Die Klimaprogramme der Parteien

Die andere K-Frage

In München protestieren am Wochenende Tausende für eine klima­gerechte Mobilitätswende. Fest steht jedoch: Keine der großen Parteien hat ein Wahlprogramm vorgelegt, welches genügt, um dem Klima­wandel zu begegnen.

Die Bundestagswahl naht. Es geht nicht nur um die Frage, wer Bundeskanzlerin Angela Merkel im Amt nachfolgt, son­dern auch darum, welche Rolle der Klimaschutz in der kommenden Legislaturperiode spielen wird. Diese gilt als entscheidend, um zu erreichen, dass sich die Erde bis zum Ende des 21. Jahrhunderts im Vergleich zum Zeitalter vor der Industrialisierung um nicht mehr als 1,5 Grad erwärmt. Dieses Ziel verfolgen vordergründig alle demokra­tischen Parteien – doch die Erde hat sich im Vergleich zu 1830 bereits um 1,2 Grad erhitzt. Vielleicht nehmen die Parteien es deswegen dann doch nicht so genau: Einer Analyse der Wahlprogramme des Leipziger Vereins Konzeptwerk Neue Ökonomie zufolge reicht die Verwirklichung keines der Wahlprogramme aus, um die aus dem 1,5-Grad-Ziel resultierenden Vorgaben für Deutschland noch zu erfüllen. Zum gleichen Ergebnis kommt eine im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität erstellte Studie des deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die meisten Parteien sehen die Automobilindustrie eher als Partner denn als Gegner.

Dennoch mache es einen großen Unterschied, welche Parteien regieren werden, so die Forscherinnen und Forscher des Leipziger Vereins. Auf Grundlage der Wahlprogramme zeigen sich zwei klimapolitische Lager: Auf der einen Seite die Parteien, die mittels Marktmechanismen auf die klimatischen Veränderungen reagieren wollen, und auf der anderen Seite die Parteien, die staatliche Interventionen für notwendig halten. In den Wahlprogrammen geht es insgesamt vorwiegend um die Themen Energiewende, Bauen, Elektromobilität und die Bepreisung des CO2-Ausstoßs.

Gerade das Thema Elektromobilität bewegte zuletzt die Gemüter: Mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs fand die Internationale Automobilausstellung (IAA) in München statt, begleitet von heftigen Protesten. Das mag, abgesehen vom brisanten Termin, an dem neuen Konzept der Messe gelegen haben, stellten die Hersteller in diesem Jahr doch die Themen Elektromobilität und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt. Den Klimaaktivistinnen und -aktivisten geht das aber nicht weit genug.

Die Protestierenden von Greenpeace, Fridays for Future und Attac fordern eine echte Mobilitätswende – weniger Autos und ein Ende der Förderung von Verbrennern. Sie kritisierten, dass die Autolobby die IAA kurz vor der Bun­destagswahl nutze, um ihre Show als Mobilitätsmesse zu vermarkten und sich selbst einen grünen Anschein zu geben. Doch auch mit neuem Standort (statt wie früher Frankfurt) und Nachhaltigkeitsfloskeln bleibe die IAA ein Marketing-Event der Autobranche, »die ihr Geld immer noch mit dem Verbrennungsmotor verdient und so die Klimakrise weiter befeuert«, sagte Achim Heier von Attac Deutschland dem Handelsblatt. Elektromobilität könne nicht das alleinige Ziel einer nachhaltigen Verkehrspolitik sein. Es reiche nicht, Verbrennungsmotoren durch Elektroautos zu ersetzen, so Heier. Es müsse weniger Autoverkehr geben. Er glaube nicht, dass ein »produktiver Dialog mit der Autoindustrie möglich« sei.

Während der Messe besetzten Aktivistinnen und Aktivisten Autobahnen, Messestände und ein Haus; bei Demonstrationen des Bündnisses »Aussteigen« mit 25 000 Teilnehmenden setzte die Polizei am Samstag Pfefferspray ein. Neun Demonstrierende wurden vorläufig festgenommen. Auch Journalisten wurden angegriffen und in Gewahrsam genommen, die Journalistinnen- und Journalistengewerkschaft DJU berichtete von neun tätlichen Angriffen durch Polizisten und Polizistinnen. Vier Journalisten reichten wegen der Behinderung ihrer Arbeit Klage ­gegen den Freistaat Bayern beim Verwaltungsgericht München ein.

Die meisten Parteien sehen die Automobilindustrie eher als Partner denn als Gegner. Die SPD geriert sich in ihrem Programm wirtschaftsorientiert und der Automobilbranche zugetan. Die Förderung von Elektromobilität steht im Zentrum ihrer Klimapolitik. Mindestens 15 Millionen Elektroautos will die Partei in den nächsten zehn Jahren auf die Straße bringen. Mit ihrem »Mobilitätsplan 2030« will sie den öffentlichen Nah­verkehr und den Schienenverkehr fördern. Bahnfahrten durch ganz Europa sollen zukünftig günstiger und attraktiver als Flüge sein, so die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm. Auf Autobahnen soll ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern gelten. Eine wirkliche Klimapartei ist die SPD damit nicht.

Auch das Wahlprogramm der Unionsparteien gibt sich marktorientiert. Eine »klare Strategie für den klimafreundlichen Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft« vermag das DIW nicht zu erkennen. Eine Reduzierung des Autoverkehrs ist nicht vorgesehen, das Straßennetz soll weiter ausgebaut werden, auch ein Zeitplan zum Ende des Verbrennungsmotors fehlt.

Erwartungsgemäß legen die Grünen das inhaltlich umfassendste Programm zum Klima vor. Es enthält ein Bekenntnis zu dem 1,5-Grad-Ziel und zu einem Ausbau erneuerbarer Energien in Kombination mit einem – so das Versprechen – wirksamen und sozial ausgestalteten CO2-Preis. Ein Klimaschutzministerium soll geschaffen werden, das anderen Ressorts gegenüber vetoberechtigt ist, wenn deren Gesetze nicht mit den Klimazielen des Pariser Abkommens in Einklang stehen. Mit einem Sofortprogramm sollen die Treibhausga­semissionen bis 2030 um 70 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken und Deutschland soll innerhalb von 20 Jahren klima­neutral werden. Zudem befürworten die Grünen Emissionshandel und CO2-Richtlinien für Autos auf EU-Ebene. Deutschlands Rolle als Industriestandort und führende Exportnation wollen die Grünen erhalten. Die Studie des Konzeptwerks Neue Ökonomie bezeichnet dies kritisch als die »Eintrittskarte in den seriösen politischen Diskurs«.

Die Linkspartei hat das ehrgeizigste Klimaneutralitätsziel: Deutschland soll bereits bis 2035 klimaneutral werden. In ihrem Wahlprogramm hofft sie weniger auf Marktmechanismen, sondern rückt Ordnungsrecht und öffentliche Investitionen in Klimaschutz und In­frastruktur ins Zentrum. Darüber hinaus will sie Kurzstreckenflüge unter 500 Kilometern verbieten und den innerdeutschen und innereuropäischen Flugverkehr »so weit wie möglich« auf die Schiene verlagern. Zusätzlich soll der öffentliche Nahverkehr flächendeckend ausgebaut und schrittweise kostenlos werden. Das DIW beurteilt das Wahlprogramm der Linken als zumindest zufriedenstellend, bemängelt aber, dass die Frage »nach der Internalisierung externer Effekte durch eine angemessene CO2-Bepreisung, die inter­nationale Klimaschutzpolitik oder Vorschläge im Industriesektor« unbeantwortet bleibe.

Laut DIW rangiert die SPD klimapolitisch hinter Grünen und Linkspartei. So wollen die Sozialdemokraten bis zum Jahr 2040 Strom vollständig aus erneuerbaren Energien, vor allem Wind und Sonne, erzeugen. Bis spätestens 2045 soll Deutschland klimaneutral sein – zehn Jahre später als es Linkspartei und Grüne fordern. »Dafür machen wir Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze. Wir brauchen neue Stromspeicher und eine nachhaltige Wasserstoffproduktion«, heißt es im Kurzwahlprogramm der SPD. Erreicht werden soll das primär durch wirtschaftliche Anreize, die »auch neue, gut bezahlte Arbeitsplätze« entstehen lassen sollen. Auf die Frage, wie der Klimawandel auf europäischer oder globaler Ebene bekämpft werden soll, liefert die SPD keine Antworten, recht unkonkret ist lediglich von europäischer Solidarität die Rede.

Die FDP will hauptsächlich den Emissionshandel nutzen, um den Klimawandel und dessen Folgen einzudämmen. Der Handel mit CO2-Zertifikaten soll »schnellstmöglich auf alle Sektoren« ausgeweitet werden. Dies soll – ganz marktliberal – die Zertifikate knapper und somit teurer werden lassen. Die Politik soll dabei lediglich Vorgaben machen, welche Menge CO2 in einem Jahr ausgestoßen werden darf. Angaben über die konkreten Mengen oder die Preise, zu denen CO2 letztendlich emittiert werden darf, fehlen im Wahlprogramm gänzlich. Lediglich zu den Einnahmen schafft das Wahlprogramm Klarheit: Sie sollen als »Klimadividende« an Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden. Weiterhin strebt die FDP Steuer- und Abgabensenkungen an. So soll die Umlage zum Erneuerbare-Energien-Gesetz abgeschafft und die Stromsteuer auf den »niedrigsten nach aktuellem EU-Recht möglichen Satz« abgesenkt werden. Klimaneutralität soll Deutschland bis 2050 erreichen – deutlich später, als es alle anderen Parteien fordern, welche sich zum 1,5-Grad-Ziel bekennen.

Auch das Wahlprogramm der AfD bezieht sich auf die jüngsten klimatischen Entwicklungen, neigt allerdings dazu, den menschengemachten Klimawandel anzuzweifeln. Im Grundsatzprogramm von 2016 behauptete die Partei sogar noch, dass die positiven Auswirkungen der Klimaveränderung von Bundesregierung und Weltklimarat verschwiegen würden, beispielsweise die Düngeeffekte von CO2 auf Pflanzen. Auch im aktuellen Wahlprogramm fordert die Partei den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und will den motorisierten Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren »als beliebteste Möglichkeit der Fortbewegung« weiter fördern.

Den Ernst der Lage scheinen bisher weder die Parteien noch die meisten Medien verstanden zu haben. Bei der Dreierdebatte »Triell« der beiden Kandidaten und der Kandidatin für die Kanzlerschaft in ARD und ZDF am Sonntagabend fragten der Moderator und die Moderatorin denn auch mehr nach den Kosten der Klimaschutzmaßnahmen als nach ihrer Wirksamkeit. So konnten sie die Unzulänglichkeiten der Parteiprogramme nicht thematisieren. Das bleibt den sozialen Bewegungen überlassen: Für den Freitag vor der Wahl hat Fridays for Future zum globalen Klimastreik aufgerufen.