Eine Delegation der Zapatisten ­bereist Europa

Intergalaktischer Besuch

Eine knapp 200köpfige Delegation der Zapatisten ist aus Südmexiko nach Europa gereist. Einige sind derzeit in Deutschland unterwegs.

»Sie kommen, um sich mit dem Europa von unten und links zu treffen«, sagte Leticia Hillenbrand vom Café Libertad Kollektiv aus Hamburg im Gespräch mit der Jungle World: »Mit Kollektiven, Organisationen und selbstorganisierten Gruppen, die gegen den Kapitalismus, gegen die neoliberale Politik Widerstand leisten.« Den Widerstand unterstützt das Café Libertad Kollektiv unter anderem, indem es Kaffee verkauft, der aus den autonomen Gebieten der zapatistischen Bewegung in Chiapas in Südmexiko stammt. Das Kollektiv gehört zur lokalen Unterstützungsgruppe der »Reise für das Leben«. So nennt der Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), die Zapatistische Armee der nationalen Befreiung, ihre derzeit stattfindende Delegationsreise nach Europa.

Für europäische Linke steht wohl erst mal nicht auf dem Plan, als Gegenmacht zum Staat zu agieren oder sich gegen Angriffe von para­militärischen Gruppen verteidigen zu müssen.

Die programmatische Erklärung »Reise für das Leben« wurde im Januar veröffentlicht, mitunterzeichnet von linken Gruppen aus verschiedenen Ländern. Im für die Zapatisten typischen blumigen Stil heißt es dort: »Der Verantwortliche für diese Schmerzen ist ein System. Den Henker stellt ein ausbeuterisches, patriarchales, pyramidenförmiges, rassistisches, räuberisches und kriminelles System dar: der Kapitalismus.« Der sei nicht reformierbar, es gehe darum, »zu kämpfen, überall und jederzeit (…) – gegen dieses System – bis es vollständig zerstört ist«.

»Die lange existierende zapatistische Solidarität in Deutschland und Europa hat große Erwartungen auf organisatorisches und politisches Erstarken durch die Rundreise«, so Gerrit Höllmann, Mitglied der Hamburger Mexiko-Solidaritätsgruppe Zapapres, im Gespräch mit der Jungle World. Er freue sich, »wieder in direkten Kontakt mit Menschen aus zapatistischen Gemeinden zu kommen«.

Die EZLN trat 1994 als Guerillaorganisation in Erscheinung, seitdem verwaltet sie zahlreiche ländliche Gemeinden im Süden Mexikos. Ihre Basis besteht vorrangig aus indigenen Kleinbauern. Trotz ihres Namens (»nationale Befreiungsarmee«) will sich der EZLN von traditionellen nationalen Befreiungsbewegungen absetzen. So fordert sie weder einen eigenen Staat, noch erklärt sie die Indigenen in Chiapas zur Nation. Doch stand der universelle Anspruch ihrer antikapitalistischen Programmatik immer in Spannung dazu, dass die EZLN in der Praxis vor allem für die Interessen der indigenen Bevöl­kerung Südmexikos eintrat und auch durchaus deren kulturelle Eigenständigkeit verteidigen wollte. Programm und Praxis stimmen aber in einer radikalen Staatsskepsis überein. Als »postfordistische Guerilla« wurde diese Strategie bezeichnet: Das Ziel war nicht die Eroberung der Staatsmacht, sondern der Aufbau einer autonomen Selbstverwaltung von unten.

»Es ist nicht nötig, die Welt zu erobern. Es genügt, sie neu zu schaffen«, schrieb einmal Subcomandante Marcos. Die geheimnisumwitterte Führungsfigur Marcos, die 2014 ihren Rückzug aus der Öffentlichkeit bekanntgab, war der bekannteste Vertreter der Gruppe. Er hatte stets versucht, seine Identität geheimzuhalten, was der Mythenbildung wohl eher zuträglich war. Marcos ließ sich gerne auf einem Pferd reitend ablichten, mit Patronengurt, Skimaske und Pfeife; regelmäßig richtete er sich mit lyrischen Polittexten an ein internationales Publikum.

Vor allem in den neunziger Jahren und um die Jahrtausendwende waren die Zapatisten mit ihrem schillernden Subcomandante Marcos ein Vorbild für viele staats- und globalisierungskritische Linke auf der ganzen Welt. Die Zapatisten suchten auch ihrerseits den Austausch, etwa bei dem »interkontinentalen« beziehungsweise dem »intergalaktischen« Treffen »für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus«, die 1996 respektive 1997 stattfanden. In einer Zeit, in der die radikale Linke vielerorts kaum noch Perspektiven hatte, schienen die Zapatisten für einige einen gangbaren Weg aufzuzeigen – wobei sich die Frage stellt, wie weit die Verhältnisse im ländlichen Südmexiko mit denen in geordneten, wohlhabenden bürgerlichen Staaten wie etwa Deutschland vergleichbar sind.

Was die theoretische Fundierung angeht, scheint die Chiapas-Solidarität seit langem zu stagnieren, die alten Parolen sind auch die neuen. Nach wie vor konzentriert sich die Kritik relativ undifferenziert auf den »Neoliberalismus«. Dass dieser Begriff zu schwammig und ungenau sei, um den gegenwärtigen deregulierten Kapitalismus zu analysieren, wurde bereits vor 20 Jahren auch in der Chiapas-Solidarität kritisiert, anscheinend ohne große Wirkung. Auch eine deutlichere Abgrenzung vom rechten, demagogischen Antikapitalismus scheint geboten. Schließlich wird das Feindbild »Neoliberalismus« mehr denn je auch von nationalistischen Strömungen benutzt, um einen autoritären nationalen Wettbewerbsstaat zu propagieren, gegen das vermeintlich heimatlose Finanzkapital. Die Ablehnung der »neoliberalen Globalisierung« ist durchaus vereinbar mit antiemanzipatorischem und antisemitischem Denken.

Vor einem Jahr entschied die zapatistische Bewegung, erneut den Kontakt zur internationalen Linken zu suchen. Trotz der Pandemie wurde eine Delegationsreise über fünf Kontinente geplant. In ganz Europa schlossen sich Gruppen und Einzelpersonen aus verschiedensten Bewegungen und Organisationen zusammen, um die »Reise für das Leben« zu organisieren. Seit dem 22. September sind zapatistische Kleingruppen auch in Deutschland unterwegs, etwa bei einem Camp des seit 1996 existierenden Ya-Basta-Netzes im Wendland.

Ob und wie öffentliche Veranstaltungen stattfinden, kann sich kurzfristig ergeben. So sei ein Fußballspiel des zapatistischen Frauenteams Ixchel Ramona und der Frauen-Allstars des FC St. Pauli im Gespräch. »Aber es geht vorrangig um Inhalte, Begegnung und behutsames gegenseitiges Kennenlernen, und das ist auch gut«, so Höllmann. In Hamburg seien etwa Begegnungen mit solidarischen Kaffeekollektiven in Hamburg, latinomigrantischer community, ein Besuch der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und eine alternative ­Hafenrundfahrt geplant. »Nach eigenem Bekunden haben sie weniger Interesse an großen Demos und an Massenevents und mehr an unserem Lebens- und Kampfalltag«, berichtet Gerrit Höllmann.

»Das Wichtigste für uns ist der Austausch mit den Zapatisten«, sagt Leticia Hillenbrand, »ihnen zuzuhören und von ihrer Selbstorganisation zu lernen. Sie leisten seit 1994 Widerstand und kämpfen nicht nur gegen die neoliberale wirtschaftliche Politik der mexikanischen Regierungen, sondern auch gegen Repression durch Polizei, Militär und paramilitärischen Gruppen.«

Die autonome zapatistische Selbstorganisation steht unter stetiger Belagerung, vor allem durch paramilitärische Milizen, die den großen mexikanischen Parteien nahestehen und durch staatliche Förderprogramme verdeckt finanziert werden. »Diese Erfahrungen sind für uns von großer Bedeutung«, so Leticia Hillenbrand. »Bei der Solidarität mit den Zapatisten geht es nicht um Entwicklungshilfe, es geht nicht darum, den Zapatisten zu sagen, was sie machen sollen.« Damit grenzt Hillenbrand sich ab von Aktiven, »die immer noch die klassische kolonialistische Denkweise haben: ›Wir Europäer kommen nach Chiapas, um den Indigenen zu sagen, wie sie sich organisieren sollen und was sie machen sollen.‹«

Die Chiapas-Solidarität hat sich immer auch als Opposition im eigenen Land verstanden. Auch die Strategie der Zersetzung des Staates samt der Absage an leninistische Avantgarde-Konzepte soll eine Gemeinsamkeit bilden, denkt Leticia Hillenbrand: »Ich denke, dass die zapatistische Bewegung eine reale Alternative für die Probleme in Mexiko und auch in anderen Regionen ist: Die Selbstorganisation ist die effektivste Möglichkeit, etwas zu verändern, selbst aktiv zu werden.«

Die Zapatisten kämpfen freilich unter deutlich anderen Bedingungen. Für europäische Linke steht wohl erst mal nicht auf dem Plan, als Gegenmacht zum Staat zu agieren oder sich gegen Angriffe von paramilitärischen Gruppen verteidigen zu müssen. Auch ist die Chiapas-Solidarität in Europa politisch marginalisiert. Das zeigte sich etwa, als französische Behörden im Sommer der zapatistischen Delegation wegen Coronaauflagen die Einreise verweigerten. Es gelang nicht, gegen diese Entscheidung eine EU-weite Protestbewegung aufzubauen. Dass die Einreise in die EU mit einer Verspätung von sechs Wochen gelang, ist einer Entscheidung österreichischer Behörden geschuldet, nicht der Stärke der Solidaritätsbewegung.