Dean Blunt und sein neues Album »Black Metal 2«

Eindrücklicher Schwindel

»Black Metal 2«, das neue Album des britischen Künstlers Dean Blunt, vereint die düstere Schilderung von Gewaltszenen mit erlösend-ätherischem Gesang. Gegenstand seiner eklektischen Songs ist das Leben in prekären sozialen Verhältnissen.

I-go-chop-your-dollar.com – so lautet die URL einer Website, auf der »Black Metal 2«, das neue Album des britischen Künstlers und Musikers Dean Blunt, zum Kauf angeboten wird. Moment, zerhackte Dollarscheine? Blunt, der vielen seiner Fans als König der Samples und der musikalischen Referenzen gilt, ­verwendet hier den Titel eines Songs des nigerianischen Schauspielers und Komikers Nkem Owoh. Dieser nimmt in dem Lied die Perspektive eines triumphierenden Trickbetrügers ein.

Der »Nigeria scam« ist eine Form des Vorschussbetrugs, bei der den Opfern per E-Mail oder Fax große Geldsummen versprochen werden – um dieses zu erhalten, sollen sie allerdings erst einmal selbst welches überweisen. Ihren Ursprung hat diese Form des Betrugs in Nigeria, Mitte der achtziger Jahre wurde sie dort zum Massenphänomen. Mittlerweile agieren »Nigeria scammers« auch von vielen anderen Ländern aus.

Auf Dean Blunts »Black Metal 2« hört man, wie auch schon auf Vorgängeralbum »Black Metal«, zu keinem Zeitpunkt verzerrte Gitarren, sondern stets sanft melodische.

Schon 2016 hatte Blunt dieses Thema mit seiner Band Babyfather auf dem Album »419« bearbeitet – benannt nach dem Paragraphen 419 des nigerianischen Strafgesetzbuchs, der früher gegen die Trickbetrüger zur Anwendung kam. Auf »Black Metal 2« findet sich nun der Song »Mugu« – so bezeichnen die nigerianischen scammers ihre Opfer, übersetzt heißt es »Vollidiot«. Auch dieser Song ist aus der Sicht eines Defraudanten erzählt, der seine Machenschaften für völlig legitim hält.

Ist das Album des britischen Musikers also ein scam? Hätte Blunt recht, wenn er die Opfer des Betrugs als »Mugus« bezeichnet? Wie bei ­jedem Kunstwerk sind solche Fragen schwer zu beantworten – und vielleicht auch nebensächlich. Wer aber auf »Black Metal 2« Musik erwartet, die sich unter den Begriff Metal subsumieren ließe, ist definitiv reingefallen: Man hört, wie auch schon auf dem Vorgängeralbum »Black Metal«, zu keinem Zeitpunkt verzerrte Gitarren, sondern stets sanft melodische. Diese Klänge sind Teil der düsteren Lo-Fi-Ästhetik, die Blunts Werk seit jeher prägt.

Der Titel »Black Metal 2« ist also ein Etikettenschwindel – aber nicht nur das. Die Begriffe »Black« und »Metal« verweisen nämlich auch auf eine wiederkehrende Thematik im Blunts Œuvre: Kriminalität, Gewalt und miteinander rivalisierende Londoner Straßengangs, die sich metallener Schusswaffen bedienen. Die besungenen Figuren sind schwarz und haben einen karibischen Migrationshintergrund.

Blunt, der eigentlich Roy Nnawuchi heißt und vermutlich jamaikanisch-nigerianische Wurzeln hat, wurde im Ostlondoner Stadtteil Hackney geboren. Das prekäre Milieu, das er beschreibt, ist ihm vertraut. Oft hat sein lethargischer Sprechgesang ­einen karibischen Einschlag – auf »Black Metal 2« verwendet er zum Beispiel den Begriff »Wagwan«, eine Begrüßungsformel im von den Gangs genutzten jamaikanischen Englisch, dem sogenannten Patois.

Wie schon auf seinen Vorgänger­alben – eines heißt »The Redeemer«, der Erlöser – spielt Blunt auch auf »Black Metal 2« mit religiösen Elementen. So ist »Vigil«, der Titel des ersten Songs, in der christlichen Liturgie die Bezeichnung für ein nächtliches Gebet oder eine Mahnwache, in diesem Fall wohl eine Totenwache: Blunt beschreibt hier in seinem schleppenden Sprechgesang die Situation nach einem Mord. Zu unheilvoll-melancholischen Staccato-Streichern ertönt seine Bassstimme mit den Worten: »She will never see her son again«, und: »So nigga where’s your gun / Can you see what you’ve done«. Als Beobachter wendet er sich an den Mörder, von dem er offenbar nicht weiß, ob dieser sich der Folge seiner Tat bewusst ist: Die Mutter des Ermordeten wird ihren Sohn nie wiedersehen.

Joanne Robertson, die als Solokünst­lerin »verätzten«, »elliptischen« Folk macht (Spex) und mit Blunt schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet, singt dazu in ihrer ätherischen, zuweilen hinreißend plärrenden Stimme: »Sun and the moon / Can’t see your mother / Had to let him go«. Ihr Gesang kontrastiert die von Blunt entworfenen trostlosen Szenarien oftmals mit Naturmotiven – wie hier dem der Sonne und des Monds – und wirkt darin dem Geschehen enthoben, beinahe erlösend.

So auch im Song »Nil by Mouth« (Nichts zu essen), dessen Titel auf ein britisches Filmdrama von 1997 anspielt. Der Film von Gary Oldman erzählt von häuslicher Gewalt, Drogen und einem hoffnungslosen Dasein unter prekären sozialen Bedingungen. Ebenso Blunt: Die Zukunft sei trostlos, konstatiert er, »Daddy« sei pleite. Joanne Robertsons Stimme dagegen transportiert einen tranceartigen Eskapismus, ein utopisches Gegenmoment: Sie beschreibt das Waten durch einen Fluss, dessen Pegel angestiegen ist. Ein Mensch hält ­einen anderen im Arm, der Fluss könnte beide in die Wüste hineintragen. Ein Ort, an dem es zumindest in der Vorstellung keine Gesellschaft und somit auch keine sozialen Hierarchien, keine Herrschaft und Knecht­schaft gibt.

Der Song »Sketamine«, dessen schwerfälliger Schellenkranz-Rhythmus an den berühmten Domina-Song »Venus in Furs« von The Velvet Underground erinnert, greift das Mordszenario des Albumauftakts wieder auf: Erneut ist von einer Waffe die Rede, es werden Körperstellen aufgezählt, die offenbar von Kugeln getroffen wurden. Diesmal ist klar, dass dem Mörder seine Tat bewusst ist: »That nigga knows what he done / That’s why really never can’t be none«, singt Blunt. Das Schicksal scheint besiegelt, der Täter kann nach dem Mord nie mehr ein anderer sein. Was bedeutet es für Blunt, wenn er »nigga« singt? Die Bezeichnung verweist nicht bloß auf eine Hautfarbe, sondern auf eine unüberwindbar scheinende soziale Realität.

»Black Metal 2« birgt eine Tragik, die im Diesseits wurzelt, aber nur im Jenseits aufgelöst werden kann. Die Songs auf dem Album, auf denen neben Blunt auch Robertson zu hören ist, sind zweifellos die eindrücklichsten. Nie singen sie synchron im Duett, sondern ergänzen sich in ihren unterschiedlichen Rollen, wobei die Gegensätzlichkeit ihrer Stimmen der Musik eine irisierende Tiefe verleiht.

Blunts Erzeugnisse bergen zuhauf klangliche und semantische Versatzstücke, die aus anderen Zeiten und von anderen Orten stammen. Das umfasst Songtitel, field recordings, Alltagsgeräusche wie etwa ein aufflammendes Feuerzeug und Samples aus anderen Musikstücken. Die Sample-Liste in seinem Werk ist lang und enthält mit Pink Floyd, Sade oder Fleetwood Mac Anleihen bei den unterschiedlichsten musikalischen Stilrichtungen. Auf »Black Metal 2« findet sich ein Sample des unvergesslichen nigerianischen Afrobeat-Begründers Fela Kuti und eines der sambischen Psychedelic-Rock-Band Amanaz, die beide ihre Hochzeit in den frühen siebziger Jahren hatten – und vermutlich weitere, die noch identifiziert werden müssen.

Das nur 23 Minuten lange Album wirkt insgesamt etwas zugänglicher als seine Vorgänger und ist vermutlich nicht ganz so samplelastig, demonstriert aber nicht minder als jene, dass Blunt zu den interessantesten Musikern der Gegenwart gehört. Irgendwo zwischen Rap, Trip Hop, Hypnagogic Pop, Psychedelic Rock und Folk entwickelt er Sounds, die bereits vertraute Elemente enthalten, aber doch immer wieder von Verletzlichkeit und Wagnis statt von bequemer Selbstgefälligkeit und Stillstand zeugen.

Dean Blunt: Black Metal 2 (Rough Trade)