1944 wurde der ungarische Fußballtrainer Árpád Weisz in Auschwitz ermordet

Árpád Weisz: Fußballgenie, Weltbürger, Opfer des Holocaust

1944 wurde der ungarische Fußballtrainer Árpád Weisz in Auschwitz ermordet.

1939, Bologna: Die faschistische Regierung Italiens hatte ab 1938 ihre eigene Version der antisemitischen »Rassengesetze« verabschiedet. Juden war fortan die Ausübung vieler Berufe verboten. Árpád Weisz, der deswegen seinen Posten als Trainer beim FC Bologna verloren hatte, beriet mit seiner Familie darüber, ­wohin man auswandern solle. Weisz schlug Lateinamerika vor, wohin er seit einer Weiterbildungsreise persönliche Kontakte hatte. Seine Frau und die Kinder wollten Europa lieber nicht verlassen, also beschloss man, es mit den Niederlanden zu versuchen.

Als Árpád am 16. April 1896 in der ungarischen Kleinstadt Solt als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren wurde, deutete nichts auf die wenige Jahrzehnte später folgen­de fast völlige Auslöschung das euro­päische Judentums hin. Seit dem Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. (1782) blühte das jüdische Leben in Österreich-Ungarn und das Aufkommen antisemitischer und nationalistischer Bewegungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen nur die frühen Zionisten ernst. Alle anderen verließen sich darauf, dass das Kaiserhaus seine schützende Hand über die Juden halten würde, hatten doch alle von der Toleranzpolitik profitiert.

Regierungschef Miklós Horthy sorgte 1924 bei den Olympischen Spielen persönlich dafür, dass das ungarische Fußballteam in einem der schlechtesten Hotels von Paris nächtigen musste, während die nichtjüdischen Athleten und Funktionäre in Luxus­herbergen absteigen durften.

Einen Weltkrieg später lag die ­Monarchie in Trümmern, die ungarische Räterepublik scheiterte nach nur wenigen Monaten an einer rumänischen Invasion und der leidenschaftliche Antisemit und Nationalist Miklós Horthy riss in Ungarn die Macht an sich. Árpád Weisz hielt sich aus der Politik heraus und konzentrierte sich auf seine Leidenschaft: den Fußball. 1923 verließ er wie nicht weinge ungarische Juden sein Heimatland in Richtung Tschechoslowakei, spielte dort bei Makkabi Brünn, einem der ersten Profiteams Kontinentaleuropas. Jüdische Teams und jüdische Spieler trugen enorm viel zur Popularisierung des Fußballspiels bei und Makkabi Brünn erzielte spektakuläre Erfolge gegen Mannschaften aus ganz Europa.

Seit 1922 gehörte Árpád Weisz zum Kader des ungarischen Nationalteams und sollte sein Land bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris vertreten. Die Mannschaft bestand zu 80 Prozent aus jüdischen Spielern, sie bekamen den Judenhass Horthys zu spüren. Der ungarische Regierungschef sorgte persönlich dafür, dass das Team in einem der schlechtesten Hotels von Paris nächtigen musste, während die nichtjüdischen Athleten und Funktionäre in Luxusherbergen absteigen durften. Das ließen sich die Spieler nicht gefallen und es kam zur sogenannten »Meuterei von 1924«. Zunächst fingen die Kicker einige der Ratten, die ihre Zimmer heimsuchten, und erschlugen sie, dann hingen sie die toten Tiere an die Türknäufe der Funktionäre in den Nobelhotels. Beim Eröffnungsspiel gegen Ägypten spielten die an sich haushoch überlegenen Ungarn absichtlich so schlecht, dass sie aus dem Turnier flogen. Organisiert hatte diesen Protest Weisz’ Kollege, der Verteidiger Béla Guttmann, der später den Holocaust in einem Versteck in Budapest überleben und als Trainer eine Weltkarriere machen sollte.

Ende 1924 wanderte Weisz nach Italien aus. Dort hatte zwar Mussolini Ende 1922 die Macht ergriffen, anfangs aber richtete sich der italienische Faschismus nicht explizit gegen Juden. Außerdem konnten gute Fußballspieler im fußballbegeisterten Italien nicht schlecht verdienen, weil sich der dortige Fußball rasch professionalisierte.

