Das System Reichelt

Das System im System

Nach der Entlassung von Julian Reichelt stellt sich die Frage, warum Machtmissbrauch in einer Gesellschaft, die Gleichberechtigung, Diversität und Respekt propagiert, so lange geduldet wird. Und warum ein System sexueller Ausbeutung immer noch und immer wieder funktioniert.

Was ist Gesellschaft? Klar kann man sich was Leichteres fragen. Vertrackterweise aber führt auch eine leichtere Frage, etwa die »Wie zum Teufel konnte ein Mann wie Julian Reichelt sich in einem unter öffentlicher Beobachtung stehenden Verlag ein solches System von persönlicher Macht und sexueller Besitzgier errichten?«, wieder zur Ausgangsfrage zurück. Was ist die Gesellschaft, in der so etwas entstehen, sich über lange Zeit stabilisieren und am Ende nicht einmal wirklich aufgeklärt werden kann?

Man denke an mehr oder weniger deutliche, mehr oder weniger vernebelte Einblicke in andere Teilsysteme der Macht, in denen sexuelle Macht, Abhängigkeit und Nötigung eine Rolle spielten: das System Berlusconi, das System Donald Trump, das System Strauss-Kahn, das System Harvey Weinstein, um nur die mit der größten medialen Aufmerksamkeit zu nennen. Immer war klar, dass es um mehr ging als um die Verfehlungen eines einzelnen Menschen, dem möglicherweise Reichtum und Macht, wie man so sagt, zu Kopf und woanders hin gestiegen war, nämlich eben um ein »System«.

Die Erfolge des Mannes, der so rasch an die Spitze kam, werden nicht trotz, sondern gerade wegen seiner rüden Methoden und seiner autokratischen Missachtung üblicher Umgangsformen sowie des offenkundigen Genusses der Selbstinszenierung bewundert.

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