»Wetten, dass…?« geht in die nächste Runde

Das ganze Land an der Flimmerkiste

Nicht nur »Wetten, dass …?« kehrt auf die Mattscheibe zurück.
Die preisgekrönte Reportage Von

»Wahnsinn, einfach nur Wahnsinn!« Im Quotenmessungszentrum Böblingen sind die ersten Zahlen der Neuauflage von »Wetten, dass…?« eingegangen. Forschungsleiter Manfred Dreischupp ist außer sich. »Wir haben über 101 Millionen Zusehende, davon waren 40 Millionen unter 80 und über 80 Millionen noch klinisch am Leben. Das nennen wir in der Wissenschaft ›Wahnsinn pur vom Feinsten‹!« Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann; ein Erfolg, der auf Wiederholung drängt. »Wer hätte gedacht, dass wir mit einer muffigen Gameshow aus dem vergangenen Jahrhundert noch einmal das ganze Land an den Fernseher zurückholen?« Fertig abgedreht ist das wiederaufgewärmte »TV Total«, noch in der Mache sind Wiederauflagen von »Ruck Zuck« und »Familien-Duell« mit Werner Schulze-Erdel, auch Marijke Amados »Mini Playback Show« soll bald wieder starten.

»Wir werden die Formate sanft modernisieren«, sagt Produktionsleiter Willi Knäuli von der Produktionsfirma MHOCH1000, die hinter den meisten Neuauflagen steckt. »›Familien-Duell‹ zum Beispiel wollen wir ein bisschen an das auch international erfolgreiche ›Squid Game‹ anpassen. Wir werden 100 Personen entführen und ihnen Fragen stellen, dabei werden die Verlierer von zwei konkurrierenden Familien erschossen.«

Woher kommt die Sehnsucht nach Formaten aus Opas Flimmerkiste? »Die Menschen sind völlig zu Recht der Ansicht, dass die Welt bald untergeht«, sagt der Medienexperte Tobias Rüttelmaß. »Daher wollen sie Unterhaltung aus einer Zeit, als man das zwar auch schon wissen konnte, aber noch nicht so stark mit den Konsequenzen konfrontiert war. ›Wetten, dass …?‹ erinnert uns an eine Zeit, in der wir auf der Terrasse Schnitzel von Styroportafeln aßen, während aus dem Radio eine Kohl-Rede dröhnte. Eine unbeschwertere Zeit! Sieht man mal von der ganzen Nazi-Scheiße ab.«

Demnächst läuft der Prototyp einer neuen Variante von »Glücksrad« über die Schirme. Dabei werden alle Kandidatinnen und Kandidaten aufs Rad geflochten und mit Vokalen beworfen; gewonnen hat, wer sich selbst rechtzeitig als Redewendung deklariert. »Um ehrlich zu sein, verstehe ich die neuen Regeln auch nicht«, sagt Knäuli. »Aber es geht ja auch nur um das Gefühl, das Gefühl, in ­einer Interpretation der Vergangenheit zu leben, in der es noch keine Zukunft gab. Oder geben wird!«

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.