Der Boykott israelischer Siedlungen als Marketingstrategie von Ben & Jerry’s

Kein Eis in the Sunshine

Rein in die Schlagzeilen, raus aus der Westbank: Der US-amerikanische Eiscremehersteller Ben & Jerry’s möchte ­ seine Produkte nicht mehr in israelischen Siedlungen verkaufen. Wer die Firmengeschichte des Speiseeisproduzenten verfolgt hat, ist davon nicht wirklich überrascht.
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Der US-amerikanische Eiscremeproduzent Ben & Jerry’s hat angekündigt, kein Eis mehr in den »besetzten palästinensischen Gebieten« zu verkaufen. Gemeint sind konkret die über 250 israelischen Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem. »Wir glauben, dass es nicht mit unseren Werten vereinbar ist, dass Ben & Jerry’s-Eiscreme in den besetzten palästinensischen Gebieten verkauft wird«, verkündete das Unternehmen mit Sitz in Waterbury im US-Bundesstaat Vermont am 19. Juli auf seiner Website. Zur Begründung hieß es: »Wir hören auch auf die Bedenken, die unsere Fans und zuverlässigen Partner mit uns teilen.«

Immer wieder äußert sich die »social media«-Abteilung des Herstellers »fairer Eiscreme« zum politischen Tagesgeschehen. Daran hat sich auch mit dem Verkauf des Unternehmens an den Konzern Unilever im August 2000 nichts geändert.

Das Unternehmen kommt damit auch der BDS-nahen Kampagne »Vermonter für Gerechtigkeit in Palästina« entgegen, die gefordert hatte, Ben & Jerry’s müsse die »Komplizenschaft mit der israelischen Besatzung« beenden. Im israelischen Kernland will das Unternehmen dagegen weiterhin verkaufen, was Vertreter der BDS-Bewegung umgehend kritisierten. Und selbst der angekündigte Schritt lässt sich rechtlich nicht ohne weiteres vollziehen.

Mit dem Bekenntnis zum Siedlungsboykott verprellt Ben & Jerry’s zudem viele Fans, Partner und Mit­arbeiter. Entsetzt zeigte sich Susannah Levin, die seit 21 Jahren als Graphikerin für das Unternehmen gearbeitet und das Design der sogenannten Kultmarke geprägt hat. Die Entscheidung von Ben & Jerry’s sei Teil eines »verabscheuungswürdigen Trends«. »Antizionismus ist der neue Antisemitismus«, schreibt sie auf Facebook. Die Zusammenarbeit mit Ben & Jerry’s hat Levin inzwischen beendet.

Ganz überraschend kommt der Boykottbeschluss des Unternehmens nicht. Die Verbindung von Marketing und linker Politik prägte die Marke des 1978 von Ben Cohen und Jerry Greenfield gegründeten Unternehmens seit Beginn. Cohen und Greenfield, die ihre Geschäftsräume zunächst in einer alten Tankstelle, später in einer ehemaligen Mühle in Waterbury eröffneten, betonten stets, es gehe ihnen nicht allein ums Verkaufen.
Als sie das Unternehmen Anfang der achtziger Jahre an die Börse brachten, wurden die Anteilsscheine nur an Vermonter Einwohner ausgegeben. Eine kluge Marketingstrategie. Das Unternehmen betonte damit zum einen seine regionale Verbundenheit und umging zum anderen die hohen Hürden, die die Aufsichtsbehörde für den Börsengang globaler Unternehmen vorsieht.

Überhaupt spiegelt sich in der Geschichte von Ben & Jerry’s auch die der US-amerikanischen Linken, der sich Cohen und Greenfield bis heute innig verbunden fühlen. Man unterstützte die Occupy-Bewegung, engagiert sich für den Klimaschutz, setzt sich für Geflüchtete und die Bewegung Black Lives Matter (BLM) ein. Das Unternehmen kooperierte mit zahlreichen Institutionen, unter anderem mit der Umweltschutzorgani­sation WWF und der deutschen Amadeu-Antonio-Stiftung.

Immer wieder äußert sich die social media-Abteilung des Herstellers »fairer Eiscreme« zum politischen Tagesgeschehen. Daran hat sich auch mit dem Verkauf des Unternehmens an den Konzern Unilever im August 2000 nichts geändert. Rund 326 Millionen US-Dollar blätterte der britische Großkonzern für den Eiscremehersteller mit dem Hippie-Image hin.

»Wir bitten dich, dich uns anzuschließen und dich nicht mitschuldig zu machen«, heißt es auf der deutschen Website des Unternehmens über die Unterstützung von Black Lives Matter. Die dazu passende vegane Eissorte »Change the Whirled« vermarktet Ben & Jerry’s gemeinsam mit dem Football-Spieler Colin Kae­per­nick, der das Niederknien beim Abspielen der Nationalhymne als Zeichen des Protests gegen Rassismus initiiert hat. Die Erlöse aus den Verkäufen der neuen Eissorte werden gespendet.

In Israel schlug die Boykottankündigung hohe Wellen. Mehrere Minister reagierten bereits auf die Entscheidung. In einem Handyvideo holt Wirtschaftsministerin Orna Barbivai eine Packung Ben & Jerry’s aus der Kühltruhe und wirft sie weg. »Wisst ihr was? Euer Eis kann uns nicht vorschreiben, wie Entscheidungsprozesse im Land ablaufen. Danke, aber hier ist Schluss«, sagt sie.

Außenminister Yair Lapid nannte die Entscheidung eine »beschämende Kapitulation« vor dem Antisemitismus der Boykottbewegung BDS. »Wir werden nicht schweigen. Über 30 Staaten in den USA haben Gesetze gegen die Boykottbewegung BDS ver­abschiedet. Ich werde jeden einzelnen Staat auffordern, diese Gesetze gegen Ben & Jerry’s anzuwenden.« Tatsächlich haben bereits mehrere republikanische US-Politiker mit Konsequenzen für Ben & Jerry’s auf dem heimischen Markt gedroht, sollte der Boykott vollzogen werden.

»Die Israelis lieben Ben & Jerry’s«, sagte der 29jährige Asher Goodman, der Inhaber der Pizzeria »Efrat« im gleichnamigen Ort in der Westbank, dem britischen Guardian. Er möchte in seinem im Stil eines US-amerikanischen Diner eingerichteten Lokal gerne weiterhin Ben & Jerry’s-Produkte verkaufen. »Es ist doch nur Eis.«

Zu den ersten Leidtragenden des Boykotts würden die israelischen Angestellten des Unternehmens gehören. Avi Zinger, der CEO von Ben & Jerry’s Israel, hat bereits mitgeteilt, dass er die Direktive des Mutterkonzerns weder befolgen wolle noch könne. Tatsächlich verbietet das israelische Recht den Boykott der Siedlungen. Das Eis nur im Kernland zu verkaufen, ist daher keine Option.

Im Gespräch mit dem israelischen Fernsehsender Channel 12 sagte Zinger: »Ich arbeite seit 25 Jahren mit Ben & Jerry’s. Ich habe es nach Israel gebracht.« Die Zentrale in Vermont habe ihn mit der Ankündigung, dass der Lizenzvertrag nicht verlängert werden soll, völlig überrumpelt. Ben & Jerry’s kündigt unterdessen ein »neues Arrangement« für Israel an, das mit den allen rechtlichen Vorgaben vereinbar sei.

In den sozialen Medien ist erwartungsgemäß ein Streit zwischen Befürwortern und Gegnern eines Boykotts entbrannt. Unter dem Tweet, der diesen ankündigt, bekämpfen sich die Kommentatoren. BDS-Anhänger werfen dem Unternehmen Inkonsequenz vor. »Ganz Israel ist besetztes palästinensisches Gebiet, Eiscrememann«, behauptet ein User unter dem Tweet.

Natürlich geht es in der Debatte nur vordergründig um die Verfügbarkeit von »Cookie Dough« und »Half Baked«. Dahinter steht die Frage, wer das Recht hat zu entscheiden, was in israelischen Siedlungen passieren darf und was nicht. Ist es eine internationale, sich für links haltende Boykottbewegung mit Antisemitismusproblem oder vielleicht doch eher die einzig demokratisch gewählte Regierung im Nahen Osten?

Es ist nicht das erste Mal, dass in Israel über ein Lebensmittel gestritten wird. Bei der sogenannten »Hüttenkäse-Revolte« 2011 gab es landesweit Proteste gegen die rasanten Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln. Doch während der Protest damals aus der israelischen Zivilgesellschaft in Opposition zur israelischen Regierung kam, gehört diesmal Israels Regierung zu den Protestierenden.

Wieder einmal hat es Ben & Jerry’s geschafft, in die Schlagzeilen zu kommen – als Unternehmen, das seinen alten Grundsätzen treu geblieben ist. In der auf der deutschen Website im urigem Country-Stil präsentierten Firmengeschichte »Wie alles begann« wird erzählt, wie »Ben und Jerry einen Fünf-Dollar-Fernkurs an der Penn-State-Uni (machen). Hier lernen sie, wie man Eis herstellt. Weiterbildung, die sich lohnt. Die beiden erfinden verrückte Eissorten und beschließen, dass alle Menschen ihr leckeres Eis genießen sollten.«

Zumindest mit letzterem Grundsatz haben die »good guys« ge­brochen.