Der Berlinale-Gewinnerfilm »Bad Luck Banging or Loony Porn« ist eine Satire über Prüderie

Ein Video mit Folgen

»Bad Luck Banging or Loony Porn«, der Gewinner des Goldenen Bären auf der vergangenen Berlinale, ist eine grelle Satire über Sex­is­­mus und Prüderie – und gleichzeitig ein filmisches Experiment, bei dem nicht alles gelingt.

Die Kamera fährt an der Fassade eines Bukarester Kinos entlang. Die Fahrt endet am Foyer, denn dort sind an prominenter Stelle eine Reihe antiker Statuen nackter Figuren platziert. Es ist eine beiläufige Einstellung aus den ersten Minuten von »Bad Luck Banging or Loony Porn«, und doch ei­ne charakteristische. Im Kino, scheint sie zu suggerieren, ist ein besseres Verhältnis von Politik, Sex und Nacktheit möglich als im gesellschaftlichen Alltag.
Am Anfang war der Porno, dann kam die Kunst, dann die Politik. Das gilt mit Sicherheit für den internationalen Autorenfilm, in dem seit den frühen nuller Jahren plötzlich vermehrt expliziter Sex gezeigt wird, wo­ran der Pornofilm nicht ganz unschul­dig ist. So in Michael Winterbottoms »9 Songs« von 2004, in John Cameron Mitchells »Shortbus« von 2006, ­aber auch in den jüngeren Filmen von Lars von Trier oder Gaspar Noé.

Was Radu Jude »Skizze eines Heimatfilms« nennt, gelingt vermutlich am besten in den Momenten auf den Bukarester Straßen, denn die ganzen kleinen Szenen ergeben im Großen ein Bild der Lage der rumänischen Nation.

Der rumänische Regie-Shootingstar Radu Jude eröffnet seinen neuen Film gleich mit solch einer expliziten Sexszene, genauer gesagt mit einem selbstgedrehten Sexvideo der Protagonistin Emi (Katia Pascariu), ihres Zeichens Lehrerin an einer Bukarester Schule, und ihrem Mann. Das Problem ist, dass Emis Mann Eugen das Video auf einer Pornoplattform hochlädt, von der aus sich das Filmchen in Windeseile verbreitet, nämlich auf die Smartphones von Emis Schülern und deren Eltern. Eine Lehrerin, die sich in ihrer Freizeit als Amateurpornographin betätigt, ist der bieder-verlogenen Elternschaft der Schule ein spitzer Dorn im Auge, die Wellen der Empörung schlagen hoch.

Damit wären die Eckpunkte der Tragödie beschrieben, die nun ihren Lauf nimmt. Doch Radu Jude hat noch etwas anderes im Sinn. »Bad Luck Banging or Loony Porn« nennt sich im Vorspann »Skizze eines Heimatfilms«, eine Beschreibung, die der Film selbst immer wieder anzweifelt und dem er irgendwann mit Hilfe von Zwischentiteln die Möglichkeit zur Seite stellt, dass das alles doch nur ein Scherz sein könne. Folgerichtig trennt der Film nicht scharf zwischen Wahrheit und Fiktion, Drama und Heiterkeit, Tragödie und Komödie. Etwa in der Mitte der Laufzeit fällt der bezeichnende Satz, wahre Dichtung müsse tragisch und komisch zugleich sein. So weit, so sympathisch.

Der Versuch eines Heimatfilms oder doch nur ein Witz? Ist der Titel, der unentschieden zwei kürzere Film­titel verknüpft, nun »Bad Luck Banging« oder doch »Loony Porn«? Kunst­film oder Porno? Einerseits entfaltet sich zunächst das Drama über die sexistisch verfemte Lehrerin, die gegen die versnobte Elternschar antreten muss, doch der Film wird andererseits etwas ganz anderes, und zwar eine Sitcom. Und dann handelt es sich nicht nur um die Wahl zwischen »Bad Luck Banging« oder »Loony Porn«, denn der Film entpuppt sich, durch Zwischentitel abgetrennt, als gleich drei verschiedene Filme.

Das erste Kapitel trägt den Titel »Einbahnstraße« und erweist augenscheinlich Walter Benjamin und seiner Aphorismensammlung gleichen Namens die Reverenz. Hier flaniert Emi durch die Straßen Bukarests, telefoniert, besucht die befreundete Schuldirektorin und erfährt, dass sich das Sexvideo, obwohl ihr Mann es angeblich wieder gelöscht hat, doch im Internet verbreitet. Das Ganze wird wunderbar durch lange Kamera­schwenks über Mengen an Passanten, verfallene Häuserfassa-den, Kirchenbauten, Hochglanz-Einkaufzen­tren und immer wieder auch deren Warenauslagen und Reklameschilder erzählt.

Diesen Schwenks, darin liegt ihre Schönheit, eignet etwas Zufälliges und gleichzeitig Schlafwandlerisches. Emi muss sich eines catcaller erwehren, später noch eines Machotypen, der ihr mit seinem Auto den Weg versperrt, und nur im Vorbeigehen registriert die Kamera, wie ein anderer Autofahrer einen Fußgänger erst homophob beleidigt und dann an­fährt. An der Supermarktkasse zieht eine Frau den Unmut der restlichen Kunden auf sich, als die Essensmarken, mit denen sie zahlen muss, doch nicht ganz ausreichen für Fröhlichkeit und Bier, wie sie es nennt. Ra­du Judes »Skizze eines Heimatfilms« gelingt vermutlich am besten in diesen Momenten auf den Bukarester Straßen, denn die vielen kleinen Szenen, die die Kamera hier einfängt, ergeben zusammen ein Bild der Lage der rumänischen Nation.

Der zweite Teil des Films bricht mit allem Vorangegangenen und schlägt den Pfad einer an Godard geschulten essayistischen Poesie ein. Die Spielfilmhandlung pausiert und das zweite Kapitel präsentiert sich als »Lexikon mit Anekdoten, Zeichen und Wun­dern«. Für mit der rumänischen Geschichte wenig vertraute Menschen erfüllt dieses ganz bequem einen Bildungsauftrag. Genüsslich werden die Verstrickungen Rumäniens mit Nazideutschland seziert, die bis 1944 anhielten, so lange, bis sich die Niederlage von Hitlers Wehrmacht abzuzeichnen begann und man sich im Eilverfahren doch für Stalin entschied.

In dieser halbstündigen Montage von Gemälden, dokumentarischen Fotos und Filmschnipseln, stummen Untertitelkommentaren und Voice-overs wird allerlei namedropping betrieben und gleichzeitig werden markige Aussagen formuliert. »Die Schlächter treten aus den Bücherregalen hervor«, heißt es einmal. Vieles aus dem Mittelteil des Films scheint ebenfalls aus dem Bücherregal entsprungen zu sein. Ob der Regisseur seine sympathische Tolldreistigkeit hiermit intellektuell adeln oder doch desavouieren will, bleibt offen.

Es folgt das große Finale, die Sitcom, wie der Film es nennt. Auf eine Weise löst dieser dritte Akt alles ein, was er versprach, und dann wiederum doch nicht. Emi, eigentlich eine hart arbeitende, versierte Pädagogin, wird vor ein Jüngstes Gericht, bestehend aus reicher, selbstgefälliger Mittelschicht, sexistischem Militär und offenen Antisemiten, gebeten, um ihr­en Arbeitsvertrag mit der Schule zu verteidigen. Eine vernünftige Klä­rung und Einigung in der Sache rückt schnell außer Reichweite und man beginnt, sich zu zermürben. Die Sympathien gehören hier ganz ­klar Emi, die stoisch alle Vorwürfe abschmettert. Trotzdem stellt sich im Laufe dieser Sequenz ein leicht beklemmendes Gefühl von Schultheater ein. Da sitzt ein Nebendarsteller in Armeeuniform in der Runde und dort einer im Priestertalar. Wir verstehen schon, möchte man als Zuschauer da rufen.

Nun kann man einerseits Radu Jude für seinen Film beglückwünschen oder sich andererseits vielleicht abwenden, gar nicht aus Missgunst, son­dern eher aus dem Gefühl des allzu Vertrauten. Einer aufgeklärten Linken mag der Film als Bestätigung dessen dienen, worüber man sich zum Glück eh schon einig ist – dass Prüderie und Sexismus schlecht sind. Die Men­schen dagegen, die des Mutes und der schelmischen Gewitztheit des Films absolut bedürften, wird dieses Su­jet wohl leider kaum ins Kino ziehen.

Am Anfang war der Porno, dann kam die Kunst und dann die Politik. Wenn linke Filmemacher diese Formel wirklich einmal beim Wort nähmen und sich nicht allein auf Nabelschau beschränkten, wäre schon viel erreicht. Der für den ersten Teil des Films als Pate herbeizitierte Walter Benjamin wusste sehr genau, dass linke Kritik, entgegen ihrem Anspruch, oft fade und farblos bleibt. Die Welt der Waren und Reklame, so schreibt er in »Einbahnstraße«, habe gegenüber der Kritik einen entscheidenden ästhetischen Vorteil: die »Feuerlache«, das bunte Spiel der Neonlichter, die sich auf dem nassen Asphalt spiegeln. In seinem ersten Kapitel kommt »Bad Luck Banging or Loony Porn« einem solchen Lichtspiel, der »Feuerlache«, sehr nah und vergisst es dann wieder schnell.

Bad Luck Banging or Loony Porn (Rumänien u. a. 2021). Buch und Regie: Radu Jude. Darsteller: Katia Pascariu, Claudia Ieremia, Olimpia Mălai