Homestory

Homestory #39

Sie mögen es schon ahnen und wahrscheinlich geht es Ihnen ähnlich: Begeisterung kam in der Redaktion der Jungle World nach der Bundestagswahl nicht auf. »Ich könnte eigentlich nur heulen angesichts der Wahlergebnisse in Sachsen«, so eine Kollegin. In Berlin sah es zum Glück etwas anders aus. Dort wurden neben dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus von Berlin und die Bezirksverordnetenversammlungen neu gewählt sowie über das Volksbegehren der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« abgestimmt. Zumindest das Ergebnis letzterer Abstimmung sorgte bei einigen Berliner Kolleginnen und Kollegen für etwas Euphorie. »Mir hat der Fahrradkorso, der nachts unter meinem Balkon vorbeifuhr, mit dem Sprechchor ›Deutsche Wohnen enteignen‹ zur Melodie von ›Seven Nation Army‹ der White Stripes ganz kurz gute Laune gemacht«, gibt eine Layouterin zu. Zuspruch für das Berliner Wahlergebnis erhielt eine Redakteurin auch von ihrer in Bayern lebenden Mutter: »Zumindest die Berliner haben gut gewählt, sonst ist es echt ein Debakel«, meinte diese. Das sehen einige Berlinerinnen allerdings anders. »Ich habe für circa eineinhalb Stunden tatsächlich geglaubt, der Giffey-Kelch wäre an uns vorbei gegangen«, so das enttäuschte Fazit einer Redakteurin. »Lindner for Future. Was ist nur los mit der Jugend von heute? Trau keinem unter 30!« meinte ein Redakteur. »Naja, Lindner und Habeck sind charakterlich fast ununterscheidbar«, lautete eine Replik darauf. »Wer braucht schon Charakter? Beim Casting würde man von Habeck sagen: Kann einen Tatort-Kommissar spielen, Lindner eher einen Serienkiller.« Mehr von der Fridays-for-Future-Bewegung und den jungen Menschen unter 30 hielt hingegen eine Redakteurin: »Carla Reemtsma war die kompetenteste Person, die am wenigsten Floskeln benutzt hat an diesem Fernsehabend.« Von diesem wenig angetan war ein Lektor: »Mich hat die Arbeitsteilung bei der Berliner Runde fast sprachlos gemacht: Lindner und Söder umgarnen Baerbock, Laschet guckt derweil die ganze Zeit auf seine beiden Vorturner und freut sich auf das Kanzlerchenamt – widerwärtig.«

Auch Wahlskeptiker hat die Jungle World in ihren Reihen. Auf die Frage, wie zufrieden man sei und inwieweit man sich vertreten fühle durch das Wahlergebnis antwortete einer davon: »Selbstverständlich nicht, das liegt aber nicht am speziellen Ergebnis. Sonst hätte ich ja auch wählen gehen können.« Ein anderer Kollege brachte es auf den Punkt: »›Zufrieden sein‹ und ›vertreten fühlen‹ sind zwei Dinge, die ich beim besten Willen nicht mit einer Wahl in Verbindung bringen kann.« Weniger konsequent im Wahlboykott, aber im Ergebnis ähnlich, lief es bei einer anderen Kollegin: »Ich habe extra Briefwahlunterlagen mit nach Bayern geschleppt, um dann hier mit Familie so verwurschtelt zu sein, dass ich vergessen habe, sie abzuschicken.«