Nur: Weisz war kein Spieler von Weltklasse. Seine Zeit bei Calcio ­Padova war kein Ruhmesblatt und er schoss für den Verein nur ein Tor. 1926, inzwischen zu Inter Mailand gewechselt, verletzte sich Weisz und zog sich als Fußballer zurück – aber er hatte inzwischen seine wahre ­Berufung und sein echtes Talent entdeckt: Trainer. Er schaffte es, die Funktionäre von Mailand zu überzeugen, und wurde so der damals weltjüngste Coach eines Proficlubs. Ende der zwanziger Jahre bereiste er für ­einige Monate Südamerika, um vom dort gespielten Fußball, der dem kontinentaleuropäischen weit voraus war, zu lernen. Wieder in Italien ­setzte er sein neues Wissen dermaßen effektiv um, dass ihn die Zeitungen »il mago«, den Zauberer nannten.

Weisz mischte das rasche Passspiel der »Wiener Schule« mit der südamerikanischen Primat des Ballbesitzes und der aus England übernommenen Mannschaftsaufstellung im WM-System und führte Mailand 1929/30 zum Meistertitel, dem ersten, der in einer landesweiten Profiliga ausgespielt wurde. Italiens Nationaltrainer Vittorio Pozzo bewunderte Weisz und übernahm dessen Methode so erfolgreich, dass Italien in den dreißiger Jahren zweimal Weltmeister und einmal Olmypiasieger im Fußball wurde. Weisz selbst wurde bei Inter Mailand entlassen, wieder angeworben und holte noch zwei Vizemeisterschaften; schließlich ging er zum FC Bologna. Den trainierte er bis 1939, als Italien auf Druck Nazideutschlands »Rassengesetze« einzuführen begonnen hatte und Juden keine Führungspositionen mehr innehaben durften. Die Medien, die »il mago« kurz zuvor bejubelt hatten, schwiegen oder schlossen sich der antisemitischen Propaganda an.

Die Familie Weisz, die inzwischen aus Árpád, seiner Gattin Ilona und zwei kleinen Kindern bestand, übersiedelte in die Niederlande. Wie viele andere Juden hofften sie, das Land würde, wie einst im Ersten Weltkrieg, von Invasoren verschont bleiben. ­Árpád wurde Trainer des FCV Dord­recht und verhinderte dessen Abstieg. Doch im Mai marschierte die deutsche Wehrmacht ein und mit ihr kamen Unterdrückung und Mord. Árpád musste seinen Posten wenige Monate danach aufgeben und die ­Familie Weisz wurde zum Tragen des gelben Judensterns gezwungen. Im August 1942 erreichte die Familie schließlich der Befehl, sich am Bahnhof einzufinden, sie wurde deportiert.

Nach einem Transport durch halb Europa stand die Familie Weisz am 2. Oktober 1942 am schrecklichsten Platz der Welt, auf der Rampe von Auschwitz. Die Nazi-Schergen trennten die Familie. Ilona und die beiden Kinder kamen sofort in die Gas­kammer, der Vater wurde zu härtester Sklavenarbeit gezwungen, die er bis zum 21. Januar 1944 überlebte. Am Morgen dieses Tages starb Árpád Weisz.

Dank der Recherchearbeit des italienischen Sportjournalisten Matteo Marani, der 2007 das Buch »Dallo scudetto ad Auschwitz« (deutsch: Vom Meistertitel nach Auschwitz) veröffentlichte, wurde Weisz’ Geschichte dem Vergessen entrissen. Seit 2009 erinnern in Bologna und seit 2012 in Mailand Gedenktafeln in den Stadien an den großen Trainer, den Zauberer, den Ermordeten. In Ungarn, wo Ministerpräsident Viktor Orbán inzwischen wieder Horthy-Statuen errichten lässt, sucht man hingegen vergeblich nach Denkmälern oder Gedenktafeln für Árpád Weisz.