Die Demonstrationen gegen das restriktive polnische Abtreibungsrecht

Erbarmungslose Nächstenliebe

Anfang November protestierten Feministinnen erneut gegen das restriktive Abtreibungsrecht in Polen. Sie machten es verantwortlich für den Tod einer 30jährigen Frau.

Unter dem Motto »Ani jednej więcej« (Keine einzige mehr) fanden Anfang November in über 70 polnischen Städten feministische Demonstrationen gegen die Politik der Regierung statt. Am 22. September war die 30jährige Izabela S. in Pszczyna in Südpolen wegen Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft gestorben. Der Vorwurf lautet, dass die Ärzte ihr wegen der in diesem Jahr verschärften Abtreibungsgesetze eine mutmaßlich lebensrettende Abtreibung vorenthalten und stattdessen stundenlang abgewartet hatten, bis der Herzschlag des Fötus aufhörte, so dass die 30jährige an einer Sepsis verstarb.

Schon Ende Oktober, bevor der Todesfall öffentlich geworden war, hatten in vielen polnischen Städten Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechtes stattgefunden, über die ein Jahr zuvor das Verfassungsgericht entschieden hatte. Damals hatten allein in Warschau 100 000 Menschen gegen die Entscheidung protestiert.

Nach Erhebungen einer polnischen Frauenrechtsorganisation konnten dieses Jahr lediglich 300 Personen einen legalen Schwangerschafts­abbruch in Polen vornehmen lassen.

Ungeachtet dieser anhaltenden Proteste hatte das polnische Verfassungsgericht im Januar dieses Jahres sein Urteil vom Oktober 2020 veröffentlicht und somit das Gesetz zur Verschärfung des Abtreibungsrechts in Kraft gesetzt. Seitdem sind Schwangerschaftsabbrüche aufgrund medizinischer Indikation wegen des Zustandes des Fötus verfassungswidrig, die Möglichkeit des ­legalen Schwangerschaftsabbruchs besteht nur noch, wenn von der Schwangerschaft Gefahr für die Gesundheit und das Leben der schwangeren Person ausgeht oder die Schwangerschaft Folge einer Straftat, wie etwa einer Vergewal­tigung oder von Inzest, ist.

Nach Erhebungen einer polnischen Frauenrechtsorganisation konnten dieses Jahr lediglich 300 Personen einen legalen Schwangerschaftsabbruch in Polen vornehmen lassen. Betroffenen, die selbstbestimmt eine Schwangerschaft beenden wollen, bleibt nur die Möglichkeit, sich an international ­tätige Unterstützerinnengruppen zu wenden, die ihnen bei einem medikamentösen Abbruch oder der Organisation eines medizinischen Eingriffs im Ausland helfen können. Das feministische Netzwerk Aborcja bez Granic (Abtreibung ohne Grenzen) hat laut eigenen Angaben in den vergangenen zwölf Monaten 34 000 Personen aus Polen auf diese Weise den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ermöglicht.

Doch auch für Schwangere, die gar keinen Abbruch wünschen, hat das ­novellierte Abtreibungsgesetz gefährliche Auswirkungen. Obwohl Abtreibungen bei Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren laut Gesetz möglich sind, mehren sich Berichte über unterlassene Behandlungen durch Ärzte. Diese sollen häufig selbst bei schweren Komplikationen der Schwangerschaft nicht eingreifen, weil sie befürchten, durch ihr Handeln den Fötus zu beschädigen und eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs bezichtigt zu werden.

Izabela S. gilt jetzt als Todesopfer dieses restriktiven Abtreibungsrechts. Der nationalkonservative Staatspräsident Andrzej Duda forderte zwar eine rasche Aufklärung des Vorfalls, gleichzeitig mahnte er zynisch: »Man redet nur über die Mutter dieses Kindes, aber man erwähnt leider nicht, dass auch ein Kind gestorben ist.« Am 11. November kritisierte das Europäische Parlament in einer Resolution anlässlich des Jahrestages des Verfassungsgerichtsurteils das polnische Abtreibungsrecht erneut scharf und nahm auch Bezug auf den Tod von Izabela S.

Unterdessen fordern christliche Fundamentalisten sogar ein absolutes Abtreibungsverbot. Die Stiftung für das Recht auf Leben (Fundacja Pro – Prawo do Życia) sammelte über 100 000 Unterschriften, um einen Gesetzentwurf in den Sejm, die erste Kammer des polnischen Parlaments, einzubringen. Dieser sieht eine Änderung des Strafgesetzbuches vor. Der Begriff »Kind« soll bereits ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Eizelle und Spermium verwenden werden. Zum anderen soll jedweder Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt und mit bis zu 25 Jahren Gefängnis bestraft werden. Eine Beratung des Gesetzes im Parlament steht noch aus.

Ende Oktober wurde das Gesetzesprojekt »Stop LGBT« im Sejm beraten. Eingebracht wurde es von der Stiftung ­Leben und Familie (Fundacja Życie i Rodzina), die auch eine treibende Kraft hinter der Verschärfung des Abtreibungsrechts war. Das neue Projekt spricht sich für den Schutz der heterosexuellen Ehe und gegen die »Propagierung« von Rechten für LGBTQ-Personen im öffentlichen Raum aus, was unter anderem ein Verbot von Christopher-Street-Day-Paraden in Polen zur Folge hätte.

Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs schwadronierte Krzysztof Kasprzak, ein Vertreter der Stiftung: »Wir ­hören uns das linke Gerede von Homophobie nicht länger an. Phobie heißt Angst, aber wir haben keine Angst vor euch!« Zugleich warnte er vor »LGBT-Ideologie«, die er mit »kommunistischer« und »nazistischer Ideologie« gleichsetzte. Mit Stimmen der erzkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und anderer rechter Parteien wurde der Gesetzentwurf für weitere Beratungen in eine Kommission gegeben. Die Petition für das Gesetz hatten über 140 000 Menschen unterschrieben, unter anderem hatten sich zahlreiche katholische Gemeinden an der Sammlung der Unterschriften ­beteiligt.

Eingedenk der Tatsache, dass aktuelle Umfragen die PiS bei 37 Prozent und die rechtsnationale Partei Konfederacja bei zehn Prozent der Wählerstimmen sehen, kann homophober Politik derzeit vor allem durch Interventionen der EU-Institutionen begegnet werden. So hat etwa die Europäische Kommission im Juli 2021 Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen im Zusammenhang mit dem Schutz der Grundrechte ihrer Bürger eingeleitet. Bei Polen geht es darum, dass die Regierung nicht dabei kooperiere, rechtlich gegen Gemeinden und Kommunen vorzugehen, die sich im Sommer 2019 zu sogenannten »LGBT-freien Zonen« erklärt haben.

Feministische und LGBTQI-Gruppen protestieren auch gegen die Flüchtlingsabwehr, die die polnische Regierung betreibt. Sie organisierten Mitte Oktober in Warschau unter dem Motto »Stop Torturom na Granicy« (Schluss mit den Martern an der Grenze) eine Solidaritätsdemonstration und wandten sich gegen rechte Migrationspolitik wie auch gegen rechte Geschlechterpolitik.