In Hamburg lacht man über den SPD-Innensenator Andy Grote

Der Senator und sein Gemächt

Geschmacklose Polizeikritik oder humorvolle Rache der Entrechteten – in Hamburg wird über den SPD-Innensenator Andy Grote gelacht.

»Andy, du bist so 1 Pimmel«, antwortete der Twitter-User @pauli_zoo am 30. Mai auf einen Tweet von Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD). Ein Polizist entdeckte den Kommentar und wies den Innensenator auf diesen hin, Grote erstattete Anzeige wegen Beleidigung. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten – und legten dabei einen Eifer an den Tag, mit dem eine Frau, die im Netz sexualisiert beleidigt oder bedroht wird, wohl eher nicht rechnen dürfte.

Obwohl Marlon P., der die Kneipe »Zoo St. Pauli« mit betreibt, einer polizeilichen Vorladung nachkam, sich als Inhaber des Twitter-Accounts @pauli_zoo und Verfasser des Tweets zu erkennen gab, stand drei Monate später am 8. September die Polizei vor seiner Wohnungstür: »Heute morgen um 6.00 gab es eine Hausdurchsuchung. 6 Be­amt­*innen in der Wohnung. Gesucht wurde das Gerät, mit dem ›du bist so 1 Pimmel‹ unter einen Tweet von Andy Grote geschrieben wurde. Sie wissen, dass zwei kleine Kinder in diesem Haushalt leben. Guten Morgen, Deutschland«, schrieb P. in einem weiteren Tweet von seinem Account @pauli_zoo.

Der polizeiliche Staatsschutz ermittelte wegen knallgelben Auf­klebern mit dem Text: »Andy, du bist so 1 Pimmel«.

Mit dem Pimmel-Kommentar reagierte er am 30. Mai auf diesen Tweet von Senator Grote: »In der Schanze feiert die Ignoranz! Manch einer kann es wohl nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen … Was für eine dämliche Aktion! Danke @Polizei­Hamburg, die wieder einmal den Kopf hinhalten, damit die Pandemie nicht aus dem Ruder läuft.« Grote echauffierte sich so über vorwiegend junge Menschen, die im Hamburger Schanzenviertel unter freiem Himmel gefeiert und dabei Hygiene- und Abstandsregeln verletzt hatten.

Am 10. Juni 2020 allerdings hatte Andy Grote seine erneute Ernennung zum Innensenator mit einem Umtrunk und 30 Gästen in dem Lokal Club 20 457 im Stadtteil Hafen-City gefeiert. Damit verstieß er gegen die »Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg«. Mit der Überwachung von deren Einhaltung ist Grotes Innenbehörde beauftragt. Gegen Grote wurde ein Bußgeld von 1 000 Euro verhängt. Aber statt zurückzutreten, wie es verschiedene Oppositionspolitiker gefordert hatten, spielte sich Grote elf Monate später als strenger Hüter der Coronaregeln auf. Dies war der Anlass für den Pimmel-Tweet.

Grote, der auch schon zu Zeiten des G20-Gipfels 2017 in Hamburg im Amt war, wohnt mitten im Stadtteil Sankt Pauli, und nach der Hausdurchsuchung wegen des Pimmel-Tweets tauchten in der Umgebung seiner Wohnung knallgelbe Aufkleber mit dem Text des Tweets auf: »Andy, du bist so 1 Pimmel«. Der polizeiliche Staatsschutz nahm Ermittlungen auf. Polizisten zählten 37 Aufkleber und kratzten diese ab – »im Sinne der Gefahrenabwehr« und zur »Sicherung von Beweisen«, wie der NDR berichtete.

Doch am 22. Oktober hing plötzlich ein großes Plakat mit derselben Aufschrift an der Fassade der Roten Flora, dem autonomen Zentrum in einem seit 1989 besetzten Gebäude im Schanzenviertel. Einen Tag später übermalte die Polizei den Text mit schwarzer Farbe.

»Die Berichterstattung über den übermotivierten Einsatz der Hamburger Polizei gegen Aufkleber hat uns motiviert, einen überdimensionalen Aufkleber aufzuhängen«, sagte die Pressegruppe der Roten Flora im Gespräch mit der Jungle World. »Wir wollten mal schauen, ob die gute alte Tradition des Stöckchenspringens bei der Hamburger Polizei noch funktioniert. Außerdem wissen wir aus der Vergangenheit, dass die Hamburger Polizei nur zu gern an unseren Plakatwänden rummalt.«

Ein weiteres Mal rückte die Polizei zum Übermalen des Plakats an, dessen Aufschrift am nächsten Morgen wieder erneuert worden war. Doch auch diese Zensur war nur von kurzer Dauer. Neben dem mittlerweile bekannten Spruch, der um die Forderung »tritt zurück« ergänzt wurde, wurde sozusagen der Stand des Malspiels auf dem Plakat angezeigt: drei Striche für die Flora, zwei für die »Bullen«. Die Pressegruppe der Roten Flora kritisiert, Polizei und Innensenator würden mit zweierlei Maß messen. Es sei »beachtlich, mit welchem Feuereifer die Polizei die Ehre des Innensenators verteidigt, wohingegen viele Betroffene von hate speech, Drohungen bis hin zu Vergewaltigung und Mord, lediglich ein müdes, polizeiliches Schulterzucken ernten«.

Mittlerweile erklärte die Polizei, den Spruch an der Flora von nun an stehen zu lassen. Der Senator wolle keine weitere Anzeige erstatten.