Prekäre Arbeitsbedingungen an Universitäten

Alles Hochschule?

Unter dem Hashtag »Ich bin Hanna« wird in sozialen Medien über prekäre Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen diskutiert. Sollte man trotz befristeter Arbeitsverträge und hohen Konkurrenzdrucks an einer Universität arbeiten?

Heute dies, morgen jenes

Wer an einer Hochschule arbeitet, hat viele Freiheiten, die andere Beschäftigte nicht haben. Für manche macht das die Arbeit an einer Universität immer noch attraktiv. Von Felix Schilk

Ich bin nicht Hanna, sondern ein ostdeutscher Mann. Als solcher bringe ich zwei Merkmale mit, die die Universität zu einem relativ attraktiven Arbeitgeber machen: Als Mann stellt sich die Frage »Qualifikationsziel oder Kinder« nicht unter derart starkem Zeitdruck, und mit einem abgeschlossenen geisteswissenschaftlichen Studium wird man in den neuen Bundesländern nur schwer eine besser bezahlte Stelle finden.

Befristet sind ohnehin die meisten Stellen, die für den Berufseinstieg in Frage kommen. Von Freunden und ehemaligen Kommilitonen hört man re­gelmäßig Frustrationserzählungen über die neuen Jobs: Stress, Langeweile, Fremdbestimmung und kognitive Unterforderung prägen deren Arbeits­alltag. Zwar klagen auch Nachwuchswissenschaftler regelmäßig über Stresssymptome und Konkurrenzdruck, aber verglichen mit Beschäftigten in der sogenannten freien Wirtschaft sind sie doch in einer erheblich komfortableren Situation.

Die fortschreitende Entgrenzung von Arbeit und Freizeit hat in der Wissenschaft durchaus ihre Vorteile.

Arbeit an der Universität bedeutet auch zeitintensive Lehrverpflichtungen und enervierende Selbstverwaltung. Aber die Hälfte der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit steht für eigene Forschung zur Verfügung. Wer eine faire Vorgesetzte hat, die nicht jede unliebsame Aufgabe delegiert und darauf vertraut, dass man eigenverantwortlich mit seiner Arbeitszeit umgeht, findet an der Universität eine Flexibilität, die in den meisten anderen Bereichen kaum vorstellbar ist.

Die wenigsten müssen dort wohnen, wo sie arbeiten. Von der Covid-19-Pandemie dürften auf lange Sicht viele Wissenschaftler profitieren. In Zukunft wird es wohl noch schwieriger sein, Präsenzarbeit in unattraktiven Städten durchzusetzen. Und falls doch, gilt die Pendelei im ICE ohnehin als Arbeitszeit.

Im Prinzip kann man heute dies, morgen jenes tun, morgens ein Buch lesen, nachmittags Kaffee trinken, abends einen Kommentar für die ­Jungle World schreiben und andere kritisieren, wie man gerade Lust hat. In konservativen Kreisen verleiht einem die institutionelle Anbindung an die Universität einen Expertenstatus; die persönliche Meinung wird zum wissenschaftlichen Argument. Wer eitel genug ist, kann sich den Fortschritt auf der Karriereleiter sogar in den Pass schreiben lassen oder seinen Leserbriefen damit eine besondere Autorität verleihen.

Die fortschreitende Entgrenzung von Arbeit und Freizeit hat in der Wissenschaft durchaus ihre Vorteile. Für die lange Kaffeepause und das spontane Gespräch mit Kollegen fallen keine Überstunden an. Der internationale Konferenzbesuch lässt sich buchhal­terisch problemlos als Kurzurlaub verlängern. Das Buch, das einen auch privat interessiert, liest man in der Arbeitszeit, und den Kaufpreis setzt man von der Steuer ab. Dank bezahlter Flexpreis-Reisen kann man Bahn-Comfort-Kunde sein und in den DB-Lounges kostenlos Automatenkaffee und Softdrinks runterkippen (Mit Bahncomfort zurück in den Naturzustand). Während der Promo­tion kommen noch allerlei Vergünstigungen hinzu, die der Status als Promotionsstudent gewährt, wie Semesterticket, ermäßigte Eintritts­karten und subventioniertes Mensaessen.

Überhaupt lässt sich die Arbeitszeit ausgesprochen gut an äußere Faktoren anpassen. Ist für das Wochenende schlechtes Wetter angekündigt? Dann fahre man werktags zum See und sonne sich. Regnet es? Dann bleibe man im Homeoffice. Steht ein verschneiter Winter bevor? Dann nutze man die Semesterferien für einen Arbeits- und Schreibaufenthalt im Süden.

Da Wissenschaftler fürs Denken bezahlt werden, lässt sich fast jedes Privatvergnügen irgendwie als arbeitsrelevant verkaufen. Die Zeitungslektüre, insbesondere des Feuilletons, ist unverzichtbar, um im Diskurs zu bleiben, der Sport, um kreative Gedanken zu entwickeln, die Vortrags- und Diskussionsveranstaltung thematisch relevant, und der Kneipenabend mit Freunden ist im Grunde auch nur ein süffigeres Kolloquium. Und sagen nicht immer alle, dass Wissenschaft vor allem aus Netzwerken, also Gesprächen in Cafés und Restaurants, bestehe?

Sicher, der Druck, den die Hannas auf Twitter beklagen, ist real. Aber das liegt nicht nur an den Konkurrenzverhältnissen, sondern auch am Konkurrenzverhalten der Wissenschaftler. Und das muss man individuell ja nicht mitmachen.

 

Jede kämpft für sich allein

Prekäre Arbeitsbedingungen, Vereinzelung und Konformitätsdruck lassen es nicht ratsam erscheinen, dauerhaft an einer deutschen Hochschule zu arbeiten. Von Viola Nordsieck

Bereits vor Jahren ist »Innovation« zum Kampfbegriff verkommen, die Forderung nach ihr ist eine der meistverwendeten Waffen im Arsenal neoliberaler Verwaltung. Ganz unschuldig war der Begriff wohl nie: Zu bereitwillig vermittelt er die Vorstellung, das wirtschaftlich verwertbare Neue werde geboren aus kreativem Genius, und dieser habe die Freiheit der Privatwirtschaft zur Voraussetzung, die von allen Regelungen, die soziale Sicherheit gewährleisten, freizuhalten sei.

Und weil die Freiheit der Privatwirtschaft im neoliberalen Weltbild der Maßstab für alles ist, gilt diese Vorstellung auch für die sogenannte Innovationsfähigkeit der Wissenschaft. Daraus ergibt sich das absurde Argument, diese sei durch prekäre Arbeitsbedingungen zu sichern, was rein zufällig auch Geld spart. Daraus folgt die Notwendigkeit eines Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), das dafür sorgt, dass nahezu alle wissenschaftlichen Angestellten an deutschen Hochschulen befristet beschäftigt sind. Denn ohne existentielle Bedrohung und ständige personelle Erneuerung, so die neoliberale Logik, wird einfach nicht anständig geforscht. »Prekär zu arbeiten, ist der Normalfall an deutschen Universitäten und Hochschulen«, heißt es in einer vorige Woche veröffentlichten Stellungnahme von Wissenschaftsverbänden, in der diese fordern, das Gesetz abzuschaffen.

Die formale Freiheit der Forschung verschleiert den Zwang zu Konformismus auch in der Themenwahl.

Die Philosophin Amrei Bahr, die Germanistin Kristin Eichhorn und der Historiker Sebastian Kubon veröffentlichten bereits im vergangenen Jahr 95 Thesen gegen das Gesetz. In diesen machen sie deutlich, dass die Praxis der Befristung ökonomischer Unsinn ist, denn »kein Unternehmen würde nach zwölf Jahren«, also der maximalen Befristungsdauer, die das Gesetz im Regelfall vorsieht, »seine Mitarbeiter_innen entlassen, obwohl sie Leistung bringen und das Unternehmen immens in sie und ihre Qualifikation investiert hat«. Eine ganz eigene Art des Prekariats wurde hier geschaffen, damit sich nur ja niemand auf einer Festanstellung ausruhen kann. Doch »der Zeit- und Karrieredruck, den das WissZeitVG aufbaut«, so Bahr, Eichhorn und Kubon, »sorgt in der Forschung nicht für mehr gute Ideen, Risikowillen und Qualitätsoutput, sondern für Verflachung, Markt- und Diskurskonformität und Orientierung an einer fragwürdigen Aufmerksamkeitsökonomie«.

Die Wut darüber artikuliert sich unter dem Hashtag »Ich bin Hanna«. hier ­kritisieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Rassismus und Sexismus an den Hochschulen, die Abhängigkeit der universitären Karriere von geeigneten Beziehungen sowie erhöhte Schwierigkeiten bei der Familien­gründung, insbesondere für junge Frauen.

Das WissZeitVG erlaubt eine Verlängerung der Befristung um bis zu zwei Jahre pro Kind. Doch darauf besteht kein gesetzlicher Anspruch – der Arbeitgeber muss die Verlängerung bewilligen. Nicht unbedingt eine Situation, in der Menschen gerne Kinder in die Welt setzen. Außer vielleicht, wenn jemand anderes die Rechnungen zahlt. Dass eine junge Frau, die wissenschaftlich arbeiten möchte, mit einem Mann mit gutem Einkommen zusammen ist, kommt relativ häufig vor und lädt dazu ein, dass sie zurücksteckt, wenn Kinder kommen. Dann ist es oft vorbei mit der wissenschaftlichen Arbeit.

Lohnt es sich dennoch, der Liebe zur Forschung nachzugehen, wenn erst einmal – oft nur wegen individueller Vorteile – der wissenschaftliche Mittelbau erreicht wurde? Um an eine Postdoc-Stelle zu kommen, müssen in der Regel bereits während der Promotion Beziehungen geknüpft und Projektanträge geschrieben worden sein. Die formale Freiheit der Forschung verschleiert die Vereinzelung im Konkurrenzkampf ebenso wie Abhängigkeitsverhältnisse und die aus diesen resultierenden Zwang zu Konformismus auch in der Themenwahl – also das Gegenteil von Innovation.

»Man kämpft für sich und seine Themen allein, aber man kämpft auch ­Arbeitskämpfe allein«, schrieb Frankie Nikoleit der Autorin nach dem Abbruch der Promotion in Theaterwissenschaft. »So frei und offen, wie Uniforschung sich gerne selbst sieht, ist sie halt nicht. Du kannst deinen Studis predigen, dass bestehende Verhältnisse aufgebrochen und hinterfragt werden sollen, aber eigentlich schreibst du Stereotype und Machtdynamiken fort und findest es auch irgendwie gut, weil du selbst ja profitierst.« Bis zum Ablauf der Frist.