Zwischen Science und Fiction
Sie sind zurück. Ufos schafften es kürzlich wieder einmal in die Schlagzeilen. Anlass war ein Ende Juni veröffentlichter Bericht der US-Geheimdienste über 144 sogenannte unidentifizierte Himmelsphänomene, die das US-Militär zwischen 2004 und 2021 beobachtet hatte. Der Bericht war mit Spannung erwartet worden, fiel allerdings eher unergiebig aus: Man habe eines der beobachteten Phänomene mit hoher Wahrscheinlichkeit als »großen Ballon, aus dem Luft entwich«, identifizieren können, die übrigen Sichtungen seien ungeklärt geblieben, hieß es lapidar. Auf die Frage, ob die beobachteten Phänomene Hinweise auf außerirdisches Leben geben könnten, gehen die Geheimdienste nicht ein.
Der Blick zum Himmel hat Menschen seit Urzeiten zu phantasievollen Vorstellungen inspiriert, was sich dort wohl so abspielen mag. Zunächst sah man in den Sternen vor allem göttliche Dramen und Intrigen verewigt; Namen von Sternbildern wie Kassiopeia oder Kepheus erinnern heutzutage an Sagen, die man sich im antiken Griechenland erzählte.
Außerirdische Gesellschaften könnten zur Selbstzerstörung neigen, so eine These. Das unterstellt, dass extraterrestrische Intelligenzen ähnlich dumm sind wie die Menschheit.
Ohne Rückgriff auf die Mythologie kam bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus der griechische Satiriker Lukian von Samosata aus, der sich freiweg das Leben auf fremden Himmelskörpern ausmalte. Seine »Wahren Geschichten« nehmen Homers »Odyssee« ebenso auf die Schippe wie die Reiseberichte seiner Zeit, in denen es von Fabelwesen und eigentümlichen Bewohnern ferner Gegenden nur so wimmelte. Den Erzähler verschlägt es unter anderem auf den Mond, wo er auf Menschen stößt, die auf dreiköpfigen Geiern reiten und ihre auf der Sonne lebenden Feinde mit tödlichen Rettichen beschießen. Das klingt auch nicht schräger als schlüpfrige Fan-Fiction aus der Star-Wars-Parallelwelt; die »Wahren Geschichten« gelten zu Recht als erste Science-Fiction-Erzählung der Weltliteratur.
Auch ernsthafte Spekulationen über das Leben auf fernen Himmelskörpern gab es lange vor dem Raumfahrtzeitalter. Im ersten Jahrhundert vor Christus argumentierte der römische Philosoph Lukrez, dass nichts im Universum einzigartig sei und es deshalb weitere bewohnte Welten ähnlich unserer Erde geben müsse. In der Neuzeit wurden Lukrez’ Ideen aufgegriffen und theologisch gewendet; insbesondere nachdem die Erfindung des Teleskops Galileo Galilei 1609 erstmals einen genaueren Blick auf ferne Himmelskörper erlaubt hatte. Der niederländische Mathematiker und Astronom Christiaan Huygens schrieb um 1690: »Unfruchtbare Planeten, ohne lebende Wesen, die ihren göttlichen Architekten preisen, sind Unsinn, Verschwendung und uncharakteristisch für Gott, der für alles einen Zweck hat.«
Die Aufklärung befreite die Wissenschaft von der Vorannahme eines göttlichen Architekten; die Vermutung, dass zumindest der Mond oder die Nachbarplaneten der Erde, Venus und Mars, bewohnt sein könnten, hielt sich hingegen. Deshalb fiel auch der sogenannte große Mondschwindel (Great Moon Hoax) auf fruchtbaren Boden. Damit ist nicht etwa die Verschwörungstheorie gemeint, die Mondlandung der Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin 1969 sei in einem Filmstudio inszeniert worden, sondern eine Artikelserie der Zeitung New York Sun aus dem Jahr 1835. Der renommierte englische Astronom John Herschel habe, so hieß es darin, mit einem neuartigen Teleskop eine hochentwickelte Zivilisation von »Fledermausmenschen« auf dem Mond beobachten können. Nachdem die Konkurrenz die Geschichte bereits eifrig abgeschrieben hatte, gab die Zeitung bekannt, dass es sich um eine Falschmeldung gehandelt habe.
Herschel zeigte sich amüsiert und merkte an, seine Beobachtungen seien weniger aufregend. Weniger erfreut war Edgar Allan Poe. Der hatte kurz zuvor »Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall« veröffentlicht, in der er seinen Protagonisten in einem Heißluftballon zum Mond schickte, und sah in der Sun-Story allzu viele Parallelen zu seiner Geschichte.
Plagiat oder nicht, die Zeit war reif für die moderne Science-Fiction, die im wissenschaftsbegeisterten Viktorianischen Zeitalter aufblühte, mit prominenten Vertretern wie Jules Verne und H. G. Wells. Während sich Verne eng an den Entwicklungen in Forschung und Technik orientierte und auf Spekulationen über außerirdisches Leben verzichtete, war Wells weniger zurückhaltend. In seinem 1897 veröffentlichten Roman »Krieg der Welten« ließ er die Erde von Marsianern angreifen.
Die Geschichte ist vor allem durch die Hörspieladaption von Orson Welles bekannt, die 1938 durch ihre realistische Inszenierung angeblich eine Massenpanik an der US-Ostküste auslöste. Das dürfte allerdings übertrieben sein: Snopes, einem Online-Portal für Faktenchecks, zufolge erreichte die Ausstrahlung nur eine Einschaltquote von zwei Prozent, und die wenigen Menschen, die sich tatsächlich erschrecken ließen, hätten zumeist erst während der Sendung zugeschaltet und eher geglaubt, eine Live-Reportage über eine deutsche Invasion zu hören.
Nah am Weltgeschehen war bereits die Vorlage: Wells hatte sie als Allegorie auf den britischen Kolonialismus angelegt. Nicht zufällig ist darin der Mars die Heimat der Eroberer. Die Vorstellung, es könnte eine technologisch fortgeschrittene Gesellschaft auf dem Roten Planeten geben, wurde lange durch die vermeintlichen Marskanäle beflügelt. Der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli hatte 1877 berichtet, er habe »canali« (Rinnen) auf der Marsoberfläche gesehen. Übersetzungsfehler machten aus den Rinnen Kanäle, deren Existenz auch von späteren Beobachtern bestätigt wurde. Erst in den dreißiger Jahren wurde klar, dass es sich um eine Kombination aus optischer Täuschung und Wunschdenken handelte. In der phantastischen Literatur, die bis weit ins 20. Jahrhundert den kühlen Mars als von überlegenen Zivilisationen besiedelt und die heiße Venus als Tropenwelt mit primitiven Ureinwohnern beschrieb, spiegelte sich der rassistische Zeitgeist.
Die Zeit von etwa 1930 bis 1950 gilt heutzutage als goldenes Zeitalter der Science-Fiction. Das US-Magazin Astounding Stories wirkte stilbildend, manche seiner Autoren wie Isaac Asimov und Robert A. Heinlein erlangten Weltrum. Dass das Genre als Trivialliteratur geschmäht wurde – in vielen Fällen zu Recht, man denke nur an das generische Covermotiv »hypermaskuliner Held kämpft gegen Weltraummonster und rettet nebenher leichtbekleidete Schönheit« –, tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch.
Zugleich häuften sich mit vermehrter militärischer und ziviler Luftfahrt die Sichtungen unerklärter Himmelsphänome. Fakten und Phantasie begründeten die Ära der Ufos. Heutzutage lebt der Glaube an außerirdische Besucher vor allem im Internet munter weiter und wird nicht nur von harmlosen Spinnern, sondern auch von Weltuntergangspropheten, Verschwörungstheoretikern und rechten Esoterikern vertreten.
Die seriöse Wissenschaft konnte inzwischen zumindest für unser Sonnensystem ausschließen, dass es vernunftbegabte Wesen beherbergt – außer auf der Erde, und selbst darüber ließe sich streiten. Auf dem Mond fand man lediglich Staub und Gestein, die Venus entpuppte sich als unbewohnbarer »Höllenplanet« und der Mars als unwirtliche Eiswüste. Zwar gelten immerhin noch ein paar wasserreiche Saturn- und Jupitermonde als Kandidaten für belebte Himmelskörper, aber auch dort dürften sich höchstens Mikroben tummeln.
Das Universum ist allerdings um unvorstellbare Größenordnungen größer als unsere kosmische Nachbarschaft, und so stellt sich weiterhin die Frage, ob irgendwo da draußen intelligentes Leben existiert – schließlich gibt es kein schlagkräftiges Argument dafür, weshalb gerade die Erde die große Ausnahme darstellen sollte. Der Physiker Enrico Fermi war überzeugt, dass es Außerirdische geben müsse, die eigentliche Frage laute: »Wo stecken die alle?«
Erklärungen dafür, warum sich bisher keine kleinen grünen Männchen blicken oder wenigstens aus der Ferne von sich hören lassen haben, gibt es viele. Die prosaischste: Vielleicht ist das Universum einfach zu groß, die Wahrscheinlichkeit, dass mehrere hochtechnisierte Zivilisationen existieren, die sich dann auch noch zufällig über den Weg laufen beziehungsweise funken müssten, daher verschwindend gering. Außerirdische Gesellschaften könnten zudem sehr kurzlebig sein, so eine weitere These, und zur Selbstzerstörung neigen – was allerdings unterstellt, dass extraterrestrische, nun ja: Intelligenzen ähnlich dumm sind wie die Menschheit. Oder die Aliens ähneln eher dem planetenumspannenden lebenden Ozean aus Stanislaw Lems Roman »Solaris«, dessen Verhalten den Menschen unbegreiflich bleibt und sich jeder Klassifikation entzieht.
Nicht völlig auszuschließen ist allerdings auch, dass zwischen Redaktionsschluss und Veröffentlichung dieses Artikels ein Raumschiff voller Außerirdischer gelandet ist. Mögen sie in friedlicher Absicht gekommen sein.