Der Oktober ist Brustkrebsmonat

Pink gegen die Angst

Der Oktober fungiert jedes Jahr als Brustkrebsmonat, in dem Vorsorge im Mittelpunkt steht. Reine Appelle vereinfachen jedoch das Problem.
Bodycheck - Die Kolumne zu Biopolitik und Alltag Von

Für viele Krankheiten gibt es einen Tag im Jahr, den oft nur die Betroffenen, ihre Angehörigen und das medizinische Personal kennen. Brustkrebs bekommt sogar einen ganzen Monat, nämlich den Oktober, in dem verschiedene Organisationen verstärkt auf die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen hinweisen. Zum Auftakt des #BreastCancerAwarenessMonth wurden Gebäude wie das Weiße Haus, der Eiffelturm und das IDF-Hauptquartier mit pinkem Licht angestrahlt.

Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung twitterte zu einem Bild von Dilek Kalayci (SPD) mit einer sehr großen pinken Schleife auf der Brust: »Früherkennung erhöht Heilungschancen und kann Leben retten – deshalb unbedingt zur Vorsorge gehen!« Die Protagonisten der Netflix-Serie »Sex Education« veröffentlichten ein Video, in dem sie mittels der leicht zu merkenden Abkürzung TTT (»use the Toilet, brush your Teeth, check your Tits«) sogar empfahlen, das Abtasten der Brust zum Teil der täglichen Morgenhygiene zu machen.

In diesem Jahr erscheint die Erinnerung an das Abtasten der eigenen Brust, die Vorsorgeuntersuchung bei der Gynäkologin oder die Mammographie besonders sinnvoll, da im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie viele Menschen Arztbesuche vermieden haben. Einer neuen Studie der Universität Innsbruck zufolge sank die Detektion von Brusttumoren im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 52 Prozent, dafür stieg die Zahl der Patientinnen mit krebsspezi­fischen Symptomen, und die gefundenen Tumore waren im Durchschnitt größer. Auch ich war pandemiebedingt 2020 nicht bei meiner Gynäkologin. Nach meiner Brustkrebsdiagnose im Mai habe ich mich gefragt, ob das wohl ein großer Fehler gewesen ist.

Krebs ist eine lebensbedrohliche Krankheit, die im besten Fall für einige Zeit die Lebensqualität stark einschränkt. Vieles um seine Entstehung und Behandlung ist noch unklar. Wenn man sich mit der Geschichte von Krebs und seiner Behandlung beschäftigt, kommt man aus dem Staunen darüber, was für Behandlungsmethoden einmal anerkannt waren, nicht mehr heraus. Beispielsweise wurden Ende des 19. Jahrhunderts die eigentlich hilfreichen Operationen immer weiter radikalisiert, immer mehr Gewebe, Lymphknoten und Muskeln wurden entfernt, in der Hoffnung, so eine Wiederkehr des Krebses zu verhindern. Mehrere Jahrzehnte lang galten möglichst radikale Operationen als das A und O der Brustkrebsbehandlung, auch auf Kosten der Lebensqualität der betroffenen Frauen, die oft die Funktionsfähigkeit des angrenzenden Arms einbüßten. Wie Krebs metastasiert war nicht bekannt, die Koryphäen bekämpften andere medizinische Ansätze. Aber viele der Betroffenen wollten diese Operationen, die radikalen Eingriffe schienen am sichersten und das Opfer wert.

Es gibt verschiedene Methoden, mit der Angst vor einer schweren und lebensbedrohlichen Krankheit umzugehen. Vermeidung ist eine davon, die aber nur dann gut funktioniert, wenn nichts passiert. Vorsorge ist der umgekehrte Weg: Man beschäftigt sich ein bisschen mit der Krankheit in der Hoffnung, dass nichts gefunden wird, oder wenn, dann so früh, dass es nicht so schlimm wird. Das ist der unausgesprochene Deal: ein bisschen Angst aushalten dafür, nicht (daran) sterben zu müssen.

Bei Frauen, die überproportional häufig von Brustkrebs betroffen sind – in Deutschland erkranken etwa 700 Männer und knapp 70 000 Frauen pro Jahr, Personen mit anderem Geschlechtseintrag werden nicht erfasst –, funktioniert diese Ansprache an Selbstermächtigung und Self-care besonders gut. Das mag daran liegen, dass Mädchen und Frauen häufig dazu erzogen werden, an ihrem Körper zu arbeiten und etwas für ihre Schönheit und Attraktivität zu tun.

Mit dem Versprechen der Krankheitsvermeidung ist aber auch eine Verpflichtung verbunden: Wenn eine ihre Brüste nicht regelmäßig selbst untersucht oder nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen geht, besteht die Gefahr, Schuldgefühle zu entwickeln, wenn eine Krebs bekommt beziehungsweise wenn dieser spät diagnostiziert wird. Im Chemoraum ist das auch immer wieder Thema, meist in einer Selbstvergewisserung, dass eine nicht mehr hätte tun können.

Mein Tumor ist so schnell wachsend, dass ich zumindest kein schlechtes Gewissen haben muss: Wäre ich im vergangenen Jahr zur Vorsorge gegangen, hätte die Gynäkologin noch nichts ertasten können. Auch Abtasten war bei dieser Wachstumsrate gar nicht nötig, bei Diagnose war der Tumor schon größer als die eigentliche Brust.

Bei dichtem Brustgewebe ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Knubbel bilden, die meistens gutartig sind und oft von selbst wieder verschwinden. Sich deswegen jedes Mal Sorgen zu machen und das abklären zu lassen, wäre recht anstrengend und meistens unnötig. Auch der Ultraschall meiner linken Brust hatte den Frauenarzt nicht beunruhigt. Einen frühzeitigen Termin für die zur Abklärung empfohlene Mammographie zu bekommen, war schwierig und erforderte engagiertes Herumtelefonieren.

Hier wäre zusätzlich zu den Vorsorgeappellen eine Stellschraube für eine schnellere Diagnostik. Zudem ist Mammographie zwar der Standard in der Früherkennung von Brustkrebs; in Deutschland werden Frauen ab ihrem 50. Lebensjahr alle zwei Jahre dazu eingeladen. Die Sensitivität hängt allerdings von der Dichte des Gewebes ab: je dichter, desto schwieriger ist es, Krebs zu erkennen. Oder um es salopp mit den Worten meiner Ultraschallärztin zu sagen: Bei jungen Frauen strahlt alles weiß, da siehst du nichts.

Andere Methoden, wie MRT oder die Detektion bestimmter cfDNA im Blut, und deren Qualität werden zurzeit diskutiert, aber einen Standard zu überwinden, ist schwierig – sei es nun die möglichst radikale Brustoperation oder die gekauften Mammographieapparate, die sich amortisieren wollen.