Die »Querdenken«-Bewegung ist noch nicht am Ende

Quere Krise

Die Coronaverharmloser von »Querdenken« sind in einem Mobilisie­rungsloch, auch ihre Partei »Die Basis« konnte nicht ins Parlament von Sachsen-Anhalt einziehen. Das ist jedoch kein Grund zur Beruhigung.

Am Sonntag entschieden sich bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt nur 15621 Personen und damit 1,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Mitte vorigen Jahres gegründete Partei »Die Basis« aus dem Umfeld der »Querdenker«. Das dürfte ein schwerer Schlag für die Bewegung sein, die sich gern als Stimme der Mehrheit und des Volkswillens sieht – zumal sich auch prominente Esoteriker wie der ehemalige ARD-Talkshow-Moderator Jürgen Fliege mittlerweile der Partei angeschlossen haben.

Wer damit rechnen muss, als unge­impfte Person nicht in den Sommer­urlaub fahren zu dürfen, überdenkt den Widerstand vielleicht noch mal, wenn die angeblich kompro­miss­lo­sen Anführer doch geimpft sind.

Einige Kandidaten der Partei für die Bundestagswahl haben es in »Quer­denker«-Kreisen zu einer gewissen Prominenz gebracht, zum Beispiel der Anwalt Reiner Fuellmich. Dieser versuchte Anfang des Jahres mit einigen Gleichgesinnten, die pandemiebedingt in Berlin geltenden Kneipenschließungen zu unterlaufen, indem Treffen in einer Bar als Parteigründungsveranstaltungen deklariert wurden. Die live gestreamten Events löste die Polizei regelmäßig auf, dem Betreiber der Gaststätte kündigte der Vermieter schließlich den Pachtvertrag. Nun ist Fuellmich Spitzenkandidat der Partei »Die Basis«, deren Programm laut Website aus den vier Schlagworten Freiheit, Machtbegrenzung, Achtsamkeit sowie Schwarm­intelligenz besteht, die als »Säulen« bezeichnet werden. Die dafür jeweils Zuständigen tragen den Titel »Säulenbeauftragte«.

Der Twitter-Account der Partei verbreitet die üblichen Verschwörungsgeschichten über angeblich verheerende Folgen der Covid-19-Tests, dazu Beiträge rechter Blogger, und arbeitet unermüdlich daran, die Pandemie als große Lüge sowie Impfungen als lebensgefährlich darzustellen.

Dazu passt, dass Spitzenkandidat Fuellmich einem Bericht des Aufklärungsportals Mimikama zufolge plant, in einem »neuen Nürnberger Prozess« unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen Verbrechen gegen die Menschheit anzuklagen. Dass die WHO, das Weltwirtschaftsforum sowie die dem US-amerikanischen Gesundheitsministerium unterstehenden Center for Disease Control and Prevention tatsächlich in einem großen Verfahren angeklagt und womöglich, wie es die Anspielung auf die Kriegsverbrecherprozesse nahelegen, gar mit ­Todesurteilen gegen Verantwortliche enden könnten, kann jedoch als äußerst unwahrscheinlich gelten.

Den sogenannten Nürnberger Kodex, eine zehn Punkte umfassende ethische Richtlinie unter anderem für medizinische Versuche an Menschen, gibt es allerdings wirklich. Im Nürnberger Ärzteprozess, in dem 1947 unter anderem 20 in Vernichtungslagern tätige Mediziner angeklagt worden waren, war der Kodex Bestandteil der Urteilsverkündung. Sieben der Angeklagten waren damals zum Tode verurteilt und am 2. Juni 1948 hingerichtet worden.

Vermutlich muss man »Querdenker« sein, um Impfungen mit wissenschaftlich getesteten und von Gesundheitsbehörden in aller Welt zugelassenen Impfstoffen als Menschenversuche zu sehen und sie mit den grausamen und tödlichen Quälereien in den Nazi-Vernichtungslagern zu vergleichen. Für alle anderen reicht ein Blick auf einige der im Kodex aufgeführten Punkte, um zu erkennen, warum aus dem großen Prozess nichts werden wird. Punkt eins setzt nämlich freiwillige Zustimmung der Versuchspersonen voraus, die genau über mögliche Risiken informiert werden müssen – nur wenn man alle Menschen, die nicht bei der eigenen Bewegung mitmachen, für »Schlafschafe« hält, kann man verkennen, dass die Impfungen gegen Sars-CoV-2 dieses Kriterium problemlos erfüllen. Auch Punkt acht, der festlegt, dass Versuche an Menschen nur durch »wissenschaftlich qualifizierte Personen«, im vorliegenden Fall also geschulte Ärzte, erfolgen dürfen, wird offensichtlich erfüllt.

