vizepräsidentin Rosario Muril­lo, »formell das Recht auf ihrer Seite,« kommentiert Nemesio Mejía von der »Bewegung der Landwirte Nicaraguas« im Gespräch mit der Jungle World. »Die Gesetze geben ihnen freie Hand – nur sind diese von ihrer herrschenden Clique gegen den Willen der Bevöl­kerung durchgedrückt worden.« Ein Großteil der Bevölkerung stehe gegen die Regierung, glaubt Mejía, der in Costa Rica im Exil lebt. »Für sie ist Daniel Ortega ein Krimineller, der eine Diktatur aufgebaut hat, die wir beenden müssen.«

Die Präsidentschaftswahl am 7.November böte dafür die nächste Möglichkeit, nachdem das Regime landesweite Proteste, die im April 2018 begannen, blutig niedergeschlagen hatte. Dabei sind mehrere Hundert Menschen umgebracht worden.

Damit ist die politische Repression in Nicaragua deutlich schärfer geworden. Ortegas FSLN verabschiedete eine Reihe von Gesetzen, um der Opposition und den kritischen Medien den Boden unter den Füßen wegzuziehen – sowohl in finanzieller als auch in juristischer Hinsicht.

Besonders zwei Gesetze aus dem Oktober 2020 spielen dabei eine wesentliche Rolle: das Gesetz zur Regulierung »ausländischer Agenten« und das Gesetz gegen Internetkriminalität. Letzteres zielt vor allem auf die Medien, indem es die Verbreitung von »falschen oder irreführenden Informationen« unter Strafe stellt. Es habe zum Ziel, Zensur zu institutionalisieren, wie unter anderem Amnesty In­ternational kritisiert – denn was eine falsche oder irreführende Information ist, entscheidet die Regierung. Das Gesetz gegen »ausländische Agenten« dient dazu, Nichtregierungsorganisationen von Finanzmitteln aus dem Ausland abzuschneiden.

Eine der davon betroffenen Nichtregierungsorganisationen ist die Violeta-Barrios-de-Chamorro-Stiftung für Pressefreiheit, die Cristiana Chamorro leitete. Sie ist die Tochter der ehemaligen Präsidentin Nicaraguas, Violeta Barrios de Chamorro (1990 bis 1997), und zählt zu den prominentesten Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition für die diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Vor zwei Wochen wurde gegen sie ein Haftbefehl erlassen – einen Tag nachdem sie bekanntgegeben hatte, als Kandidatin der Opposition zur Verfügung zu stehen. Vorgeworfen wird ihr Geldwäsche, aber auch ein Straftat­be­­stand namens »ideologische Falschheit«.

Daniel Ortega hatte 1990 überraschend gegen Cristiana Chamorros Mutter die Präsidentschaftswahl verloren. Ein solches Risiko scheint Daniel Ortega diesmal vermeiden zu wollen. Er setzte Justiz und Ordnungskräfte auf Cristiana Chamorro an, aber auch auf andere potentielle Kandidaten der ­Opposition, wie den ehemaligen Diplomaten Arturo Cruz und Félix Maradiaga. Letzterer erhielt eine Vorladung der Staatsanwaltschaft. Er gehört der Oppositionsbewegung Unidad Nacional Azul y Blanco (UNAB, Nationale Einheit Blauweiß) an.

Die drei seien nicht die Einzigen, auf die es der Ortega-Clan abgesehen habe, kritisiert der Amerika-Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco. Ortega mache sich bereit, die Wahlen zu stehlen, schrieb Vivanco auf Twitter und fragte, wann die USA endlich konkrete Maßnahmen ergreifen würden, um die Konsolidierung einer weiteren Diktatur in Lateinamerika zu bremsen.

Unterstützung aus dem Ausland wünscht sich auch Nemesio Mejía, dessen Bauernbewegung (Movimiento Campesino de Nicaragua) Medardo Mairena als Präsidentschaftskandidaten aufstellen könnte. Gegen diesen sind bisher weder Justiz noch Ordnungskräfte aktiv geworden. Doch das könne noch kommen, so Mejía aus dem Exil in San José, Costa Rica. Dort unterhält die Bauernorganisation ein kleines Büro, von dem aus Mejía die politische Arbeit koordiniert und beobachtet, wie in ­Nicaragua gegen die Opposition vorgegangen wird. »Unter Hausarrest steht nicht nur Cristiana Chamorro, sondern auch Juan Sebastián Chamorro«, so Mejía. Letzterer gehört zur Führung der Oppositionspartei Alianza Cívica por la Democracia y la Justicia (Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie) und ist ein Cousin von Cristiana Chamorro.

Die Familie Chamorro stellt in ­Nicaragua seit Jahren ein Gegengewicht zum Ortega-Clan dar. Während Cristiana Chamorro lange die von ihrem Vater gegründete Tageszeitung La Prensa ­leitete und eher unauffällig agierte, ist ihr Bruder Carlos Fernando erst für die Sandinistische Tageszeitung Barricada tätig gewesen. Als der Einfluss der Ortega-Fraktion im FSLN und damit auch in deren Presse immer größer wurde, machte er sich mit der Online-Tageszeitung El Confidencial und mehreren Fernsehformaten unabhängig. Schon im Mai hatte die nicaraguanische Polizei die Redaktionen seiner Nachrichtensendungen »Esta Semana« und »Esta Noche« durchsucht. Er ist dem Ortega-Regime verhasst, aber ein in der Region bekannter Journalist mit exzellenten Kontakten zu internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Organisation amerikanischer Staaten (OAS).

Genau diese mediale und politische Prominenz macht die Familie Chamorro für den Ortega-Clan so gefährlich. Obwohl der FSLN ein neues Wahlgesetz beschlossen hat und den Wahlrat kontrolliert, scheint sich Daniel Ortega kein weiteres Mal mit einer oder einem Chamorro bei einer Wahl messen zu wollen.