In Griechenland häufen sich Angriffe neonazistischer Gruppen

Wie die Nazis sich reorganisieren

In Athen und mehr noch in Thessaloniki häufen sich rechtsextreme Angriffe.

Am Donnerstag voriger Woche, dem ersten Jahrestag des Schuldspruchs, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, gegen 68 Mitglieder der ­Nazipartei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi, GM), mahnte Magda Fyssas, der Kampf gegen Neonazis sei heute wichtiger denn je. Fyssas, deren Sohn Pavlos am 18. September 2013 von einem Trupp der GM erstochen worden war, hat für ihre Sorge allen Grund. In Griechenland sind die Ultrarechten im Aufwind. In vielen Städten kam es in den vergangenen Wochen zu heftigen gewalttätigen Ausschreitungen. Fast pünktlich zum Jahrestag ging nach einem Jahr Unterbrechung die Internetpräsenz der GM wieder online.

In Thessaloniki sind der bürger­lichen Zeitung »To Vima« zufolge sieben militante rechtsextreme Gruppen polizeibekannt, sie verfügen insgesamt über 5 000 Mitglieder und Anhänger.

Am 28. September wurde in Thessaloniki vor der Berufsschule im Stadtteil Stavroupoli eine Kundgebung linker Studenten von rechten Schlägertrupps, unter denen sich Schüler befanden, ­attackiert, wobei einige Studenten durch Messerstich leicht verwundet wurden. Nach ihrem Angriff verschanzten sich die rechten Teenager in der Schule. Von dort warfen sie Molotow-Cocktails auf die linken Studenten, herbeigeeilte Antifaschisten und Passanten. Die Polizei griff ein – und verprügelte die linken Studenten. Das Konfliktszenario wiederholte sich am nächsten Tag. In der Schule attackierten Rassisten Schüler mit Migrationshintergrund und linke Schüler. Sie fanden keinen Schutz. ­Diesen genossen dagegen die Neonazis, die vom Schulgelände aus den Außenstehenden den Hitlergruß erboten.

Zunächst sah die Regierung keinen Grund zum Eingreifen. Regierungssprecher Giannis Oikonomou verlangte sogar von allen Parteien, dass sie »die Gewalt, wo auch immer sie herkommt, verurteilen«. Oikonomou sah in der Tatsache, dass linke Studenten vor der Schule Flugblätter verteilten, offenbar einen Akt der Gewalt. Der Staatssekretär im Bildungsministerium, ­Angelos Syrigos, sah seinerseits Gewalt­akte der Studenten und der Antifa, als diese sich gegen die Angriffe verteidigten.

In der Folge kam es in Thessaloniki zu ersten Festnahmen, die wiederum die Kommunistische Partei (KKE) auf den Plan brachten. Diese prangerte an, dass die Polizei unbeteiligte Jugendliche wahllos aufgriff, die Täter aber zunächst laufen ließ. Die KKE lieferte Beweisfotos von Tätern in Aktion und zeigte Täterprofile in sozialen Netzwerken. Sie betonte in seltener Einmütigkeit mit den par­lamentarischen und außerparlamentarischen Fraktionen der Linken und den Anarchisten, dass es sich offensichtlich um konzertierte Aktionen der Neonazis im gesamten Land handele. In Nea Iraklio bei Athen und in den Athener Vierteln Zografou und Kallithea wurden Antifaschisten am helllichten Tag auf offener Straße von – teils minderjährigen – Schlägern überfallen, mit Messern bedroht und zusammengeschlagen.

Daraufhin wurden einige der Täter von der Polizei identifiziert und verhaftet. Bei Hausdurchsuchungen wurden Schusswaffen, Messer und Taser gefunden. Die Staatsanwaltschaft des obersten Strafgerichts Griechenlands, des Areopag, ordnete intensive Untersuchungen von rechtsextremen Netzwerken an und wies die Staatsanwaltschaften in Athen und Thessaloniki an, die Vorgänge nicht als Einzelfälle zu beurteilen.

In Thessaloniki, so belegt ein auf Polizeiinformationen fußender Artikel in der bürgerlichen Zeitung To Vima, seien sieben militante rechtsextreme Gruppen, darunter das »Heilige Bataillon« und die »Autonomen Nationalisten von Thessaloniki«, polizeibekannt und verfügten insgesamt über 5 000 Mitglieder und Anhänger. Sie seien für Anschläge verantwortlich, aber auch zusammen mit rechten Schülern und deren Eltern in der Antiimpfbewegung aktiv. Einige der identifizierten Täter sind zudem aktive Hooligans des Fußballclubs PAOK Thessaloniki.

Die Kriminalpolizei ermittelt, ob inhaftierte Führungskader der GM die Angriffe und die Gruppen koordiniert haben. Es soll, wie aus Polizeikreisen bekannt wurde, bereits erste Indizien dafür geben. Die Ermittlungen werden auf frühere Angriffe im laufenden Jahr ausgedehnt. Der Areopag möchte auch untersuchen lassen, ob die Bildung neuer krimineller Organisationen nach dem Muster der GM stattgefunden hat.

In diesem Zusammenhang wurden einigen Inhaftierten der GM gewährte Lockerungen der Haftbedingungen entzogen. So hatte der ehemalige Sprecher der GM und aktuelle Parteiführer der »Griechen für die Heimat«, Ilias Kasidiaris, aus der Haft Zugang zum Internet und die Gelegenheit, regelmäßig in ­Radiosendungen zu sprechen. Drei der im Oktober des vergangenen Jahres zu langen Haftstrafen Verurteilten befinden sich bereits zur Bewährung auf freiem Fuß.

Viele griechische Medien schlagen nun Alarm, die Regierung gibt sich besorgt. In der vergangenen Woche wurde der Abgeordnete Constantinos Bogdanos aus der Fraktion der Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) ausgeschlossen. Bogdanos hatte in einer Parlamentsrede Linke und Kommunisten als »schlimmer als die Türken« bezeichnet. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ließ verlauten, er werde gegen derartige Ausfälle mit aller Härte vorgehen. Außenminister Nikos Dendias hatte Bogdanos direkt nach dessen Rede im Plenum angeschrien und gesagt, kein Demokrat könne, wie Bogdanos am 21. September in Grammos, Arm in Arm mit Faschisten an Veranstaltungen zur Erinnerung an die Bürgerkriegszeit teilnehmen und mit ihnen Kränze niederlegen. Bogdanos konterte, an der strittigen Veranstaltung hätten auch die damalige Bürochefin von Mitsotakis sowie ein weiterer Parlamentarier der ND teilgenommen.

Am Tag nach Bogdanos’ Fraktionsausschluss erinnerte Staatsminister ­Giorgos Gerapetritis daran, für Bogdanos, der weiterhin Parteimitglied bleibt, sei die Tür zur Rückkehr offen. Bogdanos hatte im vorigen Monat eine Namensliste ausländischer Kindergartenkinder veröffentlicht und diese als »Gefahr für das Griechentum« bezeichnet. Er ist nicht der einzige Parlamentarier der ND mit solchen Ansichten. Der Geister, die Mitsotakis für seinen Wahlsieg 2019 rief, wird er nicht mehr Herr.