Alexander García Düttman Buch über die Jugend

Totgelobte leben länger

In seinem neuen Buch lobt Alexander García Düttmann die heutige Jugend nicht, verteufeln will er sie aber auch nicht. Ein fundamentales Interesse für seinen Gegenstand lässt der Philosoph allerdings doch vermissen.

Jugend ist die Gegenwart der Zukunft in der Welt – schon deswegen gebührt ihr gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Tatsächlich häufen sich die Talkshows, in denen von Impfempfehlungen bis Klimawandel die Belange einer übergangenen Jugend beredet werden. Folgt man jedoch dem Philosophen Alexander García Düttmann, so wäre die Jugend gut beraten, die neue Aufmerksamkeit zurückzuweisen und den Erwachsenen ins Gesicht zu spucken.

Denn Erwachsene verstünden Jugendliche im besten Fall immer nur als Zielgruppe von Politik, nie aber als ihre revolutionäre Quelle. Nur »Repräsentanten der Ordnung«, schreibt Düttmann in seinem kürzlich erschienenen Buch »Lob der Jugend«, »reden davon, dass man den Forderungen der Jugend Gehör schenken muss«. Eine Jugend aber, die darauf eingeht und einen Pakt mit den Erwachsenen schließt, fälle damit ihr eigenes Todesurteil. Politik hingegen, die wie ein Jungbrunnen Jugend selbst wieder ermöglichen soll, müsse von denen gemacht werden, die die Jugend nicht nur verstehen, sondern lieben. Düttmann verschreibt sich in der Tat dieser Liebe. Das macht sein Buch zu einer willkommenen Abwechslung zwischen den endlosen Generationenporträts, die sich um Verständnis für die Jugend bemühen, denen so etwas wie Liebe jedoch zumeist fehlt.

Gleichwohl beginnt das Buch mit Kritik an einer »Jugend, die bereit ist, zu reden, und die sich über nichts mehr freut als darüber, dass die Eltern das Wort an sie richten«. Es lässt es sich kaum verhindern, dass einem bei diesen Worten das Gesicht der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer in den Sinn kommt, wie sie in Talkshows geduldig und bis zur Schmerzgrenze informiert eine angemessene Klimapolitik einfordert. Ist man jenseits der 40 und vergleicht dies mit seiner eigenen Jugend, so ist das in der Tat ein gewöhnungsbedürftiger Anblick.

Vieles von Düttmanns Kritik könnte also auf den furchtbaren Boden eines schon länger schwelenden Unbehagens an der Strebergeneration der Millennials fallen. Um so erleichterter stellt man fest, dass der Autor nicht nur die Anbiederung an die Jugend meidet, sondern ebenso billige Ressentiments gegen sie. »Lob der Jugend« ist ein angenehm unpolemisches Buch ohne unfaire Seitenhiebe gegen eine vermeintlich überempfindliche Generation. Stattdessen versucht es, das metaphysische Selbstmissverständnis aufzudecken, dem die Jugend von heute anheimgefallen ist.

Folgt man Düttmanns Gedankengang, so ist die Jugend unter die Räder einer wildgewordenen Anerkennungsmaschinerie geraten, der es darum gehe, mit den Mitteln gewaltfreier, allen gerecht werden wollender Kommunikation die Anerkennung marginalisierter Positionen zu maximieren; ganz so, als solle die Diversifizierung der Sprache der gelebten Diversität vorangehen. Dieser »Sprache der Diversität« allerdings, befürchtet Düttmann, musste die Jugend ihr ureigenes wollüstiges, kopfloses und unnachgiebiges Begehren opfern; ein Begehren, das gar kein Interesse an Anerkennung und Kommunikation hat, sondern vielmehr darauf aus ist, diese Grenzen zu sprengen.

Hierin liegt der Verrat der Jugend an ihrer Idee. Anstatt Achtung für das Besondere zu ermöglichen, führe die Anerkennungsmaschine so zu einem »Design des eigenen Individualismus«, das gar nicht genug individuelle Sonderbarkeiten produzieren kann, um der vorauseilenden Anerkennungsbereitschaft gerecht zu werden. Gegen diese Angepasstheit in der Welt konzipiert Düttmann mit Heidegger eine Idee von Jugend als ortloser, unidentifizierbarer und »un-heimlicher« Kraft, die sich unnachgiebig weigert, sich im Sein und der Welt einzurichten. Gerade aus dieser Unnachgiebigkeit gehe eine ständige Überforderung der Erwachsenen hervor, aus der Düttmann eine eigene Ethik ableiten zu können glaubt.

Leider ist diese »Ethik der Unnachgiebigkeit« der einzige Punkt, an dem das Buch konkret wird und sich zur real existierenden Jugend und ihren Protesten äußert. Das wenige, was Düttmann zum Beispiel zu Greta Thunberg zu sagen hat, gehört jedoch zu den interessanteren Auseinandersetzungen mit der Klimaaktivistin. Düttmann verteidigt nämlich genau den Auftritt Thunbergs, aufgrund dessen sich viele der wohlmeinenden Erwachsenen von ihr distanziert haben: ihre emotionale, oft als nölig-pathetisch wahrgenommene Rede vor der Uno-Klimakonferenz 2018. In ihrem patzigen Affekt findet Düttmann etwas von der Unnachgiebigkeit, die ihm das eigentliche ethische Potential der Jugend ist. Diese Unnachgiebigkeit sieht er auch in der frühen Phase der Bewegung »Black Lives Matter«, in der diese einmal alle Vernunft fahren ließ und trotz Lockdown und Kontaktverbot die Straße für sich reklamierte.

Im letzten Kapitel von »Lob der Jugend« versucht Düttmann, genauer zu skizzieren, was Jugend zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, nämlich 1968, konkret war: eine Kraft, die sich nicht daran verschwendete, einzelne Dinge innerhalb des Ganzen verändern zu wollen, sondern auf die Veränderung des Ganzen selbst zielte.

Düttmann stellt die interessante Frage, ob eine Jugend, die besessen davon ist, stets das Richtige zu tun, sich nicht in einem metaphysischen Widerspruch zu sich selbst befindet. Der Widerspruch selbst, seine Entstehung oder mögliche Auflösung interessieren ihn jedoch kaum. Überhaupt muss man feststellen, dass Düttmanns Buch einen manchmal bis zur Denkfaulheit zerfaserten Argumentationsstil aufweist, der nicht immer vom Charme des Autors aufgefangen wird. Auch seine bis zur Wahllosigkeit eklektizistischen Positionen hat man allesamt anderswo schon präziser und eleganter gelesen. Über andere, spannendere Entdeckungen wie Walter Benjamins selten rezipierten Essay »Metaphysik der Jugend« und das darin enthaltene kommunikative Gegenmodell zu einer politisch korrekten Sprache, die nicht produktiv ist und niemandem gerecht werden will, erfährt man hingegen fast nichts.

Es entsteht sogar der Verdacht, dass Düttmann seine Objekte vielleicht liebt, aber eigentlich gar nicht kennt: Wie möchte er darüber urteilen, ob unter der Oberfläche der »gewaltfreien Kommunikation« nicht vielleicht doch ein Gespräch des Begehrens stattfindet, wenn ihn die Medien nicht interessieren, mit denen junge Menschen sich untereinander austauschen? Die Messaging-Dienste Whatsapp oder Telegram werden etwa nicht genannt. Düttmann schreibt, die Jugend habe »Fest, Kunst und Einbildungskraft« zugunsten des Designs ihres Individualismus aufgegeben, aber er weiß nichts – nicht mal Kritisches – zu berichten von den Feiern in den Parks und anderen Orten, an denen entgegen allen Verboten der Erwachsenen Jugendliche während der Hochphase der Covid-19-Pandemie zusammenfanden. Vor allem aber vermeidet Düttmann die entscheidende Frage: Wenn die Jugend tot ist – wer hat sie umgebracht? Was hat sie dazu gebracht, den Pakt mit den Erwachsenen einzugehen?

Düttmanns »Lob der Jugend« beginnt mit Platons »Symposion« und endet mit Pasolinis Vorliebe für die simplen Haarschnitte junger Proletarier. Der »lobende Eros« ist, wie Marcus Quent in seinem Vorwort schreibt, der Ort, an dem die Idee der Jugend überhaupt erst ihre Umrisse gewinnt. Vielleicht zeigen sich die Konturen dieser Idee also gerade dem, der selbst schon alt geworden ist und der dem, was er verloren hat, nur im Begehren nah sein kann.

Düttmann liebt die Jugend, aber noch mehr liebt er ihre Idee. Und wie jeder platonische Eros berührt dieser das sinnlich Fassbare, das Konkrete und Singuläre nur ganz kurz, um sich so schnell wie möglich darüber zu erheben. Vielleicht ist »Lob der Jugend« auf diese Weise unfreiwillig auch ein Buch über das Alter, dessen Autor sich selbst dafür lobt, in seinem eigenen Begehren jung geblieben zu sein.

Alexander García Düttmann: Lob der Jugend. Mit einem Vorwort von Marcus Quent. Diaphanes-Verlag, Zürich 2021, 192 Seiten, 18 Euro