Homestory

Homestory #46

Wie die Zeit vergeht: Nur noch zwölfmal schlafen (zumindest für die Drei-Tage-am-Stück-wach-Fraktion), dann ist Weihnachten. Ob und wie die einzelnen Mitglieder der Redaktion das Fest feiern, verraten wir hier nicht. Ob Fan oder Gegnerin der Feierei, gemeinsam ist uns der alljährliche Weihnachtsurlaub, aber im Gegensatz zu unserem Sommerurlaub verbringen wir den (zumindest ganz überwiegend) getrennt. Vorher versorgen wir Sie aber noch mit einer extradicken Jahresendausgabe, an der wir bereits seit einigen Wochen planen.

Da in dieser Ausgabe unsere dazugehörige Jahresend-Abokampagne beginnt, verraten wir Ihnen schon das Thema der Doppelausgabe: Gesundheitspolitik im Kapitalismus und alles, was sonst noch krank macht. Nach mehr als anderthalb Jahren Pandemie lag das nahe, aber wir werden selbstverständlich nicht nur über Covid-19 berichten, sondern Sie unter anderem über die Gesundheitsver­sorgung in deutschen Gefängnissen informieren.

Hier ein kleiner Beifang aus den Recherchen dazu exklusiv vorab: 1985 gründeten Personen aus dem Umfeld der Taz den gemeinnützigen Verein »Freiabonnements für Gefangene«; die einzige Zeitungsvermittlung für Inhaftierte hierzulande finanziert sich über Spenden, zweckgebundene Fördermittel und Mitgliedsbeiträge. (Vielleicht ist Ihnen schon einmal eine Anzeige des Vereins in Ihrer Lieblingszeitung aufgefallen, und wenn nicht, finden Sie eine auf Seite 17 dieser Ausgabe.) Derzeit erhalten 2 991 Inhaftierte vermittelt durch den Verein ein Zeitungs- oder Zeitschriftenabonnement. Weitere 1 569 Inhaftierte haben sich auf eine Warteliste eintragen lassen. Auf der Website des Vereins findet man eine detaillierte Auflistung der Publikationen, die ausgeliefert werden, und die jeweilige Zahl der gespendeten Abonnements sowie der Inhaftierten, die sich eine bestimmte Zeitung oder Zeitschrift wünschen. Am häufigsten werden Abonnements der FAZ, der SZ und der Taz finanziert. Für Letztere gibt es aus alter Tradition keine Warteliste; das Gründungs­motto des Vereins lautete: »Jedem Knacki seine Taz«. Hingegen haben der Spiegel, die Sportzeitung Kicker und der Focus die längsten Wartelisten, aber kaum gespendete Abos. Auch die Jungle World wird aufgelistet; leider sind die Zahlen nicht dazu geeignet, mit ihnen zu prahlen. Fünf Inhaftierten vermittelt der Verein derzeit ein Abonnement dieser Zeitung und sieben weitere Inhaftierte wünschen sich ein solches.

Wer also noch ein solidarisches Weihnachtsgeschenk für Leute sucht, die selbst keine Geschenke wollen, könnte ein Gefangenenabo verschenken – garantiert (toi, toi, toi!) ohne Lieferkettenprobleme. Und wenn auch Weihnachten im Knast schlimm ist, treibt das Fest noch die aufgeklärtesten Individualisten regelmäßig zurück in die Blutsurenge der Familienbande, mit allem, was dazu gehört: Geschenkezwang, Enttäuschungen, Gewalt und Herzinfarkten. Schon aus gesundheitlichen Gründen kommt der Kommunismus ganz ohne Weihnachten aus, und ohne Familie, Knast, FAZ, SZ und Taz. Aber Geschenke gibt’s das ganze Jahr für alle!