Small Talk mit Lena Ulrich und Adrian Lauchengrund von der »Initiative 9. Oktober« über den zweiten Jahrestag des Attentats in Halle

»Aufarbeitung verlangt Veränderung«

Die »Initiative 9. Oktober« widmet sich dem Gedenken an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags 2019 in Halle. Die Gruppe organisiert unter anderem eine Vortragsreihe und veranstaltet am 9. Oktober, dem zweiten Jahrestag, eine Gedenkkundgebung, die um 19 Uhr am Steintor in Halle stattfinden wird. Veranstaltet wird sie gemeinsam mit den Gruppen »Migrant Voices« und »Niemand wird vergessen«. Im Aufruf zur Kundgebung heißt es: »Erinnern bedeutet Auseinandersetzung, Aufarbeitung verlangt Veränderung.« Die Jungle World sprach mit Lena Ulrich und Adrian Lauchengrund von der »Initiative 9. Oktober.«
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Wie ist die Initiative entstanden und worin besteht eure Arbeit?

Die Initiative hat sich Anfang 2020 zusammengefunden, ein paar Monate nach dem Anschlag in Halle. Gegründet haben sie Menschen, die nicht vom Anschlag betroffen waren, sich aber politisch mit dessen Hintergründen und Konsequenzen auseinandersetzen wollten. Es wurde nämlich schnell deutlich, dass keine ausreichende Auseinandersetzung mit den ideologischen Hintergründen und den gesellschaftlichen Voraussetzungen des Anschlags stattfindet.

Ihr kritisiert den Umgang mit dem Attentat als ungenügend. Warum?

Schon letztes Jahr beim ersten Jahrestag haben wir eine Kundgebung organisiert. Damals war die Aufmerksamkeit noch viel höher, es kamen prominente Gäste nach Halle, ein großer Gedenkakt wurde abgehalten. Aber gleichzeitig fehlte eine politische Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat. Die offizielle Gedenkkultur dient geradezu dem Zweck, dass man sich nicht damit auseinandersetzen muss.

Und wie sieht es für diesen 9. Oktober aus?

Es konzentriert sich alles sehr stark auf die Feierlichkeiten am 3. Oktober zur Wiedervereinigung, die dieses Jahr in Halle ausgerichtet werden. Zuerst sah es so aus, als würde der 9. Oktober überhaupt keine Rolle spielen. Nun soll es aber eine kleine Kranzniederlegung geben. Damit wird aber nur wiederholt, was letztes Jahr stattgefunden hat: eine Selbstbestätigung, dass das nur die Ausnahme von der Regel war und wir eigentlich eine offene und bunte Gesellschaft sind.

Wie gehen die Stadt und ihre Bewohner mit dem Attentat um?

Es gibt zivilgesellschaftlich relativ viele Bemühungen, das Geschehene zum Thema zu machen, aber kritische Analyse oder Aufarbeitung wird kaum geleistet. Von städtischer Seite passiert ebenfalls wenig. Und die »Normalbevölkerung« hat wenig Interesse, sich weiter damit auseinanderzusetzen.

Wie sähe ein adäquater Umgang mit den Hintergründen der Tat aus?

Uns als Gruppe ist wichtig, dass in dem Anschlag in Halle gerade die Verbindung verschiedener Ideologien deutlich wurde: Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus. Das muss in dieser Konstellation zusammengedacht werden – und der Zusammenhang zu den gesellschaftlichen Verhältnissen muss hergestellt werden.