Das Besondere an der Musikdokumentation »The Sparks Brothers«

Brothers in Crime

Die Sparks mischen seit 50 Jahren das Popgeschäft auf. Auch in der Dokumentation über die legendäre US-amerikanische Band geht es drunter und drüber.

John Lennon soll einmal vor dem Fernseher gesessen und sich gefragt haben, was Marc Bolan, der Sänger von T. Rex, da mit Adolf Hitler auf der Bühne von »Top of the Pops« mache. Das zumindest ist eine der Anekdoten, die einem in Edgar Wrights Musikdokumentation »The Sparks Brothers« aufgetischt wird. Der US-amerikanische Regisseur so unterschiedlicher Filme wie »Baby Driver« oder »Shaun of the Dead« hat für den Film über die Brüder Ron und Russell Mael, die die Band Sparks bilden, seit 2017 über 80 Interviews mit allerlei Größen der Popmusik geführt. Allesamt erschienen sie hier jedoch nicht, um zu fachsimpeln, sondern um sich als Fans der Sparks zu outen: Mitglieder der Sex Pistols, der Red Hot Chili Peppers, von Duran Duran, New Order, Sonic Youth und The Go-Go’s sowie Beck.

Die Sparks sind Außenseiter des Popgeschäfts und fungierten aus dieser Rolle heraus immer als Popintellektuelle, als Kommentatoren, Analytiker und Trendgeber.

Denn mit einer Diskographie aus 25 Alben und einer 50jährigen Bandgeschichte reicht der Einfluss der Sparks über Genre- und Epochengrenzen hinaus, so dass »The Sparks Brothers« schon im ersten Drittel die übliche Poperzählung über die goldene Ära der Siebziger gegen den Strich bürstet. Statt der Chronologie zu folgen, die im Groben von den Hippies zu Glam Rock und schließlich zu Punk führt, inszeniert Wright ein wahres Feuerwerk der ­Referenzen – die einzig angemessene Form, die Sparks zu charakterisieren.

Kurz zeigt der Film sie auf einem Konzert der Beatles, um dann einen Bogen zu Kraftwerk zu schlagen, ­denen der Film augenzwinkernd die Vorreiterrolle streitig macht, wenn es um futuristische Songs geht, die vom Computerzeitalter künden: Mit ihrer Band The Urban Renewal Project nahmen die Maels, damals Studenten, schon 1967 die 7-Inch »Computer Girl« auf (die allerdings erst Jahrzehnte später veröffentlicht wurde), also »pre-Kraftwerk«, wie die Brüder prahlen.

Damit ist eigentlich schon alles dar­über gesagt, was die Sparks ausmacht. Flamboyant waren sie von Anfang an, immer ihrer Zeit voraus. 1971, auf ihrem Debütalbum »Halfnelson«, klangen sie wie eine Mischung aus den Beatles und den Stooges, 1973 auf »A Woofer in Tweeter’s Clothing« dann wie eine Krautrockband, und 1974 läuteten sie mit ihrem Klassiker »Kimono My House« mit als erste New Wave ein. »Big Beat« von 1976 klang wie eine Parodie auf den Hard Rock, später im Jahrzehnt nahmen sie Disco-Alben auf.

Die Musik der Sparks bloß als ironisch oder als Satire aufzufassen, würde fehlgehen. Vielmehr sind sie trotz großer Erfolge Außenseiter des Popgeschäfts und fungierten aus dieser Rolle heraus immer als Pop­intellektuelle, als Kommentatoren, Analytiker und Trendgeber. Dass es bei ihnen stets auch deftig zuging, zeigen Platten wie das 1979 erschienene Disco-Album »No. 1 in Heaven«, auf dem die in den Bässen steckenden ekstatischen Versprechen des Musikgenres ausgesprochen werden und von einem Wettrennen der Spermien gesungen wird. Auf ihrer Platte »Music That You Can Dance To« von 1986 beantworteten sie, um was es auf dem Dancefloor wirklich geht: »All you ever think about is sex.«

Edgar Wright und die Sparks wissen, dass Musikfilme kommerzielle Begleitprodukte sind, und ersparen sich den Anschein tiefgründiger Ana­lyse und damit das genretypische Suchen nach biographischen Gründen für musikalische Entscheidungen. Der Film hat kein Interesse dar­an, das Privatleben der Brüder zu enthüllen, Authentizität findet man hier nicht. Stattdessen ist es Wright eine helle Freude, mit Stop-Motion, Zeichentrick, Collagen, Voice-over und dergleichen immer wieder über das streng normierte Genre der Musikdokumentation hinauszugehen; zugleich zollt er mit diesem Potpourri den beiden Kunstfiguren Respekt, nicht nur, weil diese wilde Art der Band entspricht, sondern auch, weil eben darauf verzichtet wird, den Mythos der Band entzaubern zu wollen, die sich selbst immer als äußerst mysteriös inszeniert hat. Nach ihrem Auftritt in dem trashigen Film »Rollercoaster« von 1977 dachten viele sogar, sie seien bloß eine erfundene Fake-Band.

Die Brüder Mael haben beide in den sechziger Jahren Film studiert, Ron theoretisch, Russell praktisch. So kann Regisseur Wright aus dem Vollen schöpfen, ist doch der Film im Œuvre der Sparks, in ihren Texten und exzentrischen Musikvideos, omnipräsent. Das Musikvideo zu dem Hit »When Do I Get to Sing ›My Way‹« beispielsweise ist im Stil des Film Noir gehalten. Und wenn die Sparks nicht ihrem Hang zum Filmischen in gesungenen Kurzgeschichten frönten, träumten sie doch vom Filmen, allerdings oft vergeblich: In den Siebzigern war eine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jaques Tati geplant, aus der aber nichts wurde; dann wollten sie mit dem durchaus interessierten Tim Burton aus einem japanischen Manga ein Musical machen, was auch schei­terte.

Gelungen hingegen ist ein Radiohörspiel von 2009 mit dem Titel »The Seduction of Ingmar Bergman«. In einer Stunde erzählen die Brüder in Musicalform, wie der schwedische Regisseur nach einem Gewinn in Cannes verführt wird, in Hollywood ein kommerziell orientierter Regisseur zu werden. Erst dieses Jahr nahmen sie endlich die große Leinwand ein: Das von den Maels geschriebene und von Regisseur Leos Carax verwirklichte Musical »Annette« eröffnete die Filmfestspiele von Cannes.

In »The Sparks Brothers« ergänzen sich Wort- und Bildwitze der Musiker zu einem selbstreflexiven Ganzen. Regisseur Wright unternimmt eine Reise durch das Kopfkino der Brüder und collagiert dafür privates Bildmaterial mit Filmaufnahmen der Band. Er geht dabei chronologisch vor, hangelt sich an der Diskographie der Sparks entlang.

Im Gegensatz zu den grellen Bandaufnahmen sind die ­Sequenzen, in denen talking heads, nicht zuletzt die Mael-Brüder selbst, zu Wort kommen, in Schwarzweiß gehaltenen. Sie werden durch diesen Kontrast ironisch als altbackenes Mittel des Filmgenres ausgewiesen, wobei Wright auch hier mit ­einem Interview- und Montagestil glänzt, der am ausgestellten Expertentum von Giorgio Moroder oder Tony Visconti vorbei auf den Humor als verbindendes Element der Sparks-Fangemeinde zielt. Dazu sprechen dann neben Musikern auch Autoren, Schauspieler, Regisseure und Komiker wie das Ehepaar Palladino (»Gilmore Girls«, »The Marvelous Mrs. Maisel«), Jason Schwartzman (»Scott Pilgrim vs. The World«, »The French Dispatch«), Patton Oswalt (»King of Queens«, »The Sandman«) oder Neil Gaiman, US-amerikanischer Popchronist und Autor von Fantasy-­Geschichten. Doch auch das bisschen Experteninformation in den Interviews wird durch Comic-Einsprenkelungen konterkariert.

Mit dieser Kakophonie der talking heads im Kontrast zu den aufwendig animierten Passagen geht es Wright auch darum zu zeigen, dass es un­sinnig wäre, jenseits der Musik Fakten über die exzentrischen Brüder kundzutun. Auch in Zeiten von Wikipedia wird man über Professionelles hinaus nicht schlau aus den beiden. Und der Film macht schon zu Beginn klar, dass er nie vorhatte, das zu ändern. Nie wird er dröge oder enzy­klopädisch. Die Interviewten sind ein großer Fanclub, keine Experten.

Und wenn Edgar Wright selbst vor der Kamera auftaucht, fragt man sich, wer dann überhaupt hinter der Kamera stand und das Gespräch führte. Wieder zerbricht damit die Illusion des Dokumentarischen für ­­einen Moment. Die Gewissheit, die sich einstellt, ist die, dass die Sparks auch das Genre der Musikdokumentation kapern und zu ihren Zwecken verwandeln können – in etwas Besseres. Edgar Wright ist damit nicht mehr nur Regisseur, sondern Komplize in einer Verschwörung im Dienste eines popkulturellen Phänomens, das diese Bezeichnung wahrlich verdient.

The Sparks Brothers (UK/USA 2021). Regie: Edgar Wright. Mit Ron Mael und Russell Mael. Filmstart: 7. Oktober