Wes Anderson zollt mit »The French Dispatch« Magazinen wie dem »New Yorker« Respekt

Marvel für Intellektuelle

Mit üblicher Starbesetzung, persönlicher Note und einer phantastischen Welt, die jener aus den Comicblockbustern in nichts nachsteht, erzählt »The French Dispatch«, der neue Film von Wes Anderson, die Geschichte eines fiktiven Magazins.

Maniriert, selbstverliebt, gar bourgeois nennen Abgeneigte gern die Filme von Wes Anderson. Dass das, was Anderson vorgeworfen wird, auch Kehrseiten jener Eigenschaften sein könnten, die künstlerische Überzeugungskraft ausmachen, zeigt der US-amerikanische Autorenre­gisseur nun wieder in »The French Dispatch«: künstlich, obsessiv, intellektuell. Anderson unterscheidet sich absichtsvoll von allem Zeitgenössischen im Kino – und doch trägt »The French Dispatch« auch klar die Züge einer Großproduktion, die meist nur noch bei den Superhelden-Blockbustern zu finden sind: ausufernde Starbesetzung, ein sehr frei gestalteter Plot, ein Verständnis von Film als subtiler Werbeplattform. Doch auch das muss nichts Schlechtes sein.

Harold Ross, der 1925 das Magazin The New Yorker gründete, sein Nachfolger William Shawn und die vielen Exilautoren, deren Texte das kosmopolitische Magazin im Laufe des Jahrhunderts veröffentlicht hat, sind es, von denen sich Anderson inspirieren ließ und vor denen er sich verneigt. Frankreich, 1968: Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) ist Chefredakteur des Magazins The French Dispatch, einem französischen Ableger der Zeitung Liberty aus Kansas, USA. In einer Redaktionssitzung bespricht er geplante Artikel seiner Autoren, die er als Protegés betrachtet: »Schrumpft das Impressum, kürzt Anzeigen, kauft mehr Papier! Ich streiche niemanden.« Vier fiktive Reportagen, die in der kommenden Nummer erscheinen sollen, werden als Filmepisoden erzählt und bilden gemeinsam den Film »The French Dispatch«.

Gut 30 Stars hat Anderson in 100 Minuten untergebracht, und erstmals seit »The Royal Tenenbaums« nutzt er wieder eine freie Erzählform ohne klar umrissene Handlung.

Als »der radelnde Reporter« führt Herbsaint Sazerac (Owen Wilson; der Vorname der Figur bezeichnet in den USA eine Anisschnapsmarke) durch die Stadt Ennui-sur-Blasé (Langeweile am Überdruss), Sitz des ­Magazins: Raucher auf Caféterrassen, Aufstand im Mädcheninternat, Fleischerviertel, Huren, Ratten, Wasserleichen – französischer geht’s nicht. Damit ist der Lokalteil voll.

Was bringt das Kunstressort? Die Kritikerin J. K. L. Berensen (Tilda Swinton) stellt in der Druckfassung ihres Vortrags »Das Beton-Meisterwerk« für die Clampette Collection in Kansas einen Kunstkniff hinter Gittern vor. Der im Gefängnis einsitzende Künstler Moses Rosenthaler (Benicio del Toro), angetan von seiner Muse, der Schließerin Simone (Léa Seydoux), treibt Kunsthändler auf die Palme, die nach Jahren des Mäzenatentums entdecken, dass der Maler ein Fresko an der Knastmauer geschaffen hat. Tilda Swintons Partner im echten Leben, der Künstler Sandro Kopp, malte die Originale für den Film.

Beim Weltpolitischen dreht sich dann doch alles um Frankreich: »Korrekturen eines Manifests« sind in politische Berichterstattung eingelassene Geständnisse von Lucinda Krementz (Frances McDormand), die sich in einer amour fou mit Zeffirelli (Timothée Chalamet) befindet, einem Anführer der Studentenunruhen. Von dessen jugendlicher Autoreneitelkeit lässt sich Krementz anstecken und wird plötzlich flexibel in Sachen journalistischer Neutralität. Im Presseheft zitiert Anderson unter anderem einen Studentenslogan aus dieser Zeit: »Je suis Marxiste – tendance Groucho«.

Für die Lifestyle-Rubrik schreibt Roebuck Wright (Jeffrey Wright) die Reportage »Das private Esszimmer des Polizeichefs«, verliert aber sein Sujet, die Kochkunst, aus den Augen und schildert eine hanebüchene Entführung. An deren glücklichem Ende immerhin beantwortet Polizeileutnant und Chefkoch Nescaffier (Stephen Park), was einen berufsmüden Gaumen noch reizen kann. James Baldwins Schilderungen von Paris, wo er viele Jahre gelebt hatte, waren hier das Vorbild.

Ordnung versus Chaos, Stillstand versus Bewegung, das sind noch immer die Determinanten für Andersons Bildfindung und Montage: Listen, statische symmetrische Aufnahmen und akribisch geordnete Sets und Requisiten, in und zwischen denen reglose Figuren lakonisch Offensichtliches konstatieren, stehen verworrenen Landkarten, schnellen Zooms, Schwenks und Fahrten gegenüber, die Gewimmel, Verfolgungen oder in einem Wortschwall vorgetragene intellektuelle Beobachtungen zeigen. Durch die Montage dieser Kontraste entsteht bei Andersons Slapstick, aber auch Melancholie. Beides ist auch an der mechanischen Komik eines Chaplin oder Keaton geschult. Sie machen zusammen mit minutiös abgestimmten Farben die Künstlichkeit von Andersons Filmwelt aus.

»The French Dispatch« besitzt mehr als andere Filme des Regisseurs auch eine persönliche Note. Schon in der Schule las Anderson den New Yorker. Er lebt in Frankreich, er liebt die Nouvelle Vague – und er gehört zum Kreis der US-amerikanischen Autoren und Künstler, die der New Yorker heutzutage um sich schart. Außerdem hat er für die Fondazione Prada in Mailand als Innenarchitekt eine Bar eingerichtet und für das Kunstmuseum in Wien mit seiner Partnerin Juman Malouf eine Ausstellung im Stile eines Kuriositätenkabinetts kuratiert. Wes Anderson ist wie seine Figuren ein vielseitig interessierter und dabei versponnener Intellektueller.

Diese Vielseitigkeit stellt er in dem Eklektizismus aus, der seine Ästhetik prägt und dank dessen sein Werk nahezu zu einem eigenen Genre geworden ist: Architektur-, Produkt- und Modefotografie sowie Werbegestaltung beeinflussen seine Filme. In der Tat hat er auch Werbespots gedreht, zum Beispiel für Prada, Sony und American Express. In seinen Spielfilmen jedoch transzendiert er die zumeist kühle Welt jener Gattungen mit handgemachten Tricks und hipper Nostalgie und gibt so seinen Filmen einen anachronistischen Charme.

In einer Szene, in der Howitzer den Sazeracs Artikel vorliest, während der an seinem Rennrad schraubt, werden diese Einflüsse ganz besonders deutlich. Da wird die gehoben antiquierte Warenwelt des Weltmannes gepriesen: Rennrad, Leica, Freizeit- und Geschäftskleidung, Loftbüro. Sich für Motive der darstellenden Hoch-, Pop- und Trivialkultur gleichermaßen offen zu zeigen und aus und mit ­ihnen immer wieder Filme mit prägnanter Handschrift zu schaffen, verlangt eine eigene Methode, der Anderson konsequent folgt.

Diesen künstlerische Eigensinn hat er mit einer ebenfalls frankophilen Intellektuellen gemeinsam: ­Susan Sontag, die 2004 verstorbene Autorin, war eine der Ersten, die dadurch auffiel, sowohl in der Vogue als auch im New Yorker zu veröffentlichen, und zwar gleichermaßen eifrig über schwule Underground-Happenings, Godzilla-Filme und Weltpremieren von Opern. In ihr Notizbuch schrieb sie einst: »Sorge dich nicht darum, obsessiv zu sein. Obsessive Menschen machen große Kunst.« Ihr wohl berühmtester Essay, »Notes on ›Camp‹« (1964), würde sich in einer jener einprägsamen Draufsichten auf analoges Schriftgut, wie sie auch in »The French Dispatch« wieder vorkommen, sicher wunderbar machen – sind doch laut Sontag akribisch geführte Listen und ernster Stilwillen ebenfalls campy.

Das Publikum hat Anderson oft unterstellt, er nutze die Talente seiner Stars nicht. Aber der Regisseur will von solchen Leistungsgedanken in Bezug auf die Schauspielerei nichts wissen; auch bei der Besetzung von »The French Dispatch« zählt der größtmögliche Ausdruck künstlerischer Freiheit. Da hat eben Christoph Waltz nur zwei Sätze und Bob Balaban steht nur mit offenem Mund herum.

Gut 30 Stars hat Anderson in 100 Minuten untergebracht und erstmals seit »The Royal Tenenbaums« nutzt er wieder eine freie Erzählform ohne klar umrissene Handlung. Damit wären auch die anderen eingangs erwähnten Kriterien erfüllt, die Anderson mit dem Superheldenkino verbinden. Polemisch könnte man sagen, dass Wes Andersons Filme das Marvel-Multiversum für Intellektuelle sind. Hier wie da wünschen sich Kinogänger mehr als die Verdopplung der Realität, wollen stattdessen Phantasie und ästhetische Übertreibung. Zwar mag nicht jeder die Feinsinnigkeit haben, um die zahlreichen Anspielungen (im Marvel-Jargon: Easter eggs) auf das kosmopolitische Autorentum alle zu verstehen. Doch zumindest gehört Wes Anderson zu jenen leichtfüßigen US-amerikanischen Intellektuellen, die Humor haben. Er schätzt auch ein Publikum, das in »The French Dispatch« bloß über den offenkundig karikierten Habitus seiner Figuren lacht. Und damit wäre auch der Vorwurf des Elitismus vom Tisch.

The French Dispatch (D/USA/F 2021). Buch und Regie: Wes Anderson. Darsteller: Bill Murray, Tilda Swinton, Frances McDormand, Jeffrey Wright und viele andere. Filmstart: 21. Oktober