Neue Skandale verdeutlichen das sächsische Demokratieproblem

Wehrhafte Autokratie

Wenn die Demokratie von denen bedroht wird, die sie eigentlich beschützen sollen.
Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse Von

Mit der Demokratie ist das so eine Sache. Eigentlich soll das »Volk« herrschen, doch neigt dieses immer dazu, sehr undemokratisch gegen abweichende Meinungen und nicht Dazugehörige vorzugehen. Demokratische Staaten zeichnen sich nach modernem Verständnis dadurch aus, dass sie Minderheiten vor der Mehrheit in Schutz nehmen und selbst die Rechte derjenigen schützen, die den Staat kritisieren. Im Freistaat Sachsen hat man damit jedoch so seine Probleme.

Am 13. Juli verurteilte das Amtsgericht Dresden den Anmelder einer Demonstration gegen das neue sächsische Polizeigesetz zu 40 Tagessätzen. Sein Vergehen: Er habe die friedliche Kundgebung im November 2018 weiterlaufen lassen, obwohl es zu Verstößen gegen die Auflagen gekommen sei. Ein Transparent sei länger als zwei Meter gewesen, außerdem seien drei Nebeltöpfe gezündet worden. Der Anmelder soll nun im Nachhinein für das vermeintliche Fehlverhalten der Teilnehmenden Strafe zahlen, obwohl selbst die Polizei keinen ausreichenden Grund sah, die Demonstration anzuhalten oder aufzulösen.

Das spezielle sächsische Demokratieverständnis bekamen auch Aktivistinnen und Aktivisten in Leipzig zu spüren. Sie hatten Mitte Juli aus Protest gegen den weiteren Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle nachts eine Einfahrt des Dienstleisters DHL blockiert. Alles blieb friedlich, nichts ging kaputt. Bloß wollte die Mehrheit der Protestierenden nach Auflösung der Blockade – die sogar brav als Spon­tandemonstration angemeldet worden war – ihre Persona­lien nicht herausgeben. Die Folge war ein langer Aufenthalt in Polizeigewahrsam, erst nach 41 Stunden kam der letzte Aktivist frei.

Sächsische Politiker zeigten sich empört – jedoch nicht aufgrund des Umgangs mit den Protestierenden, sondern wegen des dreisten Angriffs auf ein Herzstück der sächsischen Wirtschaft. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erklärte auf Twitter: »Protest gehört zur Demokratie, aber nicht so!« Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sah »Grenzen überschritten« und fügte hinzu: »Ich glaube, die Mehrzahl der Menschen in Sachsen würde sagen: Recht wäre, wenn die Blockierer den Millionenschaden bezahlten.«

Nicht nur, dass Kretschmer hier der Justiz das Strafmaß vorgeben will, er begründet es zudem mit der angeblichen Mehrheitsmeinung in Sachsen, einem Bundesland, in dem die AfD zweitstärkste Kraft ist. Das war kein Ausrutscher. Bereits im September 2018, nach den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz, hatte Kretsch­mer ­gefordert, dass die Politik »dafür sorgt, dass das, was Volkes Meinung ist, sich am Ende bei Rechtsentscheidungen durchsetzt«. Ein äußerst antidemokratisches Demokratieverständnis.

Das sächsische Demokratieproblem geht aber noch darüber hinaus, wie man an der Begründung der Flughafenblockierer sehen konnte, warum sie ihre Personalien nicht herausgeben wollten: Sie hätten Sorge, dass ihre Daten in die Hände von Nazis gelangen. Dass diese Sorge berechtigt ist, wurde erst kürzlich wieder offenbar, als polizeiinterne Informationen aus Hausdurchsuchungen gegen linke Fußballfans in Leipzig beim rechten Magazin Compact landeten.

Wer noch Zweifel über den Zustand der sächsischen Polizei hatte, konnte diese in der vergangenen Woche beseitigen: Nach einem rassistischen Angriff auf einen Somalier in einem Linienbus in der Nähe von Zwickau am 17. Juli kam heraus, dass ein Polizist der Gruppe von acht Männern angehörte, aus der heraus das 20jährige Opfer erst rassistisch beleidigt, dann zu Boden gestoßen und dort getreten wurde. Die Polizeidirektion Zwickau beeilte sich, ihren Kameraden in Schutz zu nehmen: »Nach Sichtung der Videoaufnahmen aus dem Linienbus ist ein aktiver Beitrag des Beamten an der gefährlichen Körperverletzung nicht ersichtlich.« Kein Wort der Entrüstung, dass ihr Beamter offenbar Teil einer Nazischlägergang ist. Nur am Ende der Hinweis, dass man von Polizisten auch in ­ihrer Freizeit erwarte, dass sie Straftaten verhindern.

So wird der Polizist außer dem eingeleiteten Disziplinarverfahren wohl wenig zu befürchten haben. Anders als Migranten und Linke können sich Gewalttäter in Uniform nämlich auf den Schutz des Freistaats verlassen. Wie der Einsatzleiter, der bei einer antirassistischen Demonstration in Dresden im Herbst 2020 an Demonstrierende herangetreten war und mit einem Griff an die Dienstwaffe gedroht hatte: »Schubs mich, und du fängst dir ‚ne Kugel!« Diese auf Videoaufnahmen deutlich zu hörende Gewaltandrohung wird für den Beamten keine Konsequenzen haben, wie nun durch eine Anfrage der Partei »Die Linke« herauskam. Die Staatsanwaltschaft Dresden ist der Ansicht, sein Verhalten sei »gerechtfertigt« gewesen, es gab noch nicht einmal ein Disziplinarverfahren. Anfangs wollte die Staatsanwaltschaft gar kein Ermittlungsverfahren einleiten, da es sich ihrer Ansicht nach um eine »antizipierte Notwehrsituation« gehandelt hätte.

Man darf gespannt sein, ob die Staatsanwaltschaft bei dem Zwick­auer Polizisten ähnlich argumentieren wird. Schließlich sind 56 Prozent der Menschen im Freistaat der Meinung, dass Deutschland »in gefährlichem Maße überfremdet« sei. Folgte man, wie von Kretschmer gefordert, hier »Volkes Meinung«, wäre auch der Übergriff auf den Somalier als »antizipierte Notwehr« deutbar. Das ist, zu Ende gedacht, die autoritäre Logik des Ministerpräsidenten.