Die deutsche Kriegsrhetorik gegen Geflüchtete

Worte und Taten

Deutschland und die EU unterstützen Polen mit Kriegs­rhetorik bei der Abwehr von Geflüchteten an der Grenze zu Belarus. Derweil versuchten bewaffnete Neonazis aus dem Umfeld der Partei »Der III. Weg«, an der deutsch-polnischen Grenze zu patrouillieren.
Kommentar Von

Deutschland, Polen oder sogar die gesamte EU befindet sich derzeit im Krieg. Das könnte man zumindest glauben, wenn man dem Bundesinnenmister, Horst Seehofer (CSU), zuhört. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch der vorigen Woche bezeichnete er die derzeitige Politik der Republik Belarus als »hybride Kriegsführung«. Die Bundesverteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), klang ähnlich, im Deutschlandfunk sprach sie von einer »hybriden Bedrohung«. In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels vom vergangenen Freitag wiederum ist zu lesen, dass die EU »weiterhin gegen den laufenden hybriden Angriff seitens des belarussischen Regimes vorgehen« wird.

Rücken also gerade Milizen an die EU-Grenzen vor? Oder wird die EU von belarussischen Hackern attackiert? Mitnichten. In dem aktuellen Konflikt werden keine Waffen eingesetzt, sondern Menschen. Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko – wohl zu Recht – vor, gezielt Geflüchtete aus Krisenregionen an die EU-Außengrenzen zu bringen. Die Menschen werden mutmaßlich bereits seit Mai auf dem Luftweg in die belarussische Hauptstadt Minsk und von dort aus auf dem Landweg an die Grenzen zu EU-Staaten gebracht, zunächst an die Grenzen zu Lettland und Litauen, derzeit vor allem an die polnische Grenze. Viele stammen aus dem Irak, Syrien, Pakistan, dem Iran und Afghanistan. Polen schottet seine Grenze jedoch vehement ab.

Im Grenzgebiet ist derzeit der Ausnahmezustand verhängt, der Grenzstreifen zwischen Belarus und Polen ist zudem eine Sperrzone, in die weder Medienvertreterinnen noch Hilfsorganisationen vorgelassen werden. In diesem Streifen harren seit Wochen Menschen aus, ohne Vorräte, warme Kleidung oder medizinische Versorgung. Die belarussischen Behörden lassen sie an die Grenze vor, jedoch nicht wieder zurück. Und Polen verweigert ihnen auf brutale Weise die Einreise. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes hat es seit Anfang Oktober 12 000 Versuche gegeben, die Grenze zu überwinden. Wie viele Menschen genau im Niemandsland festsitzen, weiß niemand. Mindestens sieben Geflüchtete sind bereits gestorben, bei den sinkenden Temperaturen werden zweifelsfrei noch mehr ihr Leben verlieren.

Viele von jenen, denen trotz aller Abschottungsmaßnahmen die Einreise gelingt, werden hinter der Grenze aufgegriffen und in sogenannten Pushbacks zurückgebracht. Polen verweigert damit Schutzsuchenden die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Nach EU-Recht ist diese Praxis illegal, zudem stellen die Pushbacks an der polnischen Grenze eine neue Qualität dar. Griechenland oder zuletzt Kroatien haben trotz teils eindeutiger Beweise stets geleugnet, dass sie Pushbacks vornehmen. Polen hingegen erklärt die Pushbacks einfach für legal und bricht damit EU-Recht – nicht nur im halbwegs Verborgenen, sondern ganz offen und offiziell. Damit bleiben die Menschenrechte auf dem Gebiet der Friedensnobelpreisträgerin EU nicht einmal mehr auf dem Papier gewahrt. Konsequenzen hat das bisher keine gezeitigt – die EU-Administration schaut überwiegend weg.

Horst Seehofer geht noch ein bisschen weiter: In einem Brief an den polnischen Innenminister Mariusz Kamiński dankte er Polen für die Bemühungen zur Sicherung der »gemeinsamen Außengrenze«. Denn die polnisch-belarussische Grenze liegt Deutschland näher als die EU-Außengrenze in Südeuropa. Da Polen nur sehr wenigen Asylanträgen stattgibt, versuchen viele der Geflüchteten, die es von Belarus nach Polen geschafft haben, weiter nach Deutschland zu kommen. Die Bundespolizei ist verstärkt an der polnisch-deutschen Grenze im Einsatz. Bis einschließlich 21. Oktober hat sie nach eigenen Angaben für den laufenden Monat 3 751 unerlaubte Einreisen aus Belarus nach Deutschland registriert.

Wer Geflüchtete als »hybride Bedrohung« bezeichnet, spricht ihnen das Menschsein ab. Es geht um Menschen, die Schutz suchen, nicht um Waffen. Und diese Menschen fliehen nicht ohne Grund. Mit jedem Konflikt und jeder Militärintervention verschieben sich Fluchtrouten daher nur. 2015 kamen furchtbare Bilder aus Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. 2017 von der serbisch-ungarischen Grenze, 2020 von der bosnisch-kroatischen Grenze. Aus Polen kommen wenige Bilder – mit Absicht. Denn Bilder sind es meistens, die Mitgefühl auslösen. Solange man nur von Zahlen oder noch besser von Waffen spricht, halten sich Interesse und Empathie in Grenzen.

Man könnte auch froh darüber sein, dass dank der Route über Belarus ein paar Menschen weniger die Gefahr auf sich nehmen müssen, auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer zu ertrinken. Stattdessen erklären Polen, Deutschland und die EU diese Menschen zur »hybriden Bedrohung«. Das ist politisch gefährlich und menschenverachtend. Damit wird die Auffassung, dass man sich gegen Migration verteidigen müsse, weiter radikalisiert.

Zur Tat schritten in der Nacht von Samstag auf Sonntag dann Neonazis aus dem Umfeld der Partei »Der III. Weg«. Sie folgten einem Aufruf der Partei zum »Grenzgang« in Brandenburg, die Polizei stellte rund 50 von ihnen und fand bei den Rechtsextremen neben ­Pfeffersprays und Schlagstöcken auch ein Bajonett und eine Machete.