In Hamburg lässt die NGO Viva con Agua ein Hotel bauen, das keines sein soll

Willkommen im Zeitalter der Togetherness

In Hamburg lässt die NGO Viva con Agua ein Hotel bauen, nennt es aber nicht so. Auch in puncto Arbeitsbedingungen wirft die Praxis der mit dem Verein verbundenen Unternehmen Fragen auf.

»Ein neues Zeitalter beginnt: herzlich Willkommen in der Villa Viva – dem Haus, das Brunnen baut.« So preist der Verein Viva con Agua (VCA) sein neuestes Projekt an. Ausgerechnet im Münzviertel, dem »Hinterhof des Hauptbahnhofes«, wie die Münzviertelinitiative ihr Quartier nennt, wird seit Mitte Juli für den Verein gebaut. Die Gegend ist von Obdachlosen und Drogenabhängigen geprägt, auch weil die Stadt jahrelang soziale Einrichtungen aus dem Ausgehviertel St. Georg dorthin verlegte. VCA ist ein gemeinnütziger Verein. Er beschreibt sich selbst als »ein internationales Netzwerk von Menschen und Organisationen, das sich für den sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzt«.

Im Münzviertel plane VCA ein neues Haus für den gestiegenen Büroplatzbedarf und ein paar Zimmer für Übernachtungsgäste der Kooperationspartner aus aller Welt – das zumindest hatte Günter Westphal von der Münzviertelinitiative gedacht. Zuvor hatte Benny Adrion, Gründer von VCA und ehema­liger Spieler des FC St. Pauli, Kontakt zu ihm aufgenommen, um das Quartier kennenzulernen. Doch statt einer Geschäftsstelle mit ein paar Übernachtungsmöglichkeiten entsteht nun mit der »Villa Viva« ein riesiges Gebäude für »Togetherness«, wie es im Reklamematerial des Vereins heißt, mit etwa 7 000 Quadratmetern Bruttogrundfläche, verteilt auf zwölf Geschosse.

In das Bauprojekt investiert eine Gruppe, die sich selbst »Shareholder Gang« nennt, etwa 5,5 Millionen Euro.

Der »Ort der Gastfreundschaft und des sozialen Engagements« soll über eine »RoofDrop Bar, 139 Zimmer mit 306 Betten, 23 Artrooms, einen Yoga­raum« verfügen. Die Übernachtungsangebote sind preislich abgestuft, von der einfachen und günstigen »Camping Etage« bis hin zu zwei »Dicke-Hose-Suiten« für 300 Euro pro Nacht, die nach Konzepten von Jan Delay und Barbara Schöneberger eingerichtet werden. Hinzu kommen Büroetagen und Konferenzräume. Und auch die soziale Komponente soll nicht fehlen. »Von der ­Essensausgabe für wohnungslose Menschen über das Bereitstellen von Räumlichkeiten für Veranstaltungen sozialer Initiativen aus der Nachbarschaft bis hin zum Einsatz des Gobanyo-Busses, wo wohnungslose Menschen eine ­Dusche bekommen können, ist vieles denkbar«, sagte Benny Adrion der ­Jungle World.

Die an zwei Seiten begrünte Fassade und die ökologische Dreifachverglasung sollen die Villa Viva von den anderen konventionellen Hotels im Münzviertel abheben. Doch ändert das wenig an den Problemen des Viertels: »Aktuell kommen bereits über 2 000 Hotelzimmer auf die etwa 1 400 Ein­wohner*innen im Münzviertel«, so Günter Westphal im Gespräch mit der Jungle World. »Es gibt zehn größere ­Hotels auf engstem Raum, alle mit ­Videoüberwachung und privatisiertem Raum. Die Obdachlosen werden entschieden verdrängt.« Überdies gibt es auf dem Nachbargrundstück des VCA-Hauses am Schultzweg ein großes Gebäude mit teuren Mikro- und Studierendenapartments, gegenüber entstehen zurzeit unter dem Titel »Smartments student« noch mehr hochpreisige Apartments für Studierende. Bereits 2018 gab es im Quartiersbeirat einen Beschluss gegen weitere Hotelbauten, 2019 eine Unterschriftensammlung: »Hotels: nein! Anwohnerparken: ja!«

VCA legt großen Wert darauf, dass die Villa Viva ein »Gasthaus« werde – von »Hotel« ist nie die Rede. Adrion will dazu beitragen, »dass unsere Welt noch nachhaltiger, sozialer und freudvoller wird in den kommenden Jahren«. Der Gründer von VCA sagt beschwörend: »Mit Villa Viva wollen wir daher zeigen, dass soziales Wirtschaften gleichzeitig nachhaltig und erfolgreich sein kann.« In das Projekt investiert eine Gruppe, die sich selbst »Shareholder Gang« nennt, etwa 5,5 Millionen Euro. Ein Großteil der Gewinne soll aber in ­gemeinwohlorientierte Projekte fließen.

Die Stadt Hamburg verkaufte das Baugrundstück an VCA unter dem Marktpreis, um das Projekt Villa Viva zu ­unterstützen, so Finanzsenator Andreas Dressel (SPD): »Wir freuen uns, dass durch die Erweiterung des Social Business Netzwerkes von Viva con Agua neue, sichere Arbeitsplätze für Hamburgerinnen und Hamburger entstehen.«

Doch genau der Punkt wirft Fragen auf. VCA ist nicht nur ein Spendenverein, sondern verkauft über verschiedene ausgegründete Unternehmen Lizenzen für Seife, Klopapier und eben vor allem Mineralwasser unter dem Label Viva con Agua. Für letzteres ist die Viva con Agua Wasser GmbH zuständig. Auf Nachfrage will man weder dort noch bei Viva con Agua e.V. bestätigen, dass bei Viva con Agua Wasser GmbH entsprechend dem für den Getränkegroßfachhandel üblichen Tarifbetrag bezahlt wird. Tobias Rau, Geschäftsführer von VCA e.V., erklärte auf Nachfrage auch: »Nein, es gibt keinen Betriebsrat.« Der Verein hat 25 Beschäftigte, auch bei der Wasser GmbH mit zehn Angestellten gibt es keinen Betriebsrat, wie die Pressestelle bestätigte.

Die Aussagen zum geplanten Betrieb der Villa Viva klingen da besser: »Wir wollen faire Gehälter und daher sind die tariflichen Grundlagen für uns wichtig und daran orientieren wir uns«, versichert Benny Adrion auf Nachfrage der Jungle World. »Es macht doch keinen Sinn, wenn wir uns für andere Menschen einsetzen und dabei unsere eigenen Mitarbeiter ausbeuten.« Doch gerade VCAs bekanntestes Produkt, das Mineralwasser, weckt in dieser Hinsicht Bedenken. Es wird bei der Firma Husumer Mineralbrunnen abgefüllt.

Die Auftragsabfüllung für die Viva con Agua Wasser GmbH ist eine wichtige Einnahmequelle für den ­Husumer Abfüllbetrieb. Dort arbeiten 120 Beschäftigte, einen Betriebsrat gibt es nicht, auch keinen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft NGG. »Wir haben seit 2017 versucht, dort einen Betriebsrat zu gründen, vergeblich«, so Philipp Thom, Gewerkschaftssekretär der NGG in Husum, im Gespräch mit der Jungle World. »Ein Maschinenführer erzählte mir, er würde 2 400 Euro brutto verdienen – das sind 1 000 Euro weniger, als der entsprechende Tarifvertrag vorsieht.« Der Betrieb laufe gut, es sei in neue Maschinen und Abfüllanlagen investiert ­worden – »aber die Geschäftsführung schließt keinen rechtlich verbindlichen Tarifvertrag ab«, so Thom.

 

*Hinweis: Der Artikel wurde am 17.08.2021 aktualisiert, um zu präzisieren, dass sich die Aussage zur Einhaltung des für den Getränkegroßfachhandels üblichen Tarifvertrags auf die Viva con Agua Wasser GmbH bezieht.

Außerdem wurde der Hinweis hinzugefügt, dass Viva con Agua de St. Pauli e. V. nicht direkt Mineralwasser verkauft, sondern die Viva Con Agua Wasser GmbH im Namen der Viva con Agua de St. Pauli e.V. Lizenzen zum Verkauf von Mineralwasser vergibt.