»Nicht mehr. Mehr nicht« von Botho Strauß

Abschied vom Hemdenbügler

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Botho Strauß unternimmt mit seiner jüngsten Erzählung »Nicht mehr. Mehr nicht. Chiffren für sie« etwas, was nach den Forderungen einer ganz auf Authentizität bedachten Literatur gar nicht geht und deshalb fast schon eine Provokation ist: Er porträtiert eine Frau. Gertrug Vormweg, von Beruf Dichterin, wurde nach vielen gemeinsamen Jahren von ihrem Mann verlassen und sucht für das Unbegreifliche nach Worten und Bildern. Diese findet sie im Mythos der Dido, die als Gründerin Karthagos gilt und deren tragische Liebe zum trojanischen Prinzen Aeneas Künstler aller Epochen zu eigenen Interpretationen inspiriert hat. Dido taucht in Opern, in der Literatur und im Pop auf. Sie ist die Herrscherin in einem Computerspiel und die Namensgeberin der britischen Sängerin Dido, deren größter Hit, »White Flag«, das Schmachtlied einer verlassenen Frau, auf die Liebestragödie anspielt.

Strauß zeigt den Zustand einer existentiell Enttäuschten in Monologen, erzählerischen Kommentaren und im Dialog zwischen der Protagonistin und ihren mythischen Vorbildern. Tiefere Kenntnisse der antiken Geschichte sind hier unbedingt von Vorteil! Der Tonfall ist nachdrücklich bis pathetisch. Nur gelegentlich scheint in der Sprache dann doch die niederschmetternde Banaliät des zeitgenössischen Liebeskummers auf (»Fehlt einer, fehlt alles«), gegen den sich die Verlassene mit den Mitteln der Kunst wappnet. Das ist der Clou der Srauß’schen Interpretation des Stoffes. Die im Regen stehen gelassene Frau leidet weniger unter der Trennung vom »Hemdenbügler« als unter dem ­Wissen um die Banalität des Vorgangs selbst. Sie leiht sich daher Stimme und Sprache der Dido, um den Kummer über das nichtige Leben zu überhöhen. Zu oft lässt einen das Versteckspiel der Dichterin aber unberührt. Leider eignet sich der Autor nicht die Geschichte einer Frau, sondern einen Stoff an – und genau das ist das Problem.

Botho Strauß: Nicht mehr. Mehr nicht. Chiffren für sie. Hanser, Berlin 2021, 160 Seiten, 22 Euro