Linke sollten militanten Arbeitskämpfen mehr Aufmerksamkeit schenken

Militanz im Arbeitskampf

Militant ist es auch, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter die Grenzen der sogenannten Sozialpartnerschaft sprengen. Leider bleiben sie dabei häufig allein.

Peter Nowak und Christopher Wimmer haben sich kürzlich an dieser Stelle zu linker Militanz geäußert – nicht nur, weil das Sommerloch überbrückt werden will, sondern auch, weil es konkrete Anlässe gibt: die Anklage der Bundes­anwaltschaft gegen die Leipziger Studentin und Antifaschistin Lina E., die seit November vorigen Jahres in Untersuchungshaft sitzt – ihr wird vorgeworfen, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein und Angriffe auf Rechtsextreme organisiert zu haben (Jungle World 14/2021); das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung geplante Versammlungsgesetz, das ein sogenanntes Militanzverbot beinhalten soll (Jungle World 27/2021); verbreitete Rückgriffe auf die sogenannte Extremismustheorie, unter anderem anlässlich der Auseinandersetzungen über ein linkes Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain (Jungle World 25/2021).

Peter Nowak plädierte – völlig zu Recht – dafür, dass Linke die Forderungen der Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten Hufeisentheorie von Springer-Verlag bis SPD, sich von militanten Linken zu distanzieren, zurückweisen sollten. Christopher Wimmer beschäftigte sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen linke Militanz mehr ist als Folklore, die auf ritualisierten Events stattfindet.

Solange die Trennung von Arbeiterbewegung und Militanz nicht überwunden wird, wird sich jede Debatte über linke Militanz um eher fruchtlose, redundante und abstrakte Fragestellungen drehen.

Daran ist nichts verkehrt, aber sehr viel zu debattieren gibt es auch wieder nicht: Natürlich muss Lina E. sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern der Rigaer Straße 94 die Solidarität von Linken gelten, und selbstredend gehört die Kriminalisierung linker Politik bekämpft, wie sie etwa mit dem geplanten Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen vorgenommen werden könnte.

Doch gewaltbereite Linke sind, anders als rechte Politikerinnen und Vertreter von Ordnungsbehörden behaupten, heutzutage eine Randerscheinung – zumindest hierzulande. Global sieht das schon etwas anders aus: Seit 2018 gab und gibt es in unterschiedlichen Ländern – von Frankreich über Algerien und den Sudan bis zum Irak, dem Iran, ­Libanon, Chile und Kolumbien – eine Reihe von bemerkenswerten Aufstandsbewegungen, begleitet von heftigen Straßenkämpfen, riots, staatlicher Gewalt und Gegengewalt. Mit dem seit kurzem auch auf Deutsch erschienenem Buch »Riot. Strike. Riot« des linken US-amerikanischen Theoretikers Joshua Clover liegt sogar der Versuch einer – sicherlich diskussionswürdigen – materialistischen Erklärung dafür vor, weshalb riots gegenwärtig gehäuft auftreten. In der Bundes­republik über Militanz zu sprechen, ohne die militanten Auseinandersetzungen in den genannten Ländern zu berücksichtigen, ist kaum sinnvoll.

Doch nicht nur die nationale Begrenzung der Debatte über Militanz, auch ihre begriffliche Beschränkung und damit zusammenhängend ihr historischer Kanon gehören aufgesprengt. Der ist in Deutschland recht speziell, wie sich auch an Christopher Wimmers Aufzählung von Gruppen und Ereignissen zeigt, die der »Geschichte linker Militanz in Deutschland« zuzurechnen seien: Wimmer nennt Hausbesetzerinnen und -besetzer, Autonome, die Anti-AKW-Bewegung, die Rote Armee Fraktion und Gipfelproteste. Auffällig ist, dass diese Aufzählung weitgehend ohne Bezüge auf die Geschichte der Arbeiterbewegung auskommt. So zählen offenbar weder Ereignisse wie die Stuttgarter Krawalle im Herbst 1948, die am 12. November desselben Jahres in den bislang letzten Generalstreik in Westdeutschland mündeten, noch die militanten Streiks von sogenannten Gastarbeiterinnen und -arbeitern in den siebziger Jahren zum Kanon linker Militanz – von den radikalen Teilen der deutschen Arbeiterbewegung vor dem Zweiten Weltkrieg oder den militanten Strömungen der internationalen Arbeiterbewegung ganz zu schweigen.

Diese künstliche Trennung von Militanz und Arbeiterbewegung zieht sich bis in die Gegenwart und sie hat ihre Ursache sicherlich vor allem darin, dass sich die großen deutschen Gewerkschaften lieber an die sogenannte Sozialpartnerschaft halten als an radikale Traditionen der Arbeiterbewegung. Doch auch in der Vorstellungswelt vieler Linker existieren keine Kriterien von Militanz, die diese Trennung in Frage stellen könnten. Unter Militanz verstehen Linke im Wesentlichen das, was bürgerliche Politikerinnen und Sozialdemokraten als militant ansehen: Szenecodes und -events, die bekannten Anlässe und Ereignisse, bei denen es regelmäßig knallt. Brennende Mülltonnen in Berlin-Kreuzberg gelten auch im Selbstverständnis vieler Linker als Ausweis besonderer Militanz, während etwa ein Arbeitskampf, bei dem Arbeiterinnen und Arbeiter Regeln brechen, kaum Aufmerksamkeit erhält. Dabei entspricht ein nicht ritualisierter Streik genau Wimmers Beschreibung dessen, was Militanz ausmache: Er ist eine kollektive Weigerung, so weiterzumachen wie bisher, die sich in ­einem zentralen Bereich des Alltags – dem der Lohnarbeit – ausdrückt.

Ein Beispiel aus der Gegenwart: die Streiks von Arbeiterinnen und Arbeitern beim Lieferdienst Gorillas in Berlin (Jungle World 23 und 30/2021). Dort organisieren sich seit Anfang des Jahres vor allem Kurierfahrerinnen und -fahrer in einer Basisgewerkschaft, dem Gorillas Workers Collective. Seit Juni treten sie immer wieder in den Streik – ohne Aufruf einer tariffähigen Gewerkschaft, was an die Grenzen des restriktiven deutschen Streikrechts geht. Während ihrer Streikaktionen blockieren die Arbeiterinnen und Arbeiter unter anderem Warenlager von Gorillas.

Begonnen hatte der Streik mit der plötzlichen Kündigung eines Kollegen, längst jedoch geht es um viel mehr: um schlechte Arbeitsbedingungen, zu niedrige Löhne, mangelhafte Ausrüstung, Unsicherheit durch Probezeit und Befristungen. Die schon länger verblassende Start-up-Ideologie, die Ausbeutung und Ungleichheit mit Zusammengehörigkeitsgelaber zukleistert, ist dadurch öffentlich bereits ziemlich ­effektiv demaskiert worden.

Vor allem: Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit streiken Arbeiterinnen und Arbeiter in der Bundesrepublik über einen langen Zeitraum komplett selbstbestimmt, nach ihren eigenen ­Regeln, ohne sich in etablierte Protestformen integrieren zu lassen – und an der Grenze zur Illegalität. Das Interesse der radikalen Linken ist bislang allerdings überschaubar.

Ähnlich war es im vergangenen Jahr, als Erntearbeiterinnen und -arbeiter im nordrhein-westfälischen Bornheim einige Tage lang ebenfalls »wild«, also spontan und ohne Gewerkschaft, streikten – mit dem Ziel, ausbleibende Lohnzahlungen einzutreiben (Jungle World 22/2020). Was, wenn nicht solche Kämpfe, ist radikal und militant – und verdient Unterstützung, Solidarität, Debatte und Aufnahme in den Kanon linker ­Militanz?

Solange die fatale Trennung von ­Arbeiterbewegung und Militanz nicht überwunden wird und sich nicht ein Begriff von Militanz etabliert, der über die Grenzen sowohl der Bundesrepublik als auch der linken Szene hinausweist, wird sich jede Debatte über linke Militanz um eher fruchtlose, redundante und abstrakte Fragestellungen drehen, etwa darum, ob, beziehungsweise unter welchen Bedingungen, bestimmte Formen von Gewalt legitim seien. Eine Debatte indes, die den engen deutschen Begriff von »linker Militanz« hinter sich ließe, verspräche neue Erkenntnisse – und neue Bündnisse.

 

Die Auseinandersetzungen über linke Hausprojekte in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain und die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen eine Antifaschistin befeuern die Debatte über linke Militanz und sogenannten Linksextremismus. Doch was ist eigentlich Militanz und wie sollte man sich zu militanten Aktionen verhalten? Peter Nowak versuchte zu zeigen, dass »Law and order«-Politiker bestimmten linken Gruppen vermehrt Militanz vorwerfen, weil diese politisch durchaus nicht isoliert sind (»Jungle World« 28/2021). Christopher Wimmer skizzierte, unter welchen Bedingungen Militanz im Alltag stattfinden kann (29/2021).