Kritik an der Kritik am Hype um Transsexualität

Die Vergangenheit des Geschlechts

Die treffendste Kritik am Hype um Transsexualität übt der Traditionsfeminismus. Doch solange er Transsexuelle nur als Gefahr für die frauen­politische Solidarität ansieht, bleibt sein Universalismus halbiert.

Im Januar 1984 erschien in Emma ein programmatisches Editorial Alice Schwarzers über Transsexualität, die damals ein Nischenphänomen war. Darin pointierte sie den Unterschied zwischen einem Feminismus, der das geschlechterpolitische »Rollendiktat« der bürgerlichen Gesellschaft als »Einengung« sexueller Erfahrungsmöglichkeiten ansehe, und den Interessen der Transsexuellen, von denen es in der Bundesrepublik damals etwa 3000 gab: Während der Feminismus für »die Menschwerdung von Frauen und Männern« kämpfe, dafür also, dass alle Menschen gemäß ihren Neigungen »männlich und weiblich sein können und dürfen«, wollten Transsexuelle »ihren Körper in Einklang bringen mit ihrer Seele«. Auf die Verstümmelungen, die sexuelle Rollenmuster auf je verschiedene Weise allen Menschen zufügten, reagiere der Transsexualismus nicht mit dem Wunsch, diese Muster zu überschreiten, sondern mit dem Versuch, den für »falsch« erachteten vorgefundenen Leib dem Begehren anzugleichen, was den psychosexuellen Konflikt destruktiv verschärfe: »In unserer Gesellschaft gibt es eine Schublade ›Frau‹ und eine Schublade ›Mann‹, dazwischen nichts. Darunter leiden nicht nur die Transsexuellen. Darunter leiden die meisten Frauen (und einige Männer). Für Transsexuelle aber eskaliert der Konflikt: Sie wenden sich selbstzerstörerisch gegen den eigenen Körper.« Transsexuelle sah Schwarzer weder als pathologisch noch als Vorhut einer besseren Gesellschaft an. Vielmehr beschrieb sie sie als verlorene Seelen der Geschlechterpolitik: »Die Existenz des Transsexu­alismus beweist: Die Seele kann stärker sein als der Körper – sie bestimmt die Geschlechtsidentität. Der Körper ist nur Vorwand für diese Zuweisung. Und Lebensläufe von Transsexuellen sind Schicksale: Heimlichkeit, Demütigung, Verzweiflung.«

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