Das homophobe Motiv spielte im Prozess wegen des gewaltsamen Todes von ­Mario K. keine Rolle

Hass auf das Andere

Im Februar 2020 wurde Mario K. aus homofeindlichen Motiven in Altenburg zu Tode geprügelt. Das löste nur wenig öffentliche Reaktionen aus, auch das Gerichtsurteil ignorierte die politische Motivation.

Am 12.Februar 2020 töteten Sven N. und Tony S. den 52jährigen Mario K. in dessen Wohnung im thüringischen Altenburg auf brutale Weise. Zwar misslang ihr Versuch, K. die Kehle durchzuschneiden, doch ihr Opfer starb an den schweren Verletzungen, die sie ihm durch Schläge und Tritte zugefügt hatten. Erst elf Tage später fand die Polizei die Leiche, nachdem N. vor einem Bekannten geprahlt hatte, einen »Kinderficker« umgebracht zu haben. Kurz ­darauf nahm die Polizei die beiden Männer, die zum Tatzeitpunkt 18 beziehungsweise 23 Jahre alt waren, fest; die Staatsanwaltschaft erhob zunächst Anklage wegen gemeinschaftlichen Mordes. Im November 2020 begann der Prozess, Ende Mai verurteilte das Landgericht Gera N., den jüngeren Angeklagten, zu acht Jahren Haft nach ­Jugendstrafrecht und den älteren, S., zu sechs Jahren und vier Monaten Haft mit Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Warum die Anklage nicht zumindest auf Totschlag lautete, bleibt das Geheimnis der Justizbehörden.

Der Hass auf vermeintliche »Kinder­schänder« ist ein klassisches Element rechtsextremer Ideologie und immer wieder Motiv für Gewalttaten.

Da es außer den beiden Männern, die sich gegenseitig beschuldigten, keine weiteren Zeugen gab, blieb der Prozess auf die Perspektive der Täter beschränkt. Mario K. bleibt ein Unbekannter. Nach Aussage der Täter begegneten sich die drei am Tatabend an ­einer Tankstelle unweit des Hauses, in dem Mario K. und Tony S. lebten. Dort soll er ihnen Geld für sexuelle Dienstleistungen angeboten haben, was sie aufgebracht abgelehnt hätten. Vor dem Wohnhaus seien die drei ein weiteres Mal aufeinandergetroffen und der Streit sei eskaliert. Währenddessen soll immer wieder das Wort »Kinderficker« gefallen sein.

 Der Hass auf vermeintliche Kinderschänder ist ein klassisches Element rechtsextremer Ideologie und immer wieder Motiv für Gewalttaten. Das lässt sich bis in Nationalsozialismus zurückverfolgen. Bestrafte das Recht im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik noch die »Unzucht mit Kindern« als konkrete Tat, verbreitete sich im Rahmen der biologistischen Rassenideologie die Idee des Kinderschänders als abartig Veranlagtem. Der sexuelle Missbrauch von Kindern wurde als Anzeichen für minderwertige Erbanlagen gewertet und so zu einer Frage der Rassenhygiene.

Während sexualisierte Gewalt gegen Jungen als besonders unnatürlicher Akt galt und vor allem als Rechtfertigung dafür diente, homo- und bisexuelle Männer zu verfolgen, wurden Mädchenschänder häufig entlastet oder sogar die betroffenen Mädchen kriminalisiert. Die sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen wurde nur da in den Fokus gerückt, wo sie sich als Rassenschande deuten ließ. So wurden aus den Tätern Verkörperungen dämonisierter Archetypen, die das ­Andere im Gegensatz zur deutschen Volksgemeinschaft darstellten. Das diente auch dazu, Sexualität dahingehend zu normieren, dass sie vor allem die Reproduktion der »arischen Rasse« zum Ziel habe. So überrascht es nicht, dass der Vorwurf auch auf andere unerwünschte Personen und Gruppen ausgeweitet wurde und der »Kinderschänder« allgemein als asozial, undeutsch und unverbesserlich galt.

Auch nach 1945 blieb der Pädophilievorwurf gegen Homosexuelle bestehen. Der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs in Westdeutschland schrieb für gleichgeschlechtliche Sexualität lange ein höheres Schutzalter fest als für ­gegengeschlechtliche und hielt damit an der Idee fest, man müsse Kinder und Jugendliche besonders vor homo- und bisexuellen Männern schützen. Erst im Zuge der Emanzipationsbewegungen der siebziger Jahre wurde das Vorurteil zurückgedrängt.

Ende der neunziger Jahre entdeckte vor allem die NPD das Mobilisierungspotential des vermeintlichen Kinderschutzes und organisierte Kongresse und Kundgebungen zu dem Thema. Das Bild des monströsen »Kinderschänders« ließ sich leicht abrufen. Dabei wird bis heute das Klischee des triebgesteuerten, zu Moral und sozialem Verhalten unfähigen Mannes bemüht, das wenig mit der Wirklichkeit sexuellen Kindesmissbrauchs zu tun hat. Muri Darida schreibt dazu in einem Essay auf Zeit Online: »Dabei geht es nicht um tatsächliche Macht und Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich Kinder und Jugendliche zweifelsohne befinden, sondern um eine Abgrenzung normaler, gesunder und ehrenhafter Männer von ›den Anderen‹, die gnadenlos bekämpft werden müssen.« Auch über die Demonstrationen der NPD hinaus, die oft bis weit ins bürgerliche Milieu hinein mobilisieren konnte, spielen in der Szene Gewaltphantasien gegen vermeintliche Pädophile eine große Rolle. Die Amadeu-Antonio-Stiftung schätzte 2018, dass jede dritte Rechtsrock-Veröffentlichung das Thema bedient.

Auch bei Sven N. gibt es mehrere Hinweise auf rechtsextreme Ideologie. Franz Zobel von der Opferberatungsstelle Ezra, die den Prozess beobachtete, sagt im Gespräch mit der Jungle World, auf N.s Handy sei »zum Beispiel ein Bild von einer Reichskriegsflagge gefunden« worden. Außerdem habe er »mehrere rechte Bands gehört« und wurde »von mehreren Zeuginnen und Zeugen als rechtsradikal beschrieben, unter anderem von seinem eigenen Bruder«. Aus der dahinterstehenden Menschenverachtung ließen sich auch die besondere Grausamkeit der Tat und die fehlende Reue der Täter erklären. Diesen Erklärungsansatz machte sich das Gericht in seinem Urteil nicht zu eigen, es ging auf eine mögliche politische Motivation der Tat nicht ein. Zobel merkt an, es komme häufig vor, dass rechte Motive unberücksichtigt bleiben, wenn die Täter sie nicht explizit geäußert haben.

Der Mord an Mario K. ist kein Einzelfall. Er ergibt sich aus einem queerfeindlichen Klima in Thüringen. So demonstriert regelmäßig die neonazis­tische Kleinpartei »Der III. Weg« in Erfurt gegen den dortigen CSD, und erst dieses Jahr erhielt in Altenburg das Organisationsteam des ersten CSD in der Stadt Gewalt- und Morddrohungen. Daraufhin solidarisierten sich zwar große Teile der queeren Szene; der CSD wird unter dem bürgerlich-antifaschistischen Motto »Farbe bekennen – der Regenbogen kennt kein Braun« stattfinden. Aber dies stoße in der Stadt­gesellschaft bis hin zum Bürgermeister auf Abwehr, sagt Theresa Ertel von der thüringischen LSBTIQ*-Koordinierungsstelle.