Und so könnte man sich eigentlich jegliche Erwähnung des Unsinns eines angeblich anstehenden neuen Nürnberger Prozesses sparen, würden nicht Logik und Rationalität von den »Querdenkern« und »Querdenkerinnen« unermüdlich mit fake news, gefälschten Statistiken, Holocaustrelativierungen und sturem Beharren auf längst widerlegte Horrorgeschichten umgangen.

Wie erfolgreich ein solches professionell abgestimmtes Vorgehen ist, kann man derzeit in den USA sehen, wo nach wie vor eine Mehrheit der Repu­blikaner glaubt, dass Joe Biden zu Unrecht Präsident ist und Donald Trump durch Wahlfälschungen um eine zweite Amtszeit gebracht wurde. Der Grundstein für diese Realitätsverleugnung wurde schon Jahre zuvor gelegt, als die Presse gezielt als Lügenverbreiter dargestellt und Misstrauen gegen staatliche Institutionen gesät wurde. Man lockte Menschen gezielt in Desinformationsblasen aus sich gegenseitig fake news bestätigenden Blogs, Videokanälen und Websites.

Aus den so entstandenen Reservoirs unzufriedener, rechter oder teilweise auch linker Verschwörungsanhänger können Demagogen nun bequem schöpfen, sobald ein neues Thema auftaucht, das passend verzerrt das Zeug zum großen Aufreger hat. Mobilisierungen zu Demonstrationen oder Veranstaltungen sind dadurch einfacher denn je geworden, zumal die angesprochenen Massen bei solchen Events das wohlige Gefühl genießen können, sich im Kreise Gleichgesinnter zu bewegen. Und dabei auch gern viel Geld für dort angebotene Devotionalien ausgeben, ein nicht zu unterschätzender finanzieller Faktor für Veranstalter und Profiteure des Booms von Verschwörungsmythen wie Qanon oder der Propaganda gegen Impfungen.

Vielleicht rechnete auch die »Quer­denk­er«-Partei »Die Basis« damit, ­von einer solchen Blasenbildung in Deutschland zu profitieren – obwohl auch AfD-Politiker und -Politikerinnen immer wieder bei Demonstrationen von Coronaleugnern präsent waren und sind. Allerdings könnten sie dafür etwas spät dran sein, fiel doch der Zulauf bei den jüngsten als Großereignis angekündigten Demonstrationen beispielsweise zu Pfingsten bestenfalls verhalten aus. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Ein Faktor dürfte sein, dass in den meisten Bundesländern die Auflagen für »Quer­den­ker«-Kundgebungen mittlerweile auch tatsächlich polizeilich durchgesetzt werden, ein weiterer, dass Verbote oft auch letztinstanzlich bestätigt und Reisebusse entsprechend angehalten und wieder zurückgeschickt werden. Das schmälert den Wohlfühleffekt beträchtlich.

Zudem haben sich die so gern verbreiteten Horrorprognosen, dass Tausende Menschen aufgrund der Impfungen sterben werden, nicht bewahrheitet. Dass Führungsfiguren wie Björn Banane jüngst der Polizei eine mutmaßlich nicht gefälschte Covid-19-Impfbestätigung zeigte, was auch noch live gestreamt wurde, hat womöglich ebenfalls zu einer nachlassenden Protestbereitschaft beigetragen: Wer damit rechnen muss, als ungeimpfte Person nicht in den Sommerurlaub fahren oder Konzerte besuchen zu dürfen, überdenkt den Widerstand vielleicht noch einmal, wenn diejenigen, die sich als kompromisslose Anführer gerierten, sich nun doch stillschweigend impfen lassen.

Die derzeitigen Misserfolge der »Querdenker« sowie die erfolglose erste Wahlteilnahme der Partei »Die Basis« gelten vielen als Zeichen dafür, dass die Bewegung am Ende sei. Dieser Optimismus ist jedoch nicht angebracht, denn nach wie vor posten »Querdenken«-Fans Gewaltphantasien und Todesdrohungen. Und die Szene bleibt weiterhin sehr gut vernetzt, was nicht zuletzt daran liegt, dass viele Verschwörungsgläubige im wirklichen Leben außerhalb der einschlägigen Blasen sozial isoliert sind. Die »Querdenkenden« werden möglicherweise schon bei der nächsten Gelegenheit zeigen, dass sie nach wie vor in der Lage sind, eine Menge Menschen auf die Straße zu bringen. Und diese Gelegenheit kann von einem Krieg mit Nato-Beteiligung bis hin zu irgendeinem als Skandal wahrgenommenen lokalen Ereignis wie der Einschläferung eines bissigen Hundes praktisch alles sein.