Militante Untersuchung

Der sogenannte heiße Herbst im Turiner Fiat-Werk Mirafiori im Jahr 1969 erregte weit über Italien hinaus Aufmerksamkeit in der außerparlamentarischen Linken. Intellektuelle und Studenten aus ganz Europa interessierten sich für die Kämpfe der Arbeiter bei Mirafiori. Schließlich unterschieden sich die dortigen Streiks erheblich von den Arbeitskämpfen etwa der DGB-Gewerkschaften. Vor allem junge Beschäftigte organisierten Demonstrationszüge durch das große Fiat-Werk, skandierten Parolen gegen Vorarbeiter und reformistische Gewerkschaftssekretäre und zerstörten auch Maschinen. Die operaistische Strömung, die mit Verweis auf Marx gegen Stalinismus und Sozialdemokratie für den reinen Arbeiterstandpunkt eintrat, sah sich durch die Streiks bestätigt.

Der Berliner Historiker Dietmar Lange hat nun ein Buch vorgelegt, das die Vorgeschichte des Aufstands in der Fabrik rekonstruiert. Linke Gewerkschafter aus dem Umfeld der sozialistischen und kommunistischen Parteien hatten bereits Ende der fünfziger Jahre das Fundament für eine konfrontative Gewerkschaftspolitik gelegt. Ein erster Schritt war eine Untersuchung der Arbeitsverhältnisse bei Fiat in den Jahren 1959 und 1960, an der sich Soziologen aus dem Umfeld der Zeitschrift Quaderni Rossi beteiligten. Die »militante Untersuchung« wurde ebenso zu einem zentralen Begriff der operaistischen Strömung wie der »Massenarbeiter«, der sich angeblich nicht mehr von den Gewerkschaften vertreten lasse.

Das stellte sich als eine Fehleinschätzung heraus. Während die Operaisten meinten, mit den Fiat-Kämpfen nahe das Ende der Gewerkschaften heran, haben diese tatsächlich davon profitiert, wie Lange an der Entwicklung der Mitgliedszahlen und anhand der Beteiligung bei den Betriebsratswahlen nachweisen kann. Die außerparlamentarische Linke hat das Interesse an den Kämpfen der Arbeiter bald verloren. Doch die Geschichte des Aufstands liest sich noch immer spannend.

Dietmar Lange: Aufstand in der Fabrik. Arbeitsverhältnisse und Arbeitskämpfe bei Fiat-Mirafiori 1962 bis 1973. Böhlau-Verlag, Köln 2021, 421 Seiten, 54,99 Euro