Eine Initiative will das bedingungslose Grundeinkommen durch Petitionen ­einführen

1 200 Euro für ein neues Leben

Eine Initiative will deutschlandweit das bedingungslose Grund­einkommen testen. Als direktdemokratische Bewegung will sie Modellprojekte durch Volks- und Bürgerentscheide ermöglichen.

Die 2019 gegründete bundesweit aktive Initiative Expedition Grundeinkommen hat eine Forschungsmission: Mit einem staatlichen Modellversuch will sie herausfinden, welche Wirkungen das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) hat. Bis zu 10 000 Personen sollen monatlich etwa 1 200 Euro vom Staat erhalten – ohne Bedingungen, unabhängig von ihrem sonstigen Einkommen und ihrer Lebenssituation.

Verschiedene Modelle des BGE werden seit Jahren diskutiert und in einigen Staaten, wie zum Beispiel Finnland und Kenia, bereits erprobt. Die Initiative Expedition Grundeinkommen will aber einen »weltweit einzigartigen Weg« beschreiten, wie sie auf ihrer Website schreibt: Der Versuch soll direktdemokratisch eingeleitet werden, also durch Volks- oder Bürgerentscheide.« Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es um Selbstbestimmung und Partizipation. Die Entscheidung, es auszuprobieren, sollte daher auch die Bevölkerung treffen«, sagt Laura Brämswig, eine Mitgründerin der Initiative gegenüber der Jungle World.

»Wir wollen nicht einfach das bedingungslose Grundeinkommen einführen, sondern herausfinden, wie wir es am besten gestalten können.« Laura Brämswig, Initiative Expedition Grundeinkommen«

In Berlin hatte die Gruppe bereits im November vergangenen Jahres 20 000 Unterschriften gesammelt und damit das Volksbegehren eingeleitet. Allerdings wird das Berliner Abgeordnetenhaus wider Erwarten nicht mehr in dieser Legislaturperiode über den Modellversuch entscheiden. Deshalb geht es für die Expedition Grundeinkommen frühestens im September in die zweite Runde. Sollte das Abgeordnetenhaus deren Gesetzentwurf wie erwartet ablehnen, bräuchte es dann etwa 175 000  Unterschriften, damit alle wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner über den Modellversuch abstimmen können. Auch in Hamburg ist die erste Phase bereits abgeschlossen, in Bremen werden gerade Unterschriften gesammelt. Sollte es zu einem erfolgreichen Volksentscheid in Berlin kommen, könnten in einem abgegrenzten Gebiet mindestens 3 500 zufällig ausgewählte Berlinerinnen und Berliner drei Jahre lang das BGE beziehen, wenn sie währenddessen an mehreren Befragungen teilnehmen. Auf diese Weise sollen durch das monatliche Einkommen veränderte Lebensumstände der Begünstigten, ihre Entscheidungen und langfristige Wirkungen des BGE erfasst werden.

»Wir wollen nicht einfach das bedingungslose Grundeinkommen einführen, sondern herausfinden, wie wir es am besten gestalten können«, sagt Brämswig. Im Versuch sollen deshalb verschiedene Bezugshöhen und Finanzierungsmodelle simuliert werden. »Weil natürlich Geld reinkommen muss, funktioniert das BGE über verschiedene Besteuerungen, die je nach politischer Ausrichtung und Modell variieren.« Im Projekt soll es eine variierende Einkommenssteuer für die Teilnehmenden geben. Die Finanzierung des BGE über verschiedene Steuern, wie eine wiedereinzuführende Vermögenssteuer, kann in einer kleinen Stichprobe nicht getestet werden. Auch gesamtwirtschaftliche Auswirkungen müssen unerforscht bleiben. »Wir testen nur Mikroeffekte, also wie Menschen sich verhalten, wenn sie das BGE beziehen«, so Brämswig. Allerdings würden für folgende makroökonomische Untersuchungen genau diese Informationen gebraucht.

Berlin, Hamburg und Bremen sind Vorreiter bei dem Projekt, doch bei ihnen soll es nicht bleiben: »Wir haben uns – neben Schleswig-Holstein und Brandenburg – zunächst die Stadtstaaten vorgenommen, weil sie kleinere, abgeschlossene Bereiche sind«, sagt Brämswig. Volksbegehren in den Flächenländern seien deutlich schwieriger zu organisieren. In Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit der höchsten Einwohnerzahl, bräuchte es dafür rund eine Million Unterschriften. Deshalb organisiert die Initiative bundesweit Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene. Damit sich eine Stadt oder eine Gemeinde beteiligen kann, muss sich ein Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner anmelden. Dann organisiert die Initiative Expedition Grundeinkommen dort eine Unterschriftensammlung. »Diese Marke haben wir uns selbst gesetzt, um eine realistische Aussicht auf Erfolg zu haben«, sagt Brämswig.

Anders als in den Stadtstaaten mit ihren eigenen Parlamenten kann in den Kommunen der anderen Bundesländer nicht über einen Gesetzentwurf abgestimmt werden, sondern über ein Modell, das voraussichtlich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausarbeiten wird. Fest steht: Wenn der Bürgerentscheid Erfolg hat, bekommt auch hier jede teilnehmende Person für drei Jahre das Grundeinkommen ausgezahlt; die Finanzierung müssen die Kommunen übernehmen. Die Initiative schreibt auf ihrer Website, dass sich 19 Orte für die Teilnahme qualifiziert haben, 44 weitere ­haben bereits mindestens 50 Prozent der benötigten Anmeldungen eingereicht.

Noch sei das Thema in der öffentlichen Debatte allerdings mit vielen Unsicherheiten und Ängsten verbunden, so Brämswig. Es gebe Bedenken, dass Menschen nicht mehr arbeiten würden und dass die Gesellschaft von denen ausgenutzt wird, die sich nicht für das Wohl aller einbringen wollen. Das hat sich in bisherigen Modellversuchen aber nie bewahrheitet. Kritik aus der Linken wird damit begründet, dass mit der Einführung des BGE etablierte soziale Absicherungsverbände wie zum Beispiel Gewerkschaften an Wichtigkeit verlieren und dadurch wichtige Instanzen sozialer Sicherheit wegfallen könnten.

»Wenn man in die Forschung aus der Arbeitspsychologie schaut, gibt es keinerlei Indiz dafür, dass Menschen faul sind oder aufhören zu arbeiten, wenn man ihnen mit Vertrauen entgegentritt«, sagt Brämswig. »Ich finde das BGE gerade deshalb sehr faszinierend: Es ist eine Idee, die auf Vertrauen fußt. Sie bietet eine Kombination aus Sicherheit und Freiheit, aus der heraus man sich entwickeln kann.« Utopisch sei das BGE nicht, im Gegenteil: »Wir denken, dass es eine enorme Chance ist, die wir verpassen, wenn wir es nicht ausprobieren. Sollten wir nach dem Versuch feststellen, dass das BGE nicht sinnvoll ist, ist das aber auch akzeptierbar